Meine 3. Kleine Anfrage zum Einsatz von KI im Bund ergab erstaunliche Ergebnisse: die Nutzung von KI steigt rasant, aber die nötigen Voraussetzungen dafür fehlen einfach weiter. Meine Kleine Anfrage stellt dazu wenigstens rudimentäre Transparenz und eine Vergleichbarkeit der Daten her. Die Analyse ist aufwändig, aber die Ergebnisse sind aufschlussreich.

Inhalt:

  1. TL;DR: Die wichtigsten Erkenntnisse
  2. Hintergrund (Relevanz, was bisher geschah, was die Bundesregierung versprach)
  3. Ausführliche Analyse der Antwort der Ampel auf meine Kleine Anfrage KI 2024
  4. Fazit und Forderungen aus linker Sicht

1. tl;dr: Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Es gibt auch im 3. Jahr (!) in Folge keine Umsetzungsstrategie für den KI-Einsatz im Bund, inkl. Kompetenzaufbau sowie Unterstützungsstrukturen, insbesondere gibt es weiterhin keine Zentralstelle mit Überblick über die KI-Projekte des Bundes, die Folge u.a.: ineffiziente Doppelentwicklungen (z.B. 2 verschiedene KI-Vorhaben zur Fisch-Identifikation) und keine sinnvolle Koordinierung
  • Wichtige organisatorische Strukturen, wie das Beratungszentrum für Künstliche Intelligenz (BeKI) und die Algorithmenbewertungsstelle für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (ABOS) sind weiterhin nur “in Planung” oder “im Aufbau” (seit Jahren), dies bedeutet bei stark steigendem Einsatz von KI jedoch steigende Risiken: die Schere zwischen Fähigkeiten und Einsatz geht auseinander
  • Keine Mindeststandards zur Nachhaltigkeit, Risikobewertung, Evaluation oder Kosten-Nutzen-Analyse, bei keinem der “NfD eingestuften” KI-Vorhaben von Sicherheitsbehörden hat eine Risikobewertung stattgefunden
  • Besonders kritisch: fehlende Standardprozesse zur Risiko- und Evaluationsbewertung von KI-Systemen in grundrechtssensiblen Bereichen (z.B. bei Sicherheitsbehörden) 
  • Mangelnde Transparenz: Geheimdienste sind eine vollkommene Blackbox, BMVg und Sicherheitsbehörden antworten eingestuft sowie unvollständig, das untergräbt Vertrauen in den Staat
  • Ein nationales KI-Register nach Vorgabe der KI-Verordnung der EU ist geplant, wann es kommt und wie es ausgestaltet wird, bleibt weiterhin offen.
  • Nachhaltigkeit wird zwar in Leitlinien und Strategien betont, spielt jedoch weder beim Einsatz von KI-Anwendungen im Bund noch bei der erheblichen Vergabe von Fördergeldern für KI-Vorhaben eine Rolle 
  • Die mehr als 220 KI-Anwendungen im Bund haben eine große thematische Bandbreite, von Texttools für mehr Effizienz bei Verwaltungsaufgaben bis hin zum digitalen Zwilling von Deutschland, darunter sind jedoch auch grundrechtssensible KI-Anwendungen z.B. vom BAMF oder BKA zur Analyse von Massendaten
  • Geld fließt reichlich, insgesamt stehen von 2023-2025 mehr als 2,5 Milliarden Euro für KI-Vorhaben aus Steuermitteln zur Verfügung.

2. Hintergrund

Der aktuell heißeste Hype ist (immer noch) Künstliche Intelligenz. Mit ihrer Hilfe sollen viele Probleme gelöst werden, selbst die, für die es gar keine technischen, sondern soziale Lösungen braucht. Geld spielt hier anders als bei Kindergrundsicherung oder Deutschlandticket keine Rolle. Bei Hype Themen lohnt jedoch immer ein gründlicher Blick, denn da besteht grundsätzlich das Risiko, dass Technologien ohne die notwendige Sorgfalt eingesetzt werden, überzogene Erwartungen damit verbunden und Risiken ausgeblendet werden. Deshalb habe ich zum 3. Mal in 3 Jahren den Bund gefragt, wofür und wie er KI einsetzt, aber auch wofür und wie er KI-Vorhaben finanziell fördert.

Wichtig: sinnvolle Balance zwischen Nutzen und Nachteilen

Die Risiken und Nebenwirkungen von KI-Systemen können hoch sein, z.B. wenn sie für Zwecke eingesetzt werden, für die sie nicht trainiert wurden oder wenn die Datenbasis zu diskriminierenden Ergebnissen führt. Nutzen und Nachteile können wie bei Medikamenten in ein Missverhältnis geraten, daher ist es wichtig, sowohl den erwarteten Nutzen als auch die möglichen Nachteile sachlich kompetent zu bewerten. Zu den Nachteilen gehören z.B. eventuelle Grundrechtsverletzungen aber auch ein hoher Ressourcenverbrauch.

Politisch haben sich mit dem Thema KI eine Enquete Kommission im Bundestag (Link), eine von der GroKo eingesetzte Datenethikkommission (Link), aber auch die EU mit der KI-Verordnung (AI-Act. Link) intensiv auseinandergesetzt, um die Risiken zu minimieren und den Einsatz von KI sicher und verantwortungsvoll auszugestalten. Beim Einsatz von KI durch staatliche Stellen müssen dabei besonders hohe Standards gelten.

Kleine Anfrage als Ausgleich für mangelnde Transparenz

Über den Einsatz von KI in der Bundesverwaltung gab und gibt es viel zu wenig Transparenz. Ein KI-Register wie in den Niederlanden gibt es in Deutschland nicht. Daher habe ich 2022 (Link), 2023 (Link) und nun erneut in 2024 (Link) eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, und damit sozusagen das erste KI-Transparenzregister des Bundes im PDF-Format geschaffen. Jede der Antworten der Bundesregierung war bisher lückenhaft, dennoch ist auch die diejährige Anfrage erneut die einzige Quelle, der man die KI-Nutzungen und Förderungen des Bundes gesammelt entnehmen kann. 

Aktuelle Versprechen der Bundesregierung zum Einsatz von KI

Regierungsvertreter:innen betonen häufig, z.B. in der Fortschreibung der KI-Strategie (Link), dass KI wertebasiert, gemeinwohlorientiert, transparent und nachvollziehbar sein soll, damit ihr Nutzen für die Allgemeinheit maximiert, Risiken verringert und insgesamt die Akzeptanz erhöht wird. Die KI-Strategie der GroKo (Link) versprach mehr Effizienz, Qualität und die Sicherheit von Verwaltungsdienstleistungen durch KI und eine Vorreiterrolle des Bundes dabei und die Digitalstrategie der Ampel (Link) versprach: “Wir setzen (…) auf Nachhaltigkeit by Design”. Nachhaltigkeit und KI gehören zusammen, deshalb habe ich gezielt in meiner KA danach gefragt.

Ein jüngeres 24-seitiges Papier des BMI (Mai 2024; Link) enthält Leitlinien für den Einsatz von KI, zu Governance, Standards, Nachhaltigkeit und Transparenz. So sollen z.B. “stets Kosten und Nutzen von Anwendungen gegenüber” gestellt werden, um “Nachhaltigkeit aus ökonomischer, ökologischer und organisatorischer Sicht” zu bewerten. Es werden “nachhaltiger Kompetenzaufbau und Energieeffizienz” angekündigt, sowie “Vermeidung von Doppelstrukturen und die effiziente Nachnutzung verfügbarer Infrastrukturen, Modelle und Anwendungen”. Außerdem wird “größtmögliche Transparenz” versprochen und standardisierte Prozesse, da geht es um die Nutzung von “Vorgehensmodellen für die KI-Implementierung sowie die Verankerung von Themen wie Risiko-, Qualitäts- und Anforderungsmanagement in KI-relevanten Prozessen”. Das klingt alles ziemlich gut, aber hat es mit der gelebten Praxis irgendetwas zu tun? Wir werden sehen…

3. Detailanalyse der Ampel-Antwort – Kleine Anfrage KI 2024

3.1 KI im Bund 2024 in Zahlen

Hinweise:

  • Die Analyse meiner Anfrage KI im Bund von 2022 gibt es HIER, für die Anfrage KI im Bund von 2023 gibt’s meine Pressemitteilung (Link).
  • Die Links zu sämtlichen Dokumenten, meiner Anfrage, der Antwort der Bundesregierung und all ihren Anlagen gibt’s am Ende dieses Beitrages

Was ist aus der Umsetzung der Versprechen von GroKo und Ampel-Regierung geworden? Wie hat sich überhaupt der Einsatz von KI beim Bund verändert? Das werde ich Euch nachfolgend auseinanderklamüsern.

Über 220 Mal setzt der Bund KI ein, plus hohe Dunkelziffer

Die Transparenz selbst der Anzahl vom Bund eingesetzter KI-Systeme ist mangelhaft, die angegebenen Zahlen sind unvollständig, lassen aber dennoch ein rasantes Wachstum eingesetzter KI-Systeme im Bund stark vermuten. Nach meiner Kleinen Anfrage KI im Bund von 2022 kritisierte der Bundesrechnungshof, dass die Bundesregierung etwa 60% der eingesetzten KI-Systeme nicht erwähnt hatte, obwohl das Grundgesetz Abgeordneten das Recht auf vollständige und umfassende Antworten einräumt (Link). In 2023 wurden nach meiner öffentlichen Kritik an der absoluten Geheimhaltung der KI-Systeme, die von Sicherheitsbehörden eingesetzt wurden, 24 dieser Anwendungen als Nachbericht nachgereicht (Link), mit monatelanger Verspätung und ohne mich darüber auch nur zu benachrichtigen.

In 2024 wurden 7 Anwendungen von Behörden mit Sicherheitsaufgaben nur eingestuft mitgeteilt, darunter das BKA (2), das ZITIS (3), das Bundespolizeipräsidium zur Unterstützung des Bundesamts für Verfassungsschutz (1) und das BMVg (1). Sämtliche KI- Anwendungen der Geheimdienste bleiben über alle Jahre hinweg völlig intransparent, ich erfahre sie nicht, weil das “das Staatswohl gefährden würde”. Zwei Ministerien melden überhaupt keine KI-Nutzung, die einzige KI-Nutzung im BMVg gab es nur in eingestufter Fassung – im Vergleich zum Vorjahr ist das unplausibel wenig.

Tabelle 1: Einsatz von KI Systemen im Bund steigt stark von 2023 zu 2024

Quelle: Antwort auf Fragen 1a-d, Anlage 1a)

Hinweis: KI-Anwendungen der Geheimdienste wurden wg. potenzieller “Staatswohlgefährdung” nicht mitgeteilt .

Fast 300 Mio Euro fließen in die Förderung von 277 KI-Forschungsvorhaben

Tabelle 2: Förderungen von KI-Forschung, Piloten, Reallaboren seit 01.01.2023

Quelle: Antwort auf Frage 6, Anlage 2, sowie NfD eingestufte Anlage (nicht öffentlich),

Hinweis: Enthält 2 Forschungsvorhaben des BMVg, die als NfD eingestuft und daher nicht in den veröffentlichten Anlagen enthalten sind, mit einem Gesamtfinanzvolumen von 13,64 Mio €. Ausgaben für Reallabore wurden nicht angegeben und werden daher mit 0€ angesetzt.

2,3 Mrd Euro für KI-Vorhaben zur Umsetzung der KI-Strategie bis 2025

Das Geld ist nicht knapp, wenn es um die Finanzierung von KI-Vorhaben geht. Der Bund stellt allein im Rahmen der Umsetzung der KI-Strategie 2,3 Milliarden Euro dafür bereit, der größte Teil soll in 2024 ausgegeben werden und 85% dieser 2,3 Milliarden entfallen auf nur 4 Ministerien: BMBF, BMG, BMWK und BMDV.

Tabelle 3: Finanzmittel für KI-Vorhaben aus dem Budget zur Umsetzung der KI-Strategie

Quelle: Antwort auf Frage 8, Anlage 3

Weitere 210 Mio Euro in 2023-25 zusätzlich zur Umsetzung der KI-Strategie

Tabelle 4: Finanzierung von KI-Vorhaben des Bundes außerhalb der KI-Strategie

Quelle: Antwort auf Frage 9, Anlage 3a

Mehr als 2,5 Mrd Euro Steuergeld innerhalb von 3 Jahren für KI!

Mehr als 2,5 Milliarden Euro gibt es also insgesamt für KI aus dem Budget für die Umsetzung der KI-Strategie sowie aus zusätzlichen Mitteln von 2023 bis 2025! Zum Vergleich: 2,23 Milliarden standen in 2024 für die gesamte humanitäre Hilfe zur Verfügung, mit 1,5 Milliarden bezuschusst der Bund das Deutschlandticket.

Tabelle 5: Alle Mittel für KI-Vorhaben mit Beteiligung des Bundes (Tabelle 2 und 3 addiert)

Quelle: Addition der Daten aus den Antworten auf Fragen 8 und 9, Anlagen 3 und 3a

Mehr als 84,2 Mio gibt es für den Einsatz der über 200 KI-Projekte im Bund, die v.a. extern beauftragt wurden, die Angaben sind jedoch unvollständig, v.a. für die 7 eingestuften Projekte. Das geht aus der Anlage 1e hervor, die Antwort auf Frage 4 der Kleinen Anfrage. 

3.2 Kein Durchblick im Bund, keine Koordinierung, aber immer mehr KI-Projekte

4 Ministerien setzen 71 % der mehr als 219 KI-Anwendungen ein

Inzwischen werden mindestens 219 KI-Anwendungen im Bund genutzt. Vier Ministerien, BMWK (44), BMI (40+6 NfD), BMEL (35) und BMDV (30) meldeten zusammen 155 KI-Vorhaben, das sind 71% aller KI-Systeme im Bund. Seit dem 1.1.2023 kamen 194 Forschungsvorhaben, 28 Pilotprojekte und 5 Reallabore neu hinzu, also insgesamt 227 neue Vorhaben. Diese Zahlen zeigen: es ist höchste Zeit, verbindliche Prozesse zu etablieren, die den Einsatz von KI begleiten, oder falls ihre Risiken unvertretbar sind, den Einsatz nicht zulassen oder wieder zu beenden. Es geht dabei auch um jede Menge Haushaltsmittel: allein von 2023 bis 2025 sollen mehr als 2,5 Mrd. EUR für KI Vorhaben ausgeben werden.

Keine Umsetzungsstrategie, keine zentrale Steuerung, keine verbindlichen Standards

Was auf den ersten Blick wie ein Innovationsschub in einer bisher eher analog beschriebenen Verwaltung aussieht, hat seine Schattenseiten, denn die Antwort der Bundesregierung zeigt auch, dass sie keine Umsetzungsstrategie für diese nicht nur chancen- sondern auch risikoreiche Technologie hat, dass sie weder beim Kompetenzaufbau noch beim Aufbau geplanter Unterstützungsstrukturen voran gekommen ist, dass es weiterhin null Koordinierung gibt und keine einzige Stelle, die einen Überblick hat über den Einsatz von KI im Bund.

Die Folge dieser fehlenden strategischen Steuerung und Strukturen ist der Mangel an verbindlichen Vorgaben für Standards und Prozesse, z.B. zur Risiko-, oder Kosten-Nutzen-Bewertung, zur Nachhaltigkeit oder auch dazu, wer, wann und wie eine Evaluation durchführen sollte. Und so macht offenbar jede Behörde ihr eigenes Ding, hauptsache KI.

Das ist einerseits ineffizient, weil oft verschiedene Anwendungen für die gleichen Aufgaben verwendet werden (z.B. Chatbots) und andererseits werden Mindeststandards regelmäßig nicht eingehalten, weder zur Nachhaltigkeit, noch zur Risiko- oder Kosten-Nutzen-Betrachtung, was nicht nur der Bundesrechnungshof problematisch findet, sondern letztlich auch das Vertrauen in Regierungshandeln und in die Technologie Künstliche Intelligenz insgesamt erschüttert.

Wenn Strukturen fehlen, steigen Risiken – vor allem wenn Grundrechte berührt sind

Ohne klare Strukturen und Zuständigkeiten erhöht sich das Risiko, dass KI-Systeme ineffizient oder unsicher eingesetzt werden. Für einen guten Einsatz von KI im Bund braucht es sinnvolle sowie klare Strukturen, mit Fachkräften, die beraten, Kompetenz aufbauen, den KI-Einsatz evaluieren, Standards entwickeln, koordinieren und alle Akteur:innen vernetzen. Der hier schon häufiger zitierte Bericht des Bundesrechnungshofs monierte auch schon 2023: “Eine fehlende Aufsicht und zentrale Koordinierung sowie eklatanten Personalmangel.” Leider hat die Bundesregierung hier wenig Abhilfe geschaffen.

Verhöhnung des parlamentarischen Fragerechts durch die Ampel

Abbildung 2: Frage 10 in der Kleinen Anfrage:

In meiner Frage 10 erfragte ich zu den verschiedenen geplanten organisatorischen Strukturen die verfügbaren und geplanten Ressourcen (Stellen und Haushaltsmittel), die Governance bzw. Organisationsstruktur, die Zuständigkeit und Federführung, die jeweilige Aufsicht, wie sie sich von einander abgrenzen und ob es eine zentrale Stelle zur Koordinierung gibt. Die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage ist eine Frechheit, denn kaum eine meiner Fragen wurde überhaupt beantwortet. Es fehlen jegliche Angaben zu:

  • Stellen und Haushaltsmitteln
  • Governance und Organisationsstrukturen
  • Zuständigkeiten, Federführung und Aufsicht
  • Zentrale Stelle für die Koordinierung

Stattdessen wird vage von “Prüfung bestehender Strukturen” geschrieben und oberflächliche Angaben zu den verschiedenen Strukturen gemacht. In einer schriftlichen Beschwerde habe ich eine Nachreichung der fehlenden Informationen angefordert (Link).

Keine zentrale Koordinierung, kein Chief AI Officer, kein Beratungszentrum für KI

Offensichtlich ist jedoch, dass es weiterhin keine zentrale Koordinierungsstelle innerhalb der Bundesregierung gibt. Auch nicht im Sinne der Chief AI Officer, wie sie aktuell innerhalb der US-Administration eingeführt werden. Eine solche ist zwar laut Antwort auf meine Frage 13  “in Prüfung”, bisher jedoch ergebnislos. Eine zentrale koordinierende Stelle müsste einen Überblick über alle KI-Projekte des Bundes haben, Doppelentwicklungen verhindern, für Wissenstransfer sorgen und beratende sowie unterstützende Funktionen übernehmen. Diese Funktionen sollte eigentlich das seit 3 Jahren angekündigte Beratungszentrum für Künstliche Intelligenz (BeKI) übernehmen, auch laut Bundesregierung, die das BeKI in seiner Antwort beschreibt als “künftige zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für KI-Vorhaben in der Bundesverwaltung”. Leider ergeben meine Anfragen seit ebenfalls 3 Jahren, dass das BeKI über den Planungsstand einfach nicht hinauskommt und weiterhin nicht existiert. Für das BeKI sind von 2022 bis 2023 bereits 280.000 Euro an externen Beratungsleistungen geflossen, wie meine Schriftliche Frage vom Juni 2023 ergab (Link).

Die Schere zwischen dem rasant wachsenden Einsatz von KI-Systemen im Bund und den dafür notwendigen Kompetenzen, Standards, Koordinierung und Überblick geht dadurch immer weiter auseinander. 

Ineffizient: Parallelentwicklung von KI-Systemen

Es ist ineffizient, wenn verschiedene Ministerien zwei KI-Systeme entwickeln, für die Identifikation von Fischen und offenbar nichts voneinander wissen (BMDV – Bundesamt für Gewässerkunde Zeile 95 und BMEL – Max Rubner Institut, Zeile 166 in der Anlage 1a). Es werden außerdem von einigen Behörden kommerzielle (und aus Datenschutz- und Informationssicherheitsgründen fragwürdige) KI-Dienste von US-Konzernen für die gleichen Aufgaben genutzt, für die andere Behörden auf vertrauenswürdigere KI-Systeme beim ITZ-Bund zurückgreifen.

Microsoft Co-Pilot oder ITZ-Bund-KI-Plattform? – Fehlende Richtlinien führen zu Wildwuchs

Warum wird im Geschäftsbereich des BMDV ausgerechnet der Microsoft Co-Pilot für die KI-gestützte Texterstellung genutzt, obwohl es mit KIPITZ eine ITZ-Bund Plattform gibt, die solche Leistungen ebenfalls anbietet? Immerhin wurde sie dafür schon mit einem eGovernment Preis ausgezeichnet. Seltsamerweise gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort an, dass sie die ressortübergreifende Pilotierung von KIPITZ erst vorbereitet, obwohl im Juli 2024 schon über 2.000 Nutzende im Rahmen des eGov Wettbewerbes öffentlich kommuniziert wurden (Link). Das Angebot klingt sehr vielversprechend, hier ist ein Lob angebracht. Das ITZ-Bund schreibt selbst, dass es v.a. auf Open Source basierende LLM nutzt, kommerzielle Sprachmodelle integrieren kann und im Sinne des Einer-für-Alle Prinzips KI-basierte Apps für Behörden entwickelt und anschließend auf der Plattform verfügbar macht. In der Antwort der Ampel kann man das alles aber nicht lesen, das stand auf LinkedIn.

KI-Kompetenzzentrum – bei Bundesdruckerei statt in der Bundesverwaltung

Laut BMI Leitlinien sollen Doppelstrukturen verhindert werden, aber wie sich das KI-Kompetenzzentrum (KIKC) von all den anderen geplanten Strukturen abgrenzt, bleibt unklar. Die Frage nach seinen Aufgaben und der Abgrenzung wurde nicht beantwortet. Immerhin existiert es und ist seit Juni 2023 “als eigenständige Organisationseinheit“ der Bundesdruckerei GmbH produktiv. Was es leistet, den Steuerzahler kostet, wie es mit den anderen zuständigen Stellen kooperiert, alles das bleibt im Dunkeln. Laut Selbstdarstellung der Bundesdruckerei soll das KIKC vor allem Ausprobieren und Testen, Prototypen entwickeln, aber auch technische Kompetenzen aufbauen und bei der Vernetzung unterstützen (Link).

Grundrechtsgefährdend: fehlende Algorithmenbewertungsstelle für Behörden mit Sicherheitsaufgaben

Bei KI-Anwendungen in Behörden mit besonderem Grundrechtsbezug stellen sich noch ganz andere Herausforderungen. Für die ist auch seit mehreren Jahren die “Algorithmenbewertungsstelle für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben” (ABOS) geplant. Für das ABOS sind sogar schon in 2022 über eine Million Euro Steuergelder an Externe bezahlt worden, wie aus meiner o.g. schriftlichen Frage (Link) hervorging. Für Berater war das offenbar ein gutes Geschäft, aber bisher fehlt der notwendige Mehrwert für die Verwaltung und für die Gesellschaft, denn Sicherheitsbehörden haben den höchsten Grundrechtsbezug, die geringste Transparenz und es gibt dort besonders viele KI-Projekte. So verteilen sich 36 der 46 KI-Anwendungen (ein Anteil von knapp  80%!) beim BMI auf das BKA (19), die Bundespolizei (14) und auf die staatliche Hackerbehörde ZITIS. Es ist zutiefst beunruhigend, wenn es weder hinreichend Informationen für eine sinnvolle parlamentarische Kontrolle gibt, noch ausreichend Transparenz für den kritischen Blick von Journalist:innen und NGOs und gleichzeitig nicht einmal die versprochene interne Algorithmenbewertungsstelle. Betrachtet man die folgenden Ausführungen zur Risikobewertung und zu den Evaluationen, schläft man danach nicht besser.

3.3. Fehlende Risikobewertungen gefährden Grundrechte und zerstören Vertrauen

“Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte”, daher gibts hier exemplarisch vorab einen Screenshot aus der Antwort der Bundesregierung auf meine Frage nach der Bewertung von Risiken der KI-Anwendung. Tabelle 6:

Quelle: Anlage 1d, Antwort des BMI/BKA auf Frage 3 zu Risikobewertungen

Die Datenethikkommission forderte bereits 2019 ein Risikoklassenmodell, damals noch “Kritikalitätspyramide” genannt, dennoch fehlt auch 5 Jahre später eine systematische Risikobewertung von KI-Anwendungen im Bund. Die Folgen fehlender Risikobewertungen sind nicht immer gleich.

KI-Anwendungen des Bundes mit offensichtlich geringem Risiken

Es gibt viele KI-Anwendungen mit vorstellbar geringem Risikopotenzial, wo es vermutlich keine bis wenig Auswirkungen hat, ob eine Risikoeinschätzung stattfand. Hier ein paar Beispiele aus den KI-Anwendungen des Bundes, Anlage 1a:

  • Entzifferung alter Handschriften (Zeile 41),
  • Analyse von Bodenprofilfotos (Zeile 55),
  • Stresserkennung von Hühnern durch KI-Auswertung von Videodaten (Zeile 192 ),
  • Identifizierung von Baumarten (Zeile 170) oder von Fischarten (Zeilen 95 und 165),
  • Altersbestimmung von Fischen (Zeile 168)
  • Erkennen von Plastik in Flüssen oder Öl auf dem Meer (Zeilen 92 und 94).

Solche Fälle lassen sich leicht mit gesundem Menschenverstand einschätzen.

KI-Anwendungen des Bundes mit unklarem Risikopotenzial

Bei vielen anderen Anwendungen ist das schon komplizierter, und aus dem Bauch heraus würden da einige Menschen Potenziale für Risiken sehen, andere nicht. Es braucht daher ein standardisiertes Modell, um das Risiko sinnvoll zu bewerten. Nachfolgend Beispiele für diese Kategorie:

  • Aufdeckung von Giftstoffen im Wasser (Zeile 22),
  • Waldbranderkennung (Zeile 172),
  • Identifikation von Cyberangriffen (Zeile 137)
  • Chatbot für Bevölkerungsfragen bei radiologischem Notfall (Zeile 28). 

KI-Anwendungen des Bundes mit potenziell hohen Risiken

Konsens sollte aber sein, dass alle KI-Anwendungen mit eindeutigen Grundrechtsbezügen auf ihre potenziellen Risiken VORAB zu überprüfen sind. Schön wäre, wenn es dafür die angekündigte Algorithmenbewertungsstelle für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben schon geben würde, aber – siehe Abschnitt 3.2., die ist ja immer noch in Planung, auch wenn immer mehr KI-Anwendungen in diesen Bereichen eingesetzt werden.

Mangelnde Risikobewertung bei Hochrisiko KI-Anwendungen

Wenn immer wieder von Vertrauen und Akzeptanz die Rede ist, gleichzeitig aber gerade in grundrechtssensiblen Bereichen, wie der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr, viele KI-Anwendungen ohne jede Risikobewertung betrieben werden, ist das ein Riesenproblem. Grundrechtsverletzungen werden wahrscheinlicher, und damit sinkt das Vertrauen in den Staat und die Demokratie. Solche Entwicklungen sind gefährlich. Allein im Geschäftsbereich des BMI ist die Bilanz eine Katastrophe, obwohl das BMI sich selbst schön klingende Leitlinien für den Einsatz von KI gegeben hat (Link). So wurde beim BKA für keine einzige der 19 KI-Anwendungen eine Risikobewertung durchgeführt, zwei davon waren sogar eingestuft und dürfen nicht einmal öffentlich genannt werden.

BKA, Bundespolizei, Zitis: hohe potenzielle Risiken werden nicht einmal untersucht

Zu den 19 KI-Anwendungen des BKA ohne durchgeführte Risikoanalyse gehören u.a.:

  • Spracherkennung (Zeile 143)
  • Fingerabdruckerkennung (“Papillarleistenerkennung”, Zeile 145)
  • Semantische Bildanalyse (Zeile 146)
  • Ähnliche Bildersuche (Zeile 149)
  • Gesichtserkennungssystem zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr (Zeile 156)

Zu den 10 der 14 Anwendungen der Bundespolizei ohne Risikobewertung (eine davon eingestuft für die Unterstützung des Verfassungsschutzes) gehören u.a.:

  • Videoanalyse zur Gefahrenabwehr am Bahnhof (Zeile 138),
  • Sensordatenanalyse zur Gefahrenabwehr an Bahnhöfen (Zeile 140)
  • Sensordatenanalyse zur Gefahrenabwehr an Eisenbahntunneln (Zeile 139).

Keinerlei Risikobewertung gab es für sämtliche 3 KI-Anwendungen des ZITIS (alle eingestuft). What can possibly go wrong. Die wenigen Male, wo es im Geschäftsbereich des BMI überhaupt zu einer Risikoeinschätzung kam, führten nur bei einer der 46 Anwendungen zur Einschätzung “hohes Risiko” – bei der “Auswertung von Videodaten – Sichtung und Kategorisierung von Massendaten” durch das Bundespolizeipräsidium. Ich stelle mir darunter die Auswertung zum Beispiel von Videokameras im öffentlichen Raum vor, z.B. von Demos. Das gibt kein gutes Gefühl, insbesondere nicht, wenn die Antwort auf meine Frage nach den Auswirkungen der jeweiligen Risikobewertung auch bei dieser Hochrisiko-Anwendung “nicht bekannt” lautete.

Nancy Faeser hat falsche Prioritäten beim Einsatz von KI

Die Wahrung der Grundrechte und ein transparenter, nachvollziehbarer und professioneller Umgang mit KI-Anwendungen bei Behörden mit Sicherheitsaufgaben scheinen für Innenministerin Nancy Faeser keinerlei Priorität zu haben, eine denkbar schlechte Ausgangslage.

Darüberhinaus wurden generell meine eindeutigen Fragen zum Umgang mit den Risiken von KI schlecht beantwortet, nämlich überwiegend an der Frage vorbei, unpräzise und inkonsistent und insgesamt extrem unvollständig. So habe ich explizit danach gefragt, welches Risikoklassenmodell konkret verwendet wurde und bat darum, explizit NICHT auf die (simplifizierten) Risikokategorien der KI-VO zu referenzieren. Das wurde durchweg ignoriert, stattdessen tauchte die KI-VO sogar in der Tabellen-Überschrift der Ampel-Antworten auf und daneben eine Spalte “Klassifizierung”, wodurch etliche Antworten in beide Spalten das gleiche eintrugen, nämlich “minimales Risiko”, aber (fast) nirgendwo das Risiko-Modell, nach dem die Bewertung vorgenommen wurde.

Klar wurde dennoch daraus, dass es weiterhin keinerlei Standards, keine einheitlichen Prozesse, keinerlei Vorgaben zum Umgang und zur Bewertung von Risiken gibt.

Mantel des Schweigens: Viele KI-Anwendungen der Sicherheitsbehörden bleiben intransparent

Darüber hinaus gibt es weitere Einschränkungen des parlamentarischen Fragerechts im grundrechtssensiblen Bereich: über ganze drei (!) Seiten erfolgte eine Rechtfertigung, in wieweit mir wegen potenzieller Gefährdung des Staatswohls viele Informationen zum Einsatz von KI in Strafverfolgungs-, Ermittlungs- und Gefahrenabwehrbehörden überhaupt nicht mitgeteilt werden können. Einige wenige (7) KI-Anwendungen dieser Sicherheitsbehörden wurden mir in eigestufter (VS-NfD) Form mitgeteilt, ich darf sie also nicht öffentlich diskutieren.

Zum Einsatz von KI bei den Geheimdiensten erfahre ich auch absolut gar nichts, dabei ist vermutlich dort das Risiko für Grundrechtsverletzungen und die Gefahr gravierender negativer Auswirkungen auf Individuen und die Gesellschaft durch einen Missbrauch besonders hoch. Eine sinnvolle parlamentarische Kontrolle ist so jedenfalls nicht möglich. Auch die immer wieder auch von der Ampel-Regierung propagierte offene Debatte zum Einsatz von KI durch staatliche Stellen und die Diskussion dazu, welche Risiken wir als Gesellschaft zu tragen bereit sind und welcher Nutzen dem dafür gegenüber stehen soll, kann es auch nicht geben.

Abbildung 1: Ausschnitt aus den Vorbemerkungen der Bundesregierung zu ihrer Antwort

Statt “öffentlich, transparent und vollständig” dem “verfassungsrechtlich verbrieften Aufklärungs- und Informationsanspruch des Bundestages zu entsprechen”, wie die Ampel in ihrer Antwort offenbar ohne jede Ironie schreibt,

  • Erfahre ich NICHTS über alle KI-Systeme beim Verfassungsschutz, BND und MAD
  • Erfahre ich WENIG über die KI-Systeme bei ZITIS (Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, aka Hackerbehörde der Bundesregierung), BDBOS (Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben), das BKA oder andere Sicherheitsbehörden. Und über einen Teil dieser Informationen darf ich nicht einmal öffenlich reden.

Wie groß der blinde Fleck ist, darf ich leider auch nicht wissen, denn ich habe die Bundesregierung in einer schriftlichen Frage gefragt, um wie viele KI-Anwendungen es sich dabei handelt, über die ich wegen potenzieller Staatswohlgefährdung keine Informationen erhalte. Und selbst diese Antwort, eine zusammengefasste Zahl, die nichts über den Zweck des KI-Systems und seinen Einsatz verraten hätte, wurde mir mit Verweis auf eine mögliche Staatswohlgefährdung verweigert (Link).

Der Mangel an wenigstens internen Strukturen und Standards, z.B. die weiter fehlende Bewertungsstelle für Algorithmen bei sicherheitsrelevanten Behörden wie Geheimdiensten und Polizei sind dabei besonders besorgniserregend. Gerade wenn Menschenrechte, das Recht auf Diskriminierungsfreiheit oder andere Grundrechte berührt sind, braucht es ein hohes Maß an Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit und Mindeststandards für vertrauenswürdige Checks and Balances, die bisher schlichtweg nicht etabliert werden. Wenn Sicherheitsbehörden jedoch Technologien wie Künstliche Intelligenz vermehrt einsetzen wollen, ohne dass es diese Checks and Balances gibt, steigen mit jedem Tag die Gefahren für einen Missbrauch oder Fehleinsatz von KI zum Nachteil der Öffentlichkeit. Die Versuchung wird hoch sein, also müssen es die Standards für Kontrolle und Transparenz auch sein.

Einsatz von KI im Hochrisikobereich Asyl und Migration

Besonders besorgniserregend sind in diesem Kontext auch die jüngsten Äußerungen von Kanzler Olaf Scholz, der sich einen vermehrten Einsatz Künstlicher Intelligenz bei Asylverfahren vorstellen kann (Link). Unklar bleibt, ob sich Olaf Scholz dabei neue bzw. weitere KI-Verfahren wünscht oder auf bereits bestehende Anwendungen bezog – denn das BAMF setzt seit mehreren Jahren KI bereits aktiv ein, wie meine Kleinen Anfragen und auch die Recherchen von Netzpolitik.org seit Jahren zeigen.

So verwendet das BAMF z.B. das sogenannte “Assistenzsystem, das Entscheidende dabei unterstützt, sicherheitsrelevante Sachverhalte zu erkennen, die an Sicherheitsbehörden weitergeleitet werden müssen.” Verständlicher formuliert werden durch die KI-Anwendung sog. Anhörungsprotokolle aus Asylverfahren und Befragungen erfasst, ausgewertet und gegebenenfalls Hinweise an Sicherheitsbehörden weitergegeben – ohne dass die Betroffenen darüber informiert werden. Doch die Systeme sind immer auch fehleranfällig, können erhebliche Auswirkungen für die Schutzbedürftigen haben – auch aufgrund eines automation sowie confirmation bias, die gewiss auch dort noch nicht ausgeschlossen werden können. Es zeigt sich eine eklatante Diskrepanz zwischen den formulierten Zielen und deren Umsetzung. Insbesondere in der Digitalpolitik klaffen auch bei der selbsternannten Fortschrittskoalition Anspruch und Wirklichkeit, Worte und Taten meilenweit auseinander. Beim Thema Künstliche Intelligenz scheint allein das Mantra „Digital first, Bedenken second“ zu gelten, wobei Milliarden an Steuergeldern ohne klare Regeln oder koordinierende Instanzen für KI-Vorhaben bereitgestellt werden – auch in sensiblen Bereichen, wo es hohe Schutzstandards statt freier Experimentierräume braucht.

3.4 Fortschritt bei Evaluationen, aber nicht genug

Zum KI-Hype gehört die Erwartung, dass man mit künstlicher Intelligenz auf einmal alle möglichen Probleme lösen kann. Die Technologie ist aber noch experimentell, vieles geht noch schief und viele Erwartungen werden nicht erfüllt. Die “Risiken und Nebenwirkungen” werden oft schlecht oder falsch eingeschätzt. Aus all diesen Gründen ist es besonders wichtig, jeden Einsatz von KI zu evaluieren, damit sicher gestellt ist, dass der Nutzen die möglichen unerwünschten Nebenwirkungen übersteigt, zu denen ja auch nicht nur Diskriminierungsfälle oder Grundrechtsverletzungen gehören, sondern z.B. auch der negative Klima-Impact, den die ressourcenfressenden KI-Systeme nun mal mit sich bringen.

Erfreulicherweise betont der BMI-Leitfaden zum Einsatz von KI sogar die Notwendigkeit einer Evaluation und nennt folgende zu evaluierende Aspekte:

  • Erfüllung der Nutzungserwartungen,
  • Überwachung rechtlicher Vorgaben,
  • Einhaltung ethischer Anforderungen,
  • Datenschutz,
  • Transparenz und Verantwortlichkeit
  • Fehleridentifikation und -behebung,
  • Kosten-Nutzen-Analyse,
  • Mitarbeiterakzeptanz und -schulung,
  • Sicherstellung der Fairness

Evaluationen erfolgen vor allem intern – das ist ein Problem

Darüber hinaus ist ein Fortschritt, dass inzwischen bei fast drei Viertel (73 %) der KI-Anwendungen im Bund irgendeine Form der Evaluation vollzogen wird. Aber der Teufel steckt im Detail. So finden die Evaluationen überwiegend intern statt, z.B. durch die eigenen Fachtabteilungen und Projektbeteiligte, also oft durch die Nutzenden der KI-Anwendungen selbst. Selbstevaluationen sind aber nur mäßig sinnvoll, da man dabei weder Neutralität noch Objektivität sicher annehmen kann, was für eine gute Evaluation aber unbedingte Voraussetzung sein muss. Wie sollen verantwortungsvolle KI-Nutzung, Transparenz, Fehlersuche, Kosten-Nutzenanalysen, ethische Regelkonformität etc. durch interne Selbstevaluation sinnvoll möglich sein? Dafür braucht es geschulte Fachkräfte, z.B. des geplanten (immer noch nicht existierenden) Beratungszentrums für Künstliche Intelligenz, das bis vor Kurzem noch Beratungs- und Evaluationszentrum für Künstliche Intelligenz hieß. Warum wurde der Name von der Ampel geändert? Soll das BEKI keine Evaluationen mehr vornehmen, die nach standardisierten Prozessen ablaufen würden? Das wäre bedauerlich, denn das BEKI kann dafür genau die richtige Stelle sein, wenn es dafür auch die nötigen Ressourcen erhält.  

Zu oft keine Evaluation – vor allem im BMI

Bei immer etwa jedem 5. Einsatz von KI im Bund (19 %) fand keinerlei Evaluation statt. Besonders fällt auf und beunruhigt, dass fast jede zweite nicht evaluierte Anwendung (49 %) im BMI angesiedelt ist, wo viele grundrechtssensible KI-Einsätze stattfinden. Dazu zählen Anwendungen wie die Videodatenanalyse (Bundespolizei, Zeile 129, Anlage 1f) und die Sicherung und Aufbereitung für die Mobilfunkforensik und Cloudsicherung, wo KI eingesetzt wird, um “Massendaten zu sichten und zu kategorisieren” (Bundespolizei, Zeile 135, ebd.). Auf die Frage nach einer Begründung für die ausgebliebene-Evaluierung steht als Antwort ein schlichtes “Nein”. Bei der BKA KI-Anwendung zur Papillarleistenerkennung (Fingerabdruckerkennung) wurde die Antwort auf die Ja / Nein Frage nach Durchführung einer Evaluation einfach komplett verweigert, weil ein “öffentliches Bekanntwerden die Verwendbarkeit des Werkzeugs stark beeinträchtigen würde” (Zeile 145, ebd.). Da fehlen mir schon die Worte, denn wie soll ein Ja oder Nein auf die Evaluationsfrage die Verwendbarkeit der KI-Anwendung negativ beeinflussen? Die Frage nach “gab es ein Ergebnis der Evaluation wurde übrigens beantwortet – mit “Nein”.

Tabelle 7: Fehlende Evaluationen in BMI-Anwendungen  – Auszug aus Anlage 1f

Für einen verantwortungsvollen Einsacht von Künstlicher Intelligenz innerhalb der Bundesverwaltung sind Audits bzw. Evaluationen unverzichtbar. Nur durch die Durchführung objektiver und umfassender Überprüfung der Systeme können die versprochenen Vorteile des Einsatzes realisiert und die möglichen Risiken minimiert werden. Daher fordere ich die Bundesregierung auf, sich endlich an die selbstgesteckten Ziele und die selbst erstellten Leitfäden zu halten und die dafür notwendigen Strukturen und Prozesse zu schaffen, um Transparenz, ethische Grundfragen und Risiken sowie die Nachvollziehbarkeit ihrer KI-Anwendungen sicherzustellen.

3.5 Mangelnde Transparenz

Die Nutzung von KI im Bund sollte besonders hohen Transparenzanforderungen genügen. Leider zeigt sowohl die fehlende Transparenz zum Einsatz von KI im Bund im Allgemeinen als auch die unvollständige Antwort der Ampel-Regierung auf meine Kleine Anfrage im Besonderen, wie groß die Defizite sind.

Wir brauchen eine einheitliche, einfach zugängliche und transparente Datenbasis über eingesetzte Algorithmen- und KI-Systeme in der öffentliche Verwaltung, z.B. damit die Überprüfung und Evaluierung möglicher Diskriminierungspotenziale, die Einhaltung (und Förderung) von Grundrechten genauso wie von Nachhaltigkeitskriterien oder schlicht Kontrolle und Bewertung durch die digitale Zivilgesellschaft, die freie Presse, sowie durch Forschende möglich sind.

Begrüßenswert sind die aktuellen Pläne des BMI, ein KI-(Transparenz) Register für Anwendungen des Staates aufzubauen. Dieses Register soll beim (immer noch nicht existierenden) Beratungszentrum für Künstliche Intelligenz (BEKI) angesiedelt werden, der künftig zentralen Koordinierungsstelle für KI im Bund. Ein solches Register muss verpflichtend für alle KI-Anwendungen im Bund sein, aber für KI-Anwendungen aller staatlichen Stellen in Deutschland (auch auf Länder- und kommunaler Ebene) geöffnet werden. Dafür sollte das BMI rechtzeitig in einen offenen Dialog unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft starten, um Bedarfe, Schnittstellen, Potenziale und Herausforderungen (z.B. Finanzierung) rechtzeitig zu adressieren. Im Ausland gibt es schon Erfahrungen, etwa in Helsinki (Link) sowie Amsterdam (Link), und auch in Deutschland gibt es bereits Konzepte (Link). 

Ein „Marktplatz für KI-Anwendungen“ ersetzt kein KI-Register

Im BEKI soll es künftig auch einen “Marktplatz für KI-Anwendungen” geben, der offensichtliche Doppelentwicklungen verhindern und zum Kompetenzaustausch zwischen Behörden beitragen könnte. Aber ein KI-Transparenzregister ist so ein Marktplatz natürlich nicht und er kann auch keine Strukturen zum Kompetenzaufbau und zur Koordinierung ersetzen, die der Bundesrechnungshof bereits 2023 angemahnt hatte (Link). Außerdem sollte das künftige KI- Transparenzregister gerade auch solche KI-Anwendungen enthalten, die in Behörden und staatlich kontrollierten Organisationen eingesetzt werden, die Ordnungs- und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen, also häufig qua Amt mit der Verletzung von Grundrechten zur Wahrung weiterer Grundrechte zu tun haben, aber ihre KI-Systeme sicher nicht auf einem Marktplatz für KI-Anwendungen teilen werden. Auf meine schriftliche Nachfrage erfuhr ich, dass der Start dieses KI-Marktplatzes für Herbst 2024 geplant sei (Link). Stand 01.11.24 gibt es von ihm noch keine Spur.

Jenseits der grundsätzlichen und allgemeinen Herstellung von struktureller Transparenz zum Einsatz von KI im Bund zeigt auch die vorliegende Antwort der Bundesregierung auf meine 3. Kleine Anfrage zu KI im Bund, dass es mit der Transparenz nicht weit her ist. Das wird einen Mix aus Gründen haben: fehlender Durchblick, überbordende Geheimniskrämerei, mangelnder Respekt gegenüber dem Parlament und schlichte Schlamperei – vielleicht auch Personalmangel und Überarbeitung, man steckt ja nicht drin.

Schlechtes Handwerk: lückenhaft, inkonsistent, an Fragen vorbei geantwortet

Die Antwort der Ampel hat jedenfalls erhebliche Lücken, ist in einigen Bereichen inkonsistent, lässt einige Fragen komplett unbeantwortet oder enthält Aussagen, die komplett an der Frage vorbei gehen. Manche Antworten sind trotz präziser Fragestellung so daneben, dass sie eine sinnvolle Auswertung verhindern, z.B. im Bereich der Risikoeinschätzung von KI-Systemen. Über Geheimdienste erfährt man gar nichts, über andere Behörden mit Sicherheitsaufgaben verstümmelte Antworten, Bullshit-Antworten oder als NfD eingestufte Antworten oder auch gar nichts, wegen vermeintlicher Staatswohlgefährdung. Mehrere Ministerien melden überhaupt keine KI-Anwendungen (BMFSFJ, BMWSB). Wie weiter oben bereits erwähnt, wurde mir selbst die Anzahl der eingesetzten und intransparent bleibenden KI-Systeme für die Behörden mit Sicherheitsaufgaben und Geheimdienste verweigert, weil selbst dadurch das Staatswohl in Gefahr sei (Link).

Das Militär: eine besonders finstere Blackbox

Das Verteidigungsressort mit dem größten IT-Bereich der gesamten Bundesregierung (im Kommando Cyber und Informationsraum arbeiten über 10.000 Fachleute) meldete eine einzige Anwendung und die ist als NfD eingestuft. Das überrascht vor allem deshalb, weil die Bundeswehr öffentlich frei über diverse KI-Anwendungen berichtet – z.B. auf dem Start Up Summit in Berlin 2024 oder auf ihrer Website, dort z.B. erfährt man über das KI-Labor der Bundeswehr (Link) von KI-Projekten wie „Voice Activity Detector“, „Sparrow Tracking“ und „CWBuddy“ (Link). Auch im aktuellen Haushaltsentwurf 2025 für das BMVg (Stand 01.11.24) sind in Titelgruppe 02 „Forschung, Entwicklung und Künstliche Intelligenz“ immerhin satte 795 Mio Euro vorgehen (Link). Auch im Cyber-Innovation-Hub der Bundeswehr laufen KI-Projekte wie z.B. „ImageAware“ (Link), die alles Andere als geheim sind. Ich habe deshalb eine Schriftliche Frage hinterhergeschickt und die Ampel mit diesem Widersprüchen konfrontiert.

IT-Auslagerung an GmbH als Ausrede für Intransparenz

Statt „sorry“ und mehr Informationen gab es darauf nur eine absurde Antwort der Bundesregierung (Link): Die erwähnten Aktivitäten liefen bei der BWI GmbH und damit nicht im Geschäftsbereich des BMVg, und deswegen könne man sich eine genauere Auskunft sparen. Die BWI GmbH gehört immerhin zu 100% dem Bund, dort arbeiten 7.000 Menschen und machen 1,5 Milliarden Euro Umsatz, ihre Selbstbezeichnung lautet: „Wir sind das IT-Systemhaus der Bundeswehr“. Es ist ziemlich wenig vertrauensbildend, null Transparenz zum Einsatz von KI zu schaffen, nur weil man sich einer staatseigenen GmbH bedient, um diesen Einsatz zu ermöglichen. Verwiesen wird auch darauf, dass die KI-Anwendungen, die ich über öffentliche Quellen fand, ja nur „im Rahmen von explorativem Lernen, Erproben und Entwickeln zum Zwecke des Erwerbs von Methoden-, Bewertungs- und Entscheidungskompetenz bei Innovationen, Analysen und Planungen dienen“ – na dann ist ja völlig egal, was man da so macht (WTF!). Übrigens sind militärische Anwendungen vom Geltungsbereich der KI-Verordnung komplett ausgenommen, weil für Verteidigungsfragen die Mitgliedsstaaten die Verantwortung tragen. Es gibt also nur dann Regeln für die Anwendung von KI im Militär, wenn die Bundesregierung sich selbst welche gibt. Das stimmt mich nicht gerade optimistisch.

Laut Digitalstrategie (Link) will sich die Ampel bis 2025 übrigens daran messen lassen, dass sie

“Kapazitäten und Fähigkeiten aufgebaut (ADB: hat), um Daten auf dem Gefechtsfeld schneller mit Hilfe von KI zu analysieren und damit die Effektivität auf dem Gefechtsfeld zu erhöhen.“

Abbildung 2: Auszug aus der Digitalstrategie der Bundesregierung:

60 Prozent KI-Systeme verschwieg der Bund in 2022. Heute? Unbekannt.

Stutzig wird man auch bei den Angaben aus dem Gesundheitsministerium, denn das Robert Koch-Institut meldete im vergangenen Jahr noch 8 KI-Anwendungen, in diesem Jahr jedoch keine einzige. Im Jahr 2022 hatte der Bundesrechnungshof festgestellt, dass die Bundesregierung in ihrer damaligen Antwort auf meine erste Anfrage zum Einsatz von KI im Bund etwa 60 % aller KI-Anwendungen “vergessen” hatte. Ich habe keine Möglichkeit festzustellen, wie hoch der Anteil der unterschlagenen KI-Anwendungen in diesem Jahr ist. Vielleicht ist er genauso hoch wie damals, dann gibt es möglicherweise schon 550 KI-Anwendungen im Bund, vielleicht ist auch nur das Dunkelfeld aufgehellt worden und der Anstieg von 86 KI-Anwendungen in 2022 auf mind. 219 in 2024 ist gar kein echtes Wachstum, denn mit den “verschwiegenen” Anwendungen wurden auch 2022 schon 215 KI-Systeme im Bund genutzt. Vermutlich liegt die Realität irgendwo in der Mitte – aber parlamentarische und öffentliche Kontrolle sollte nicht schätzen oder raten müssen, sondern klare Aussagen bekommen, sowohl was die nackte Anzahl eingesetzter KI-Systeme angeht (219 oder 550 oder noch mehr?), als auch was ihren Verwendungszweck, ihre Risikobewertung und viele andere Aspekte betrifft.

Vertrauen in den Einsatz einer mit hohen Chancen aber eben auch hohen Risiken behafteten Technologie baut man so nicht auf! Es ist eine der größten Schwächen der Ampel, dass sie zwar durchaus in diversen Strategien sinnvolle Ziele formuliert hatte, aber nicht ansatzweise in der Lage ist, die für die Umsetzung nötigen Voraussetzungen auch zu schaffen.

3.6 Nachhaltigkeit von KI spielt bei 3 von 4 Vorhaben überhaupt keine Rolle

KI-Systeme wachsen weltweit rasant, wodurch immer mehr und immer größere Rechenzentren entstehen, die riesige Mengen Wasser und eine exponentiell wachsende Menge erneuerbarer Energien verschlingen, die für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung steht, was den Ausstieg aus fossilen Energieträgern bremst. Ihre Hardware bindet außerdem Unmengen kritischer Rohstoffe, die in anderen Ländern z.T. unter fragwürdigen Umständen (Umwelt, Menschenrechte, Kinderarbeit…) gefördert werden und unsere Abhängigkeit erhöhen. Will man die Folgen der Klimakrise bekämpfen und die Umwelt schützen, muss der Einsatz von KI nachhaltig erfolgen.

Schon die GroKo verabschiedete ein Fünf-Punkte-Programm “KI für Umwelt und Klima” (Link), wonach der “Einsatz von KI-Technologien selbst klima- und umweltschonend erfolgen muss”, die Ampel kündigte in ihrer Digitalstrategie “Nachhaltigkeit by Design” an (Link) und das BMI versprach in seinen eigenen Leitlinien (Link) zum Einsatz von KI:

“Wir stellen stets Kosten und Nutzen von Anwendungen gegenüber. Dabei bewerten wir Nachhaltigkeit aus ökonomischer, ökologischer und organisatorischer Sicht”.

Nur 2% Förderungen mit umfassender Berücksichtigung ökol. Nachhaltigkeit

Diese Versprechungen haben mit der Realität einfach überhaupt nichts zu tun. Bei etwa 75 % der KI-Anwendungen im Bund werden ökologische Nachhaltigkeitsaspekte gar nicht berücksichtigt. Lediglich bei 2 % dieser knapp 219 Vorhaben wurden ökologische Nachhaltigkeitskriterien umfassend einbezogen. Selbst bei den vom Bund geförderten KI-Projekten spielt Nachhaltigkeit nur eine marginale Rolle. Wie will eine Regierung glaubwürdig ihre Forderung nach nachhaltigerem Einsatz von KI nach außen vertreten, wenn sie bei 98 Prozent der eigenen KI-Anwendungen selbst nicht hinreichend dafür sorgt? Man kann nicht Wasser predigen, aber Wein trinken, das führt zu Vertrauensverlusten, aber auch dazu, dass Unternehmen sich fragen, warum sie solchen Aufforderungen Folge leisten sollen, wenn es der Bund nicht mal selbst macht.

Enttäuschend ist dabei vor allem der Realitätscheck bei den beiden Ministerien, die sich ehrgeizige eigene KI-Leitlinien gegeben hatten. So hat das BMI, das laut eigenem Leitfaden “stets” Nachhaltigkeit beim KI-Einsatz berücksichtigen wollte, diesen Vorsatz in der eigenen Praxis bei 45 seiner 46 KI-Vorhaben (98%) komplett ignoriert, denn nur in einem einzigen Fall (BAMF) wurden Nachhaltigkeitsaspekte überhaupt betrachtet. Das BMDV wiederum schrieb sich in den eigenen Leitfaden: “Wir setzen auf nachhaltige KI-Lösungen”, aber tatsächlich spielten Nachhaltigkeitskriterien nur bei einem von 30 KI-Vorhaben (3%) tatsächlich eine Rolle und das war beim Deutschen Wetterdienst, der KI übrigens zur Simulation von Klimamodellen und zur Prognose schwerer Unwetterlagen verwendet.

Totalausfall: Klima- und Umweltministerium

Die beiden Ministerien mit Verantwortung für Umwelt und Klima sind leider ganz und gar keine Vorbilder. Das BMWK interessiert sich nicht mal, jedenfalls weiß man im Klimaministerium bei jedem vierten KI-Einsatz (11 der insgesamt 44 KI-Vorhaben) in seinem Geschäftsbereich nicht einmal, ob Nachhaltigkeit betrachtet wurde oder nicht, bei weiteren 31 KI-Vorhaben war die Antwort einfach “Nein”. Die Bilanz des Klimaministeriums bei seinen eigenen KI-Projekten ist daher bei 95 Prozent der Vorhaben (42 von 44) “keine Ahnung” oder “Nachhaltigkeit nicht betrachtet”. Ich wüsste schon gern, was Minister Habeck dazu sagt, ich vermute, dass er das nicht einmal weiß. Auch das Umweltministerium hat bei 11 KI-Projekten im eigenen Haus nur zwei mal Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt, und das ist erschütternd schlecht, denn das BMUV ist auch für das Thema Green IT im Bund zuständig.

Ökologische Nachhaltigkeit: keine Förderbedingung bei 98% der KI-Förderprojekte!

Aus dem Kopfschütteln kommt man aber erst recht nicht mehr raus, wenn man dann noch lesen muss, dass der Bund selbst bei der Vergabe von Fördergeldern nicht steuernd gewirkt hat, denn bei 98 Prozent der vom Bund seit Jan. 2023 geförderten KI-Forschungsprojektewar ökologische Nachhaltigkeit keinerlei Förderbedingung und bei über 80 Prozent der geförderten KI-Projekte war sie nicht einmal ein Förderkritierium, sondern spielte einfach überhaupt keine Rolle! Solche Zahlen lassen mich ehrlich gesagt ratlos zurück. Gerade wenn Millionen Euro ausgegeben werden, muss der Staat seiner Verantwortung gerecht werden und diese Mittel auch so ausgeben, dass sie das fördern, was auch langfristig für die Gesellschaft sinnvoll ist. Dazu gehört, KI-Systeme nur dann finanziell zu fördern, wenn sie auch in Sachen Nachhaltigkeit innovativ sind, denn so kann die Marktmacht des Staates gemeinwohlorientierten Innovationen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, der ihre Verbreitung unterstützt und sowohl einen direkten als auch einen indirekten Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten.

4. Fazit und Forderungen aus Linker Sicht

Das Fazit ist klar, vermutlich wird immer mehr KI im Bund eingesetzt, ohne die dafür erforderliche Sorgfalt, ohne die notwendigen Standards und Prozesse, ohne hilfreiche Strukturen, ohne hinreichend Kompetenz bei Anwender:innen und Entscheider:innen, ohne öffentliche Debatte und die dafür benötigte Transparenz. Daraus ergeben sich vier grundlegende Forderungen.

Was es aus linker Sicht braucht:

  1. Schere schließen zwischen “Immer mehr Einsatz von KI” bei “weiterhin fehlenden Supportstrukturen u ohne zentrale Koordinierung, ungenügendem Kompetenzaufbau”
  • Stelle für zentrale Koordinierung einrichten
  • Support-Strukturen aufbauen! BEKI, Algorithmen-Bewertungsstelle für Behörden mit Sicherheitsaufgaben und hinreichend ausstatten mit Ressourcen
  • Kompetenzaufbau: Kein Einsatz ohne Schulung! 
  1. Verbindliche Prozesse und Standards für Auswahl, Einsatz, Evaluierung von KI-Systemen, zum Beispiel:
  • Risikobewertung, vor jedem Einsatz, mit standardisiertem Risikoklassenmodell, nicht ohne Schulung, und nicht durch Anwender:innen selbst
  • Evaluation, immer – während und nach jedem Einsatz, nach einheitlichen Qualitätsstandards, nicht durch Anwender:innen selbst
  1. Gemeinwohlorientierung im Vordergrund, insbesondere Klimawirkung einbeziehen
  • Nachhaltigkeit als relevantes Entscheidungskriterium bei Einsatz im Bund und bei Förderprojekten
  • Prüfen der Erforderlichkeit der KI-Anwendung anhand der Bedeutung erwartbarer gesellschaftlicher Fortschritte in Abwägung zu Ressourcenverbrauch (Rohstoffe, Energie), Treibhauseffekt, Steuergeldverbrauch und Lösungsalternativen wie Software mit regelbasierten Algorithmen
  1. Maximale Transparenz: Öffentliches Register für KI Einsatz durch den Staat zeitnah umsetzen
  • Offene, gesellschaftliche Debatte! – nur so sind Vertrauen und Akzeptanz möglich
  • Keine Blackbox für besonders grundrechtssensible Bereiche!

Bereits zum dritten Mal in Folge hat meine Kleine Anfrage einen Beitrag zur dringend notwendigen Transparenz in die KI-Anwendungspraxis der Bundesregierung geleistet. Es ist vermutlich meine letzte, denn die Ampel ist in Auflösung begriffen und dem nächsten Bundestag gehöre ich nicht mehr an. Ich hoffe, es wird sich trotzdem endlich viel verbessern!

Herzlichen Glückwunsch und ein Dankeschön an alle, die bis hier diesen sehr langen Text gelesen haben. Mein Team und ich haben viel Arbeit in diese Analyse gesteckt und schätzen die Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema. Sollte es Fragen und/oder Hinweise dazu geben, stehen wir unter anke.domscheit-berg@bundestag.de gerne zur Verfügung.

Mit wie viel Geld fördert der Bund immer noch Blockchain Vorhaben? Das fragte ich mich, als mir auffiel, dass laut Haushaltstitel „Innovative Anwendungen von Künstlicher Intelligenz“ auch Blockchain gefördert werden kann – das stand im Kleingedruckten. Man muss kein Techie sein, um zu verstehen, dass KI und Blockchain völlig unterschiedliche Dinge sind und so ein Haushaltstitel in die Irre führt. Beide Technologien haben aber eine Gemeinsamkeit: erst war Blockchain der heißeste Scheiß, danach wurde der Blockchain Hype Cycle vom Thema Künstliche Intelligenz abgelöst. Ich wollte genauer wissen, wieviel Fördergelder die Ampel-Regierung auch jetzt noch für die Förderung von Blockchain ausgibt, eine Technologie, die vor allem wegen ihres eklatanten Missverhältnisses von Nutzen zu unerwünschten Nebenwirkungen heftig kritisiert wurde und habe die Bundesregierung dazu befragt und danach, was sie zum nachhaltigen Erfolg bisher geförderter Blockchain-Projekte weiß. Die Antworten sind krass.

tl;dr:

  • 29 Mio Euro Fördergelder in 2024 für Blockchain Projekte, laut Bundesregierung, evtl. sogar mehr
  • 230 Vorhaben von 5 Ministerien, mehr als die Hälfte vom BMWK
  • Förderschwerpunkte: Mobilität, Energie, Lebensmittelindustrie, Wirtschaftsförderung (Industrie 4.0) und Bildung
  • Förderergebnis? Unbekannt! Keine Evaluation zur Weiterexistenz geförderter Blockchain-Projekte der letzten Jahre
  • Es geht um 215 Mio Euro Förderungen für Blockchain-Projekte der letzten Jahre
  • Evidenzbasierte Förderung findet nicht statt – ob Steuergeld sinnlos verbrannt wurde, interessiert den Bund nicht
  • Das Geld fehlt woanders, z.B. bei der Förderung des Open Source Ökosystems

Nachfolgend meine ausführliche Analyse der Antwort der Bundesregierung.

Am Ende dieses Beitrags gibt es noch Links zu:

  • den Antwort-Dokumenten im Original,
  • einem Zahlen, Daten, Fakten Dokument mit zusätzlichen Hintergrundinformationen („Analyse-Doc“),
  • einer Excel-Tabelle, damit ihr alle Zahlen nachvollziehen könnt (das Antwort-Dokument war ein unmöglich formatiertes pdf Dokument),

Förderung nach „Hype“ statt evidenzbasiert

Mit Fördergeldern können Regierungen steuernden Einfluss auf die Entwicklung von Technologien und Innovationen nehmen, sie können bremsen oder für Rückenwind sorgen. Deshalb ist es relevant, wie viel Fördergeld aus welchen Gründen für welche Technologien ausgegeben wird und ob die gewünschten Ziele damit erreicht werden. Seit Jahren stelle ich fest, dass nicht die Technologien gefördert werden, die tatsächlich von besonderer strategischer Bedeutung sind, sondern eine Förderung nach „Hype“ erfolgt, deren Sinnhaftigkeit nicht einmal überprüft wird. An bestimmte Technologien, die alle paar Jahre wechseln, werden völlig irrationale Erwartungen geknüpft, die plötzlich alle möglichen gesellschaftlichen Probleme lösen sollen, an deren Lösung die Regierungen bisher scheiterten. Das lässt Regierungen innovativ erscheinen, und übertüncht ihr flächendeckendes Versagen bei der realen Digitalpolitik. Die weiterhin erschreckende digitale Inkompetenz in politischen Führungsebenen dürfte außerdem eine realistische Bewertung der Technologie-Hype-Cycles verhindern.

Kein Monitoring: Ergebnis von über 200 Mio € Förderung für Blockchain bleibt Blackbox

Die Bundesregierung gab in ihrer Antwort auf meine Schriftliche Frage zu, dass sie keinerlei Monitoring über die Nachnutzung von Förderprojekten im Rahmen kommerzieller Geschäftsmodelle durchführt. Dabei sollte gerade dann die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen eine Rolle spielen, wenn es um Zuschussförderung der Wirtschaft geht. Es ist völlig klar, dass man auch mal ins Risiko gehen muss und nicht aus jeder Förderung ein tragfähiges privatwirtschaftliches Geschäftsmodell wird. Aber genauso klar ist auch, dass der Bund eine Verantwortung bei der Vergabe von Fördergelder hat, um einerseits ihre Verschwendung zu verhindern und andererseits ihre Wirkung zu maximieren. Diese Bewertung erfordert jedoch ein Monitoring bereits erfolgter Förderungen, damit für nachfolgende Haushaltsjahre eine Nachsteuerung erfolgen kann und aus Fehlern gelernt wird.

Die Folgen sind aber nicht nur sinnlos ausgegebenes Geld und falsche Signale in den Markt, sondern auch der schlichte Umstand, dass man einen Steuer-Euro nur einmal ausgegeben kann, jeder sinnfrei verbrannte Euro also an anderer Stelle fehlt, auch für strategisch wichtige Investitionsbedarfe.

Millionen und Milliarden für Hype Tech, Peanuts für Open Source

So ergab eine Kleine Anfrage von meiner MdB Kollegin Petra Sitte und mir (LINK) und meine aktuelle Schriftliche Frage an die Bundesregierung ein Fördervolumen von insgesamt ca. 250 Millionen Euro für Vorhaben mit Blockchain-Technologie seit 2017, davon entfielen 29 Millionen auf 2024. Laut meiner Kleinen Anfrage vom Juli 2024 (Link) wird die Nachfolge Hype Technologie Künstliche Intelligenz sogar mit 1,1 Milliarden Euro gefördert. Gleichzeitig sind Fördergelder für Open Source Infrastrukturen, die die digitale Souveränität stärken würden und einen positiven Impact sogar auf globale Tech-Ökosysteme haben könnten, viel zu gering. Die wenigen Millionen für den Souvereign Tech Fund sollten sogar für 2025 gekürzt werden, was nur im parlamentarischen Verfahren verhindert werden konnte.

Es ist höchste Zeit, dass Fördergelder sinnvoller vergeben werden, dass ihre Wirkung evaluiert wird und dass die Erkenntnisse dieser Evaluationen in die Planung neuer Förderprogramme einfließen. Eine Förderung von Technologien um ihrer selbst willen, wie durch den Haushaltstitel „Innovative Anwendungen von KI“, sollte es gar nicht geben, denn damit wird vor allem eine Hype-Technologie noch weiter gehyped. Und das verführt dazu, Förderanträge zu stellen für Zwecke, wo diese Technologie gar keinen Sinn macht. Besonders verrückt ist aber, dass sich dem genannten Haushaltstitel auch Ausgaben des BMDV in Höhe von mehr als 3,5 Millionen Euro für Blockchain-Vorhaben verbergen. Es widerspricht dem Anspruch an Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, wenn ein Titel Künstliche Intelligenz verspricht, aber Blockchain fördert.

230 Blockchain-Förderprojekte in 2024 – 85 mehr als 2022

Das Ausmaß der geförderten Blockchain Projekte überrascht, denn ihre Anzahl ist seit meiner letzten Kleinen Anfrage Anfang 2022 sogar von 145 auf 230 angewachsen, allerdings hat sich die Fördersumme deutlich reduziert, was aber auch daran liegen kann, dass es die zusätzlichen Milliarden für Konjunkturprogramme aus den letzten Jahren nicht mehr gibt.

Es fällt auf, dass in 2024 nur noch fünf Ministerien statt der zehn in 2022 Blockchain Vorhaben fördern, übrig geblieben sind und dass sich das Engagement zur Förderung von Blockchain sehr stark unterscheidet.

Das BMAS, BMG, BMI, BMJ und BMZ waren in der Kleinen Anfrage von 2022 noch mit Förderprojekten dabei, in 2024 nicht mehr.

1 Mio € für Digitale Identitäten mit Blockchain – ein Totes Pferd

Der Fokus der Förderung hat sich ebenfalls verschoben. Für die Förderung Digitaler Identitäten mit Blockchain-Bezug fließen in 2024 nur noch knapp eine Million Euro Steuergeld, es sind vor allem Mittel aus dem mehrjährigen Vorhaben „Schaufensterprojekte Digitale Identitäten“, das noch von der GroKo Regierung beschlossen wurde und insgesamt stattliche 50 Millionen Fördergeld verschlang. Mit der blockchain-basierten ID-Wallet hatte die Vorgängerregierung noch gewaltig Schiffbruch erlitten. Die ID-Wallet mit digitalem Führerschein sollte als Vorzeigeprojekt vor den Bundestagswahlen die Stimmung heben und musste stattdessen wegen irreparabler Sicherheitsprobleme nach wenigen Tagen eingestellt werden. Die Ampel setzt bei ihren neuen Konzepten für Digitale Identitäten nicht mehr auf Blockchain Konzepte und das ist auch gut so. Dass die Ampel beim Thema Digitale Identitäten trotzdem weiterhin den elektronischen Personalausweis vernachlässigt (seit Jahren wurde z.B. eine Marketingkampagne versprochen und fällt stets wegen Geldmangel aus) und bei der EUID gerade seltsame Wege geht, ist eine andere Geschichte… Was die verplemperten 50 Mio Fördergelder für Blockchain-IDs unterm Strich brachten (ich erwähnte es schon), das weiß die Ampel jedenfalls nicht und das interessiert sie auch null.

Weitere Millionen für Mobilität, Energie, Lebensmittelindustrie, Industrie 4.0 und Bildung

Ob tatsächlich alle 230 Projekte Blockchain enthalten, konnten wir nicht abschließend verifizieren. Für 23,7 Millionen der 29 Millionen Fördersumme ließ sich das durch die Vorhabenbeschreibung oder öffentliche Quellen bestätigen. Unsere Clusterung dieser zweifelsfreien Blockchain-Projekte ergab große Schwerpunkte der Förderung in den Branchen Mobilität und Verkehr (6 Mio €), bei Energiethemen (4 Mio), Lebensmittelindustrie (3 Mio) sowie für diverse Förderungen der Wirtschaft (4,8 Mio) vor allem mit Bezug auf Industrie 4.0 und den Bildungssektor (1,3 Mio). Die vollständige Projekt-Liste und unsere Cluster finden sich in den unten verlinkten Dokumenten.

Bei manchen Projekten fragt man sich schon, ob man da mit Gewalt einen use case erfinden wollte, wie z.B. bei einer Blockchain zur Rückverfolgbarkeit von eFuels. Manche sind so ungenau beschrieben, dass sie keinerlei Bewertung zulassen, z.B. „Anwendungen in der Luftfahrt“, die mit immerhin einer Viertelmillion Euro bezuschusst wurden, oder „Erschließung neuer Lieferketten für die Raumfahrt“ mit vergleichbarem Volumen.

Blockchain für: Energienetze, Schweine, Kartoffeln und Weiterbildungsbiographien

Blockchain-Anwendungen können in sehr spezifischen – ebenfalls geförderten – Bereichen sinnvoll sein, z.B. bei der Organisation von Energienetzen, die smart, verteilt und flexibel sind. Sie können Energiegenossenschaften oder Peer-to-Peer Energiehandel erleichtern und vielleicht sind auch die Projekte zum „Digitalen Zertifikatssystem der Kartoffel-Wertschöpfungskette“ oder zur „Rückverfolgbarkeit und Transparenz entlang der Wertschöpfungskette Schwein“ sinnvolle Anwendungen, das müßte eine spätere Evaluation feststellen, die es wahrscheinlich auch nicht geben wird. Für bestimmt überflüssig halte ich die „dezentrale Speicherung individueller Weiterbildungsbiographien“, deren Umsetzung mit einer Blockchain auch eine Viertelmillion Steuer-Euros verschlang. Auch die eine Million für das Projekt mit dem komplexen Titel: „KI-gestütztes personalisiertes und adaptives Lernangebot zur Förderung der Digitalkompetenz Lehrender in der Weiterbildung, das auf verteilten Plattformen stattfindet und mit fälschungssicheren Zertifikaten abschließt“ klingt nach Humbug. Ich kenne keinen einzigen Fall, wo ein Arbeitgeber ein fälschungssicheres Weiterbildungszertifikat sehen wollte und ganz gewiss gäbe es hinreichend sichere Alternativen, die mit erheblich weniger Ressourcenverbrauch auskommen.

Fazit

Von evidenzbasierter Förderpolitik ist die Bundesregierung weit entfernt. Das schmerzt, denn gerade wenn die Wirtschaft schwächelt, der soziale Zusammenhalt gefährdet ist und das Gemeinwohl ständig den Kürzeren zieht bei Haushaltsverhandlungen, ist eine kluge Haushaltsführung wichtig. Wir können uns nicht länger leisten, Geld zu verbrennen, das an kritischen Stelle fehlt. Es braucht dafür mehr Kompetenz und mehr Zurückhaltung bei der Förderung von Hype-Tech. Vielleicht sind ja manche der 230 geförderten Blockchain Projekte sogar sinnvoll, (zu) viele sind es aber vermutlich nicht. Denn das Verhältnis von Erfolg zu Misserfolg ist gerade bei Hype-Tech oft schlecht und ein Monitoring daher umso wichtiger. Aus möglichen Förderfehlern lernen will die Ampel-Regierung leider nicht. Das muss sich ändern.

Links:

Screenshot: Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage

In einer aktuellen Kleinen Anfrage an den Bund habe ich viele Fragen rund um Microsoft, die Microsoft-SAP-Cloud („Delos-Cloud“), zu Abhängigkeiten, IT-Sicherheit, zur Digitalen Souveränität und vor allem zum konkreten Lobbyismus zwischen Bundesregierung, Microsoft und SAP gestellt und erhellende Antworten erhalten. Ein derartiges Ausmaß an Lobbyismus, also an Treffen auf höchsten Ebenen zwischen der Bundesregierung und großen Tech Firmen, ist mir noch nicht begegnet – 12 Mal war sogar Kanzler Scholz dabei, über 110 Treffen gab es in nur 2,5 Jahren. Aber bevor ich Euch die Antworten des Bundes beschreibe, erst mal ein bisschen zum Hintergrund. Wer sich nur für die Neue Kleine Anfrage interessiert, springt am Besten direkt dorthin.

Monokulturen (wie Microsoft) in der IT sind ein strukturelles Risiko – und sehr teuer

Die Abhängigkeit von einigen US-Konzernen ist groß, steigt und diversifiziert sich. Das ist nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Monokulturen in der IT sind genauso ein strukturelles Risiko, wie Monokulturen in der Natur. Hier ein paar Fakten zur Einordnung:

  • Der laufende Rahmenvertrag des Bundes mit Microsoft hat ein Volumen von 1,3 Milliarden (!) Euro, er läuft im Mai 2025 aus
  • Neben MS Office nutzt der Bund viele weitere Dienste von Microsoft, darunter Outlook für Mails, Teams für Videokonferenzen, Co-Pilot als KI-Assistent und diverse Server und Clouddienste. Diese Abhängigkeiten verstärken sich gegenseitig! MS Office möchte Microsoft im Rahmen der Cloud-First-Strategie nur noch in der Cloud anbieten (Microsoft 365), aber es muss die Microsoft Cloud sein… Ein klassisches Beispiel für einen funktionierenden Lock-In Effekt. Verschiedene Microsoft Produkte werden stark miteinander integriert, während die Integration zu externen Diensten absichtlich begrenzt ist. Deshalb läuft das Office-Paket Microsoft 365 auch auf keiner fremden Cloud.
  • Seit Jahren steigen die Kosten des Bundes für Microsoft Lizenzen und Dienstleistungen, von 2017 bis 2023 ein Plus von 270 Prozent, rund 200 Millionen Euro flossen allein in 2023 aus dem Bundeshaushalt an das US-Unternehmen.

Bund versucht, Abhängigkeit von Microsoft zu verschleiern

  • Die Transparenz zur Abhängigkeit und ihren Kosten ist inakzeptabel schlecht. Meine Kleine Anfrage zum Stand von Open Source im Bund vom Dezember 2023 ergab nicht nur die hohen Volumen für Rahmenverträge, sondern auch, dass frühestens 2024 ein Lizenzmanagement des Bundes eingesetzt wird – der Bund weiß also gar nicht, wo er genau was für Software einsetzt.
  • Aber was bezahlt wurde, das ist bekannt und wird Jahr für Jahr von meinem MdB Kollegen, dem Haushaltspolitiker Victor Perli, abgefragt. In diesem Jahr wurden zum ersten Mal vom Bund die Antworten nach den Ausgaben für Microsoft Lizenzen als VS-NfD eingestuft, was bedeutet hätte, dass ich die o.g. Kosten von 200 Mio Euro gar nicht hätte verraten dürfen. Erst nach einer Beschwerde wurde die Einstufung aufgehoben. So ein Vorgehen ist unwürdig, beschränkt sowohl die parlamentarische Arbeit als auch die öffentliche Debatte zu einem Thema, das selbst die Ampel zu einer Priorität erklärt hat: Digitale Souveränität.

Leere Versprechen: Kaum Open Source im Bund, Milliarden für Großkonzerne

  • Im Koalitionsvertrag stand noch: „Entwicklungsaufträge für Software beauftragen wir im Regelfall als Open Source“, die im vorherigen Abschnitt verlinkte Kleine Anfrage von mir ergab jedoch einen großen Widerspruch: nur lächerliche 0,5% Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software entfielen in der aktuellen Legislatur auf Open Source, bei einem Gesamtvolumen von mind. 3,5 Mrd €,  und für Entwicklungsaufträge hat z.B. das BMDV auch nur 0,5% seiner Gesamtausgaben von 22 Mio € für die Entwicklung von Open Source-Software beauftragt. Alle Details dazu, finden sich in meiner Berichterstattung vom Dezember 2023.
  • Daran wird sich auch nichts ändern, denn die mickrigen Budgets für Open Source wurde schon im aktuellen Haushalt gekürzt und sollen im Haushalt 2025 noch einmal kräftig zusammengestrichen werden, dazu gleich mehr. Die Ausgaben für gigantische Rahmenverträge steigen jedoch Jahr für Jahr. Oracle: 4,6 Milliarden € Rahmenvertrag, SAP: 700 Millionen Euro Rahmenvertrag, der Microsoft Rahmenvertrag wird gerade verhandelt, der aktuelle umfasst 1,2 Milliarden €.

Abhängigkeit von Microsoft – ein Risiko für IT-Sicherheit und Daten

  • Auch im Digitalausschuss befassten wir uns mit der mangelhaften IT-Sicherheit von Microsoft, insbesondere mit drei sehr großen Sicherheitsvorfällen (das war noch vor Crowdstrike) allein aus den letzten 12 Monaten. US-Berater des Präsidenten stellten fest, dass Microsoft der IT-Sicherheit zu wenig Priorität einräumt und damit selbst zum Sicherheitsrisiko wird. Dabei stellte sich heraus, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sogar Rechtswege gegen Microsoft beschreiten musste, um an sicherheitsrelevante Informationen heranzukommen, die die Nutzung von Microsoft Cloud Diensten betreffen. Der US-Kongress hat die Nutzung des Microsoft Co-Pilot wegen Sicherheitsrisiken sogar ganz verboten.
  • Der EU-Datenschutzbeauftragte kritisierte, dass die Nutzung von Microsoft 365 rechtswidrig sei und ein Bruch der Datenschutzverordnung für EU-Institutionen. Die deutsche Datenschutzkonferenz warnte in 2023: “Rein vertragliche Maßnahmen genügen in der Regel nicht, auch wenn die Datenverarbeitung regelhaft ausschließlich im Europäischen Wirtschaftsraum erfolgt” (um einen Zugriff auf die Daten durch US-Behörden zu verhindern).
  • Ein von mir beauftragtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes stellte fest: wirkliche Sicherheit gegen Zugriffe von US-Geheimdiensten auf Daten, die mit Software von US-Unternehmen oder ihren Töchtern verarbeitet werden, gäbe es nur bei einer effektiven technischen Trennung. Ob es eine solche Trennung überhaupt geben kann, z.B. weil ja irgendwie Updates von Microsoft auf die in Deutschland bei Deutschen Unternehmen gehosteten Server kommen müssen, habe ich daher auch in der vorliegenden Kleinen Anfrage erfragt.
  • Noch ist die Datenverarbeitung rechtssicher auch bei Datenübermittlung in die USA möglich – solange ein für wahrscheinlich anzunehmendes Schrems III-Urteil nicht das neueste US-EU Data Privacy Framework (Privacy Shields 2.0) kippt. Ich würde keinen Cent dagegen wetten. Unabhängig davon bestehen Risiken auch wegen des CLOUD-Acts, der Herausgabepflichten auch von ausschließlich in Europa verarbeiteten und gespeicherten Daten regelt. Solange die US-Rechtslage so bleibt, dass sie die Menschenrechte nur für US-Bürger*innen, nicht aber für EU-Bürger*innen verankert sind, bleibt klar: Sicherheit geht nur mit weniger Abhängigkeit von Microsoft.

Kl. Anfrage zu Microsoft + Delos-Cloud – wichtigste Erkenntnisse

Kanzler meets SAP CEO – 73 Lobbytreffen zwischen Bund und SAP

  • In a Nutshell: Es gab extrem viele Kontakte zwischen den höchsten Ebenen des Bundes und von SAP
  • Bei 63 Terminen seit 2022 gab es mehr als 73 Kontakte zw. Bund u SAP, davon entfielen 44 allein auf das BMI (15), Kanzleramt u Bundespresseamt (15) und BMF (14)
  • 19 Mal ging es dabei explizit um Delos Cloud – in 2024 bei 9 von 15 Terminen (60%)
  • 10 Mal war der Kanzler selbst dabei, 20 Mal Minister:innen und 13 Mal die Spitzen von Behörden, darunter 9 Mal der/die Präsident:in des BSI (Sicherheitsfragen spielten offenbar eine wichtige Rolle und das ist eine gute Nachricht), 38 Mal waren Staatssekretär:innen präsent
  • auch auf Seiten SAP nahmen 51 Mal höchste Führungsebenen teil – CEO/ Vorstandsmitglieder/ Geschäftsleitung/ Vicepresident/ Senior Vice President beteiligt, darunter 3 mal der CEO der Delos Cloud GmbH, und erstaunliche 20 Mal der SAP CEO selbst. Man erkennt, es geht um viel Geschäft.

Massiver Lobbyismus: 50 Treffen zwischen Bund und Microsoft

  • Hoher Lobbydruck und sehr enge Beziehungen gibt es auch zwischen Microsoft und Bund 
  • Mehr als 50 Mal trafen in den letzten 2,5 Jahren höchste Ebenen des Bundes mit höchsten Ebenen von Microsoft zusammen
  • 23 Mal ging es dabei um das Thema Cloud, in 2023 war das bei mehr als der Hälfte aller Termine der Fall. 
  • Über 60 Mal war dabei höheres Management von Microsoft vertreten – vom General Manager über Senior Vice Präsidenten oder den CEO Global und die Deutschlandchefin von Microsoft (16 Mal). 
  • Fast 70 Mal schüttelten die Unternehmensvertreter:innen die Hände hoher Bundesbeamter, von Staatsekretär:innen (10), den Spitzen von Bundesbehörden (19), von Minister:innen  (18) oder die des Kanzlers (2 Mal). 9 Mal war Robert Habeck dabei. 

Kanzler und BMI lobbyieren massiv für Delos-Cloud

  • Die Bundesregierung bestätigt in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage: Kanzler Scholz machte am 20.6.24 die Delos Cloud bei der Ministerpräsidentenkonferenz zum Thema. Das ist schon erstaunlich, denn bisher interessierte sich Scholz nullkommanix für digitale Themen.
  • Außerdem: Die direkt danach und ultrakurzfristig für den 27.6.24 anberaumte Sondersitzung des ITPlanungsrates war eindeutig eine Folge dieser MPK (Frage 9) und es ging dabei nur um die Delos Cloud. Dort wurde ein Beschluss diskutiert, in dem das “gemeinsame Interesse” und der “Mehrwert einer gemeinsamen Nutzung” der Delos-Cloud festgehalten werden sollte. Ein solches “gemeinsames Interesse” sei relevant für Investitionsentscheidungen von Seiten Microsoft, Delos und der Delos-Eigentümerin SAP. Der Bund denkt also weniger an IT-Sicherheit oder effiziente Steuermittelverwendung oder an sein Versprechen, vor allem Open Source einzusetzen, sondern macht sich vor allem um die Profitabilität von SAP und Microsoft Gedanken. Der Kanzler und das BMI machen sich damit zum langen Arm des Vertriebes großer IT-Unternehmen.
  • Kurz vor der MPK beehrte Kanzler Scholz übrigens den Gründer von SAP Hasso Plattner bei dessen Abschiedsfeier…Honni soit, qui mal y pense (Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?). 

Kein Schritt in Richtung digitale Souveränität – im Gegenteil!

  • Bisher hat die Bundesregierung keinerlei Zusicherung von Microsoft, dass weiterhin On-Premise Lösungen für die Bundesverwaltung angeboten werden können  (Frage 6)
  • Im Gegenteil: die Ampel geht selbst davon aus, dass sich die angekündigte “Cloud-first-Strategie” von Microsoft auch konkret auf die bisher On-Premise genutzten Lösungen in der Bundesverwaltung bezieht (siehe Vorbemerkungen der Bundesregierung in ihrer Antwort)
  • Trotzdem werden die Abhängigkeiten geleugnet und das Erpresserpotenzial heruntergespielt, z.B. schreibt die Bundesregierung einerseits, ihr Interesse an der Delos Cloud hätte nichts mit Abhängigkeiten von Microsoft zu tun (Frage 12) und erklärt andererseits, dass die geplante Weiterentwicklung des IT-Arbeitsplatzes (mit Microsoft Exchange) eine Anbindung an die Microsoft Cloud (Azure) erforderlich mache (Frage 6).  
  • Abhängigkeiten zu US-Konzernen und IT-Sicherheitsrisiken hat die Ampel offenbar generell nicht hinreichend im Blick: Erst vor kurzem zeigte eine Kleine Anfrage von mir auf, dass der Bund extrem abhängig vom US-Konzern Broadcom ist, weil deren Produkt „VMware“ in der IT des Bundes mit heftigem Lock-In-Effekt verankert ist und Open Source-Alternativen nicht forciert wurden.

Bund weiß nicht, ob Delos-Cloud sicher und rechtskonform ist

  • Klipp und klar steht in der Antwort der Bundesregierung, dass noch völlig offen ist, ob die Delos Cloud sicher und rechtskonform verwendbar ist
  • Denn das wird immer noch geprüft (Frage 8a/b; 16), der Ausgang dieser Prüfung sei “offen”. Interessant ist dabei, dass bereits im Juni 2024 ein neuer Rahmenvertrag mit SAP geschlossen wurde, dessen Volumen mit 700 Mio € dreimal so hoch ist wie der Vorgänger-Rahmenvertrag, der auch Cloud Lösungen umfasst.
  • Die Open Source Business Alliance hatte in einem offenen Brief vor den Risiken der Delos-Cloud gewarnt und auf datenschutzrechtliche, vergaberechtliche, sicherheitstechnische, und strategische Risiken hingewiesen. Der Bund erklärt nun auf Nachfrage, dass man diese Bedenken zwar teile, aber dass sie nicht zu einer Infragestellung der Delos-Cloud führen würden. Auch da gibt es unauflösbare Widersprüche, denn der Bund teilt gleichzeitig mit, dass eine Nutzung der Microsoft Cloud vom positiven Ergebnis des laufenden “Prüfauftrages” des IT-Rats abhängig sei, der die Themen Informationssicherheit, Datenschutz und Geheimschutz hoch priorisiere. Der Widerspruch löst sich nur dann auf, wenn das Ergebnis des Prüfauftrages bereits vorab feststeht und die Bedenken ausräumt.

Abgeschottete Cloud? Nope! Direkte Netzverbindung zu Microsoft bestätigt!

  • Das Hauptargument für die Delos-Cloud ist bisher, dass sie die Microsoft Azure Cloud in Deutschland und im Rechenzentrum eines deutschen Unternehmens, der 100%igen SAP Tochter Delos Cloud GmbH betreibt und damit die technische Trennung vor einem Zugriff von US-Geheimdiensten auf deutsche Daten schützt. Laut Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist nur eine echte technische Barriere gegen jeden Zugriff von US-Behörden über zur Kooperation verpflichtete US-Unternehmen wirklich sicher. Nun gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort zu: eine direkte Netzverbindung zwischen der Delos-Cloud und Microsoft ist zwingend erforderlich (Frage 14a), weil regelmäßig Updates eingespielt werden müssen! Und das hat natürlich Auswirkungen auf die Sicherheit, denn so ist nie ganz überprüfbar, was an Updates von Microsoft eingespielt wirdAuch die Sicherheit dieser Verbindung untersucht übrigens das “Prüfungsprojekt des Bundes”. 
  • Sicherheit spielte offensichtlich bei vielen hochrangigen Gesprächen eine wichtige Rolle, das zeigt auch, dass 20 Mal der Präsident bzw. die Präsidentin des BSI bei Gesprächen mit Führungskräften von Microsoft (11 Mal) und SAP (9 Mal) dabei war. Dabei ging es jedoch auch um andere Sicherheitsprobleme bei Microsoft. 
  • Funfact: die Bundesregierung erklärte auch, die No-Spy-Klausel gäbe es nur für “Gewährleistungsansprüche im Schadensfall”, deshalb unterschreiben diese zwar alle Vertragspartner, aber überprüft wird da nix (Frage 18c).
  • Damit bleiben US-gesetzliche Herausgabepflichten von Kundendaten, über deren mögliche praktische Anwendung die die US-Unternehmen übrigens schweigen und im Ernstfall sogar lügen müssen, ein reales Risiko, z.B. könnten über Updates Hintertüren eingebaut werden.

Bund hofft auf Einsparungen, kommen werden höhere Kosten

  • Es ist geradezu putzig. Die Bundesregierung gibt Jahr für Jahr mehr Geld aus für Microsoft Lizenzen und hofft nun, durch die Nutzung ZUSÄTZLICHER Produkte von Microsoft (nämlich die Azure Cloud, verwendet von SAP) künftig Geld einsparen zu können (Frage 11). Damit ignoriert sie außerdem die erwartbaren Mehrkosten, denn Kostensteigerung durch Mietmodelle u lock-in-Effekte sind häufig. 
  • Gleichzeitig legt die Bundesregierung einen unfassbaren Anti-Souveränitäts Haushalt 2025 vor und kürzt bei allem, was für Alternativen zu Microsoft wichtig wäre: z.B. beim Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) und der FITKO. Die Mittel für das ZenDiS wurden von 2023 auf 2024 bereits von etwa 50 Millionen auf weniger als 25 Millionen € gekürzt. In 2025 soll das ZenDiS nur noch 2,7 Mio € enthalten (Haushaltsentwurf 2025) – das ist eine Kürzung um fast 90%. Das ZenDiS soll übrigens die Alternative zu Microsoft Office entwickeln, die OpenDesk heißt, und neben klassischer Office Software auch Open Source Varianten für Videokonferenzen, Mail, Cloudspeicher und Messenger enthält. OpenDesk sollte ab 2025 „breitflächig“ im Bund ausgerollt werden. Das wird wohl kaum möglich sein mit einem solchen Budget. Wir erinnern uns: in 2025 läuft auch der Microsoft Rahmenvertrag aus und wird erneuert, dann aber vermutlich in Verbindung mit der Delos-Cloud, weil es nur noch die Cloud-Variante geben wird. Open Source würgt man finanziell ab, damit Großkonzerne noch mehr Geschäft machen können und die Abhängigkeiten weiter steigen.
  • Wirklich Geld sparen könnte der Bund, wenn endlich ordentlich in Open Source Alternativen investiert würde, denn damit gäbe es ein echtes Ausstiegsszenario aus der extremen Abhängigkeit von Microsoft, die den Bund jährlich hunderte von Millionen Euro kostet.

Delos-Cloud konterkariert deutsche Verwaltungscloudstrategie

  • Im Koalitionsvertrag steht wörtlich: “Auf Basis einer Multi-Cloud Strategie und offener Schnittstellen sowie strenger Sicherheits- und Transparenzvorgaben bauen wir eine Cloud der öffentlichen Verwaltung auf.” Meine Frage nach Widersprüchen zwischen den Transparenzvorgaben der Verwaltungscloudstrategie (DVS) und einer Microsoft-basierten Delos-Cloud, beantwortete die Bundesregierung inhaltlich überhaupt nicht (Frage 8d). Stattdessen behauptete sie einfach, man setze die Verwaltungscloudstrategie um.
  • Dazu kann ich nur feststellen: Wer derart massiv für eine “gemeinsame” Nutzung der Delos (=Microsoft) Cloud wirbt, setzt keineswegs eine Multicloud-Strategie um. Außerdem entspricht das nicht dem erklärten Vorrang für eine Open Source Cloud, der explizit in der Deutschen Verwaltungscloudstrategie formuliert ist.
  • Völlig irre finde ich die Antwort der Bundesregierung auf meine Frage, ob die Delos Cloud der grundsätzlichen Beauftragung von Entwicklungsaufträgen als Open Source Software nicht widerspricht. Sie verweist nämlich nur auf den rein theoretischen Vorrang von Open Source im neuen eGovernment Gesetz, weicht also eigentlich nur aus. Ganz praktisch ist die Delos Cloud genau null Open Source und ganz praktisch werden nur 0,5 Prozent der Software Entwicklungsaufträge des Bundes als OSS beauftragt (siehe meine Kleine Anfrage 20/9417). Man könnte auch argumentieren, Delos sei letztlich ein Produkt von SAP und deshalb kein Software-Entwicklungsauftrag der Verwaltung, aber die Delos-Cloud wird extra für den Einsatz in der öffentlichen Verwaltung entwickelt und insbesondere für den Bund, aber Open Source hat vermutlich trotzdem bei all den zig Lobbyterminen mit SAP und Microsoft niemand aus der Bundesregierung je angesprochen und gefordert. Der Bund hat schlicht keinen Bock auf Open Source.

Durchblick? Lizenzmanagement Tool kommt erst noch

  • Teil des Problems ist, dass nicht mal der Bund selbst weiß, welche Software Lizenzen er besitzt und/oder welche davon die Behörden nutzen. Ich habe seit Jahren immer wieder nachgefragt, auch in dieser Kleinen Anfrage. Und siehe da, endlich wird ein Software Lizenzmanagement Tool des Bundes ausgerollt, aber erst jetzt und erst mal nur für vier Behörden.
  • Bis Ende 2024 kommt das Lizenzmanagement für zwei Ministerien und zwei Bundesbehörden (Bundesarchiv und Eisenbahnbundesamt), Mitte 2025 sollen fünf, bis Ende 2025 drei weitere Behörden dazukommen, darunter drei Ministerien. Ob es danach weiter geht, hängt laut Antwort der Bundesregierung „von der Haushaltslage“ ab. Das läßt nichts Gutes ahnen.
  • Transparenz ist elementar für gute Staatsführung, nach innen und nach außen, sie muss deutlich höhere Priorität genießen! 

Das war meine Analyse der Kleinen Anfrage, nachfolgend gibts noch Pressestatements von mir dazu und darunter – ganz am Ende – gibts die Links zu den Antwort Dokumenten der Bundesregierung und weitere interessante Quellen.

Meine Pressestatements zur Kleinen Anfrage Microsoft / Delos-Cloud

Zusammenfassend:

„Die extreme Kontaktdichte zwischen hochrangigen Regierungsvertreter:innen und höchsten Repräsentant:innen von SAP und Microsoft in den letzten zwei Jahren wirft Fragen auf und ein schlechtes Licht auf die Bundesregierung, denn obwohl sie zugibt, dass es noch jede Menge offener Fragen zur sicheren Verwendung der Microsoft Cloud unter dem Dach der SAP-Tochter Delos gibt, wurde bereits im Juni ein aufgeblähter Rahmenvertrag mit SAP für ihren Einkauf abgeschlossen, und machte Kanzler Scholz auf der MPK und Nancy Faesers Staatssekretär auf einer Sondersitzung des IT-Planungsrates Werbung für die Delos Cloud bei den Bundesländern. 

So stärkt die Bundesregierung die von ihr immer wieder wortreich angestrebte Digitale Souveränität Deutschlands nicht, sie wird im Gegenteil drastisch geschwächt. Denn wenn das Buddy-System des Dreigestirns aus Bundesregierung und dem Topmanagements bei SAP und Microsoft dazu führt, dass die auf Open Source setzende Deutsche Verwaltungscloud Strategie munter ignoriert und eine Microsoft Cloud im Delos Mantel zur Haupt-Cloud staatlicher Stellen werden kann, führt das direkt zu noch mehr Abhängigkeiten von Microsofts proprietärer Software. 

Derart extreme Abhängigkeiten sind auch mit extremen Risiken verbunden: mit Erpressbarkeit bei steigenden Preisen, unkalkulierbaren Sicherheitsrisiken und noch weiter eingeschränkter Flexibilität, weil das Microsoft Universum faktisch zementiert und ständig erweitert werden wird und Open Source Alternativen künftig noch weniger integrierbar sind. Mit einer Umsetzung des Koalitionsvertrags oder der Digitalstrategie hat diese Entwicklung wenig zu tun. Das ist kurzsichtig und gefährdet die Souveränität der IT in Bund und Ländern.“  

Zum Lobbyismus:

„Ich kann mich aus meinen sieben Jahren im Bundestag an keine einzige Abfrage zu Lobbytreffen zwischen Bund und Vertreter:innen der Wirtschaft erinnern, bei der eine derart hohe Zahl bilateraler Treffen auf derart hohem hierarchischen Level stattgefunden hat, wie zwischen dem Bund und den Unternehmen SAP und Microsoft in den letzten ca. 2,5 Jahren. Da geht ein Bundeskanzler 10 Mal zu SAP und Minister Robert Habeck neun Mal zu Microsoft, ingesamt waren 38 Mal Minister:innen und 48 Mal Staatssekretär:innen bei 113 Terminen mit SAP oder Microsoft dabei. Über 60 Mal waren höchste Management Ebenen von Microsoft präsent, über 50 Mal die von SAP, allein der CEO von SAP war 20 Mal zugegen, die Deutschland Chefin von Microsoft 16 Mal. 

Bei 33 Treffen ging es dabei explizit um Cloud Dienste. Wie viele Treffen hat es wohl gegeben, mit Anbietern von wirklich souveränen Cloud Lösungen, die auf Open Source basieren? Wie neutral wird eine Entscheidung mit langfristigen Folgen, sowohl für die künftige IT-Architektur als auch für Kosten, Flexibilität und Integrationsfähigkeit getroffen werden können, wenn es so viele Lobbytermine mit den Anbietern einer ganz bestimmten Lösung gibt, zu denen bereits extrem hohe Abhängigkeiten bestehen? Es liegt doch nahe, dass bei derart geballter Firmenrepräsentanz, wo vom Global CEO bis zu General Managern und Senior Vice Presidents alles aufgefahren wird, was an hierarchischer Prominenz aufzubieten ist, mit vielen Topjurist:innen und Marketing Expert:innen jeder Kritik der Wind aus den Segeln genommen und mit vielen blumigen Erklärungen das Blaue vom Himmel herunter versprochen wird – ohne dass es hinreichend Gelegenheiten gibt, Gegenargumente auf den Tisch zu legen. 

Und so sah sich auch die Open Source Business Alliance genötigt, einen offenen Brief an die Bundesregierung zu schreiben. Denn für Unternehmen, die Alternativen zu proprietärer Software in Deutschland entwickeln, auch im Bereich Cloud Dienste, haben Kanzler, Minister, Behördenleitungen und ihr Gefolge aus Staatsekretär:innen keine auch nur ansatzweise vergleichbare Aufmerksamkeit übrig. So bleibt die Bevorzugung von Open Source durch den Bund eine Sprechblase der Ampel-Regierung, die nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern auch in der Verwaltungscloudstrategiesteht, aber in der Realität weiterhin nicht stattfindet.“ 

Zum Mangel an digitaler Souveränität:

“Nicht müde wird die Bundesregierung, auf die Notwendigkeit einer digitalen Souveränität hinzuweisen, denn Abhängigkeiten sind gefährlich und einseitige Abhängigkeiten sind es doppelt. Da ist eine IT-Landschaft durchaus vergleichbar einem Ökosystem in der Natur, bei dem Monokulturen erheblich anfälliger sind als ein Ökosystem, in dem mehr Vielfalt herrscht. 

Die flächendeckende Abhängigkeit des Bundes von Microsoft wurde häufig kritisiert, wächst aber weiter an, sie diversifiziert sich und umfasst längst nicht mehr nur klassische Office-Anwendungen, sondern u.a. auch Maildienste (Outlook), Videokonferenzsysteme (Teams), KI-Dienste (Co-Pilot), Serversoftware oder Cloud-Dienste. Abhängigkeiten von einem Produkt bedingen häufig neue Abhängigkeiten, so verfolgt Microsoft eine Cloud First Strategie und will auch Office Anwendungen künftig nur noch in der Cloud anbieten, aber nicht in irgendeiner Cloud, sondern in der Microsoft Cloud. 

Seit Jahren wird vor den Konsequenzen gewarnt, nicht nur vom Rechnungshof, der die stetig steigenden Lizenzausgaben kritisiert. In 2023 floss schon jeder sechste Bundes-Euro, der für Software Lizenzen und Services ausgegeben wurde, an Microsoft – mehr als 200 Millionen Euro. Transparenz zum Grad der Abhängigkeit von Microsoft gibt es nicht, sie ist auch nicht erwünscht, denn erstmalig versuchte in diesem Jahr die Bundesregierung, ihre Antwort auf die jährliche Abfrage der Lizenzausgaben durch meinen MdB Kollegen Viktor Perli als VS-NfD einstufen zu lassen, damit sie in der öffentlichen Debatte nicht verwendet werden kann, was nur eine formelle Beschwerde verhinderte. Nicht einmal im Bund gibt es hinreichend Transparenz, denn ein flächendeckendes, verbindliches Lizenzmanagement gibt es nicht. Erst im Laufe des Jahres sollen die allerersten Bundesbehörden ein Software-Lizenzmanagement Tool nutzen können, es befindet sich noch im Roll-out. 

Wie viel, oder besser wie wenig Open Source Software eine Rolle spielt, hat daher auch erst eine Kleine Anfrage von mir ans Licht gebracht. Während im Koalitionsvertrag noch versprochen wurde, dass “im Regelfall” Softwareentwicklungen als Open Source beauftragt werden, kam heraus, dass in den ersten beiden Jahren der Ampelregierung nur lächerliche 0,5 Prozent der 3,5 Milliarden Ausgaben für IT-Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software auf Open Source Software entfielen und ausgerechnet das Digitalministerium von 22 Mio € Kosten für Softwareentwicklungen ebenfalls nur 0,5 Prozent davon für Open Source ausgab. Der Regelfall ist nicht offene Software, sondern proprietäre, da hat sich mit der Fortschrittskoalition jenseits der Rhetorik leider absolut nichts geändert.” 

Zu fehlgelenkten Haushaltsmitteln: 

“Mit dem anstehenden großen ‘Gang in die Cloud’ könnten viele Karten neu gemischt werden, aber nicht beim Bund, der bleibt lieber beim Alten, also bei Microsoft. Wie ernst das Gerede von der digitalen Souveränität wirklich gemeint ist, merkt man spätestens am Geld, und das fließt sehr einseitig. Auch Investitionen in Alternativen wie den Open Source Arbeitsplatz des Bundes, OpenDesk, werden zwar sogar international angepriesen, aber trotzdem finanziell ausgebremst. 

Haushaltsmittel sollen steuernd wirken, das tun sie auch bei diesem Thema, nur leider in die falsche Richtung. Auch derHaushaltsentwurf für 2025 ist ein Verrat an der digitalen Souveränität, denn alles was das Potenzial hatte, die Unabhängigkeit der Bundes-IT von proprietären SoftwareW-Anbietern zu verringern, bekam besonders empfindlich Christian Lindners Rotstift zu spüren. Am krassestens trifft es das Zentrum für digitale Souveränität selbst, das unter anderem.a. OpenDesk weiterentwickeln soll, dessen ohnehin unzulänglichen Mittel von gut 20 Millionen Euro in 2024 auf künftig nur noch 2,7 Millionen schrumpfen sollen. Vielleicht hat deshalb der ZenDiS Geschäftsführer hingeschmissen. Wer kann schon mit so einem eklatanten Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit sinnvoll arbeiten. Auch der FITKO sollen die Haushaltsmittel von 43 Mio auf knapp 10 Mio gekürzt werden, obwohl die FITKO eine wesentliche Rolle bei der digitalen Souveränität spielt, Standards entwickeln und pflegen und für den dauerhaften Betrieb der deutschen Verwaltungscloud zuständig sein soll. Mehr Verachtung kann man dem Thema Open Source und Digitale Souveränität kaum entgegenbringen.”

Zur Sicherheit der Delos Cloud:

“Das jahrelange und ungewöhnlich intensive Engagement der Bundesregierung für eine Bundes-Cloud auf Basis von Microsoft Technologie erstaunt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass es bis heute keine abgeschlossene Prüfung der Delos Cloud gibt, die ihre Unbedenklichkeit vor allem hinsichtlich der Informationssicherheit, des Datenschutzes und des Geheimschutzes feststellt. Die Prüfungen laufen immer noch, wie lange weiß man nicht, ihr Ausgang soll laut Bundesregierung offen und der Einsatz der Delos Cloud davon abhängig sein. Aber wie offen ist diese Prüfung wirklich, wenn der gerade erst im Juni abgeschlossene Rahmenvertrag mit SAP plötzlich dreimal so viel Volumen  – ca. 700 Mio Euro – wie sein Vorgängervertrag umfasst, aber dafür die Delos-Cloud mit abdeckt? An Zufälle glaube ich da nicht und die Bundesregierung gibt ja auch in ihrer Antwort selbst zu, dass die Kritik der OSBA, die auf die gerade in Prüfung befindlichen Sicherheitsrisiken hinwies, nicht zu einer Infragestellung der Delos Cloud führen würde. Immerhin nimmt das BSI das Thema ernst und zwar auf höchster Ebene, 20 Mal waren der Präsident des BSI und seine Nachfolgerin Claudia Plattner bei Terminen mit Microsoft und SAP dabei. 

Brisant ist jedoch, dass die Bundesregierung zugeben musste, dass die Microsoft Azure Technologie keineswegs quasi abgeschottet in Rechenzentren der SAP Tochter Delos laufen kann, was eine technische Barriere sein sollte, um Datenabflüsse Richtung US-Geheimdienste zu verhindern, denn US-Gesetze können US-Firmen weiterhin zum heimlichen Ausspähen von Daten ihrer Kunden zwingen. Nun bestätigte die Bundesregierung: Auch wenn die Azure Cloud im Rechenzentrum von Delos läuft, müssen die dortigen Server über eine Netzwerkverbindung mit den Servern von Microsoft direkt verbunden sein, denn anders lassen sich die notwendigen Updates gar nicht einspielen. 

Aber wo es derartige Verbindungen mit Software Updates gibt, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass aus der Ferne absichtlich Sicherheitslücken als Hintertüren eingebaut werden. Auf das Ergebnis der andauernden Sicherheitsprüfung und die darin verwendeten Argumente bin ich daher sehr gespannt. 

Aus meiner Sicht sollte man als Regierung eines europäischen Landes auf die Abhängigkeit von US-Konzernen komplett verzichten, das schaffen schließlich auch andere Mitgliedsstaaten der EU. Was es dafür braucht, ist eine umfassende Exit-Strategie, eine Priorisierung und ausreichende Förderung bereits verfügbarer Alternativen und vor allem eins: ‘Walk the Talk!’ – Also eine Bundesregierung, die ihre Versprechen und Vorgaben von Koalitionsvertrag bis zur Verwaltungscloud-Strategie endlich umsetzt und einhält.”

Links und Anlagen

  • Antwort der Bundesregierung: Hauptdokument LINK
  • Antwort der Bundesregierung Anlage 1 (Lobbytreffen mit SAP) LINK
  • Antwort der Bundesregierung Anlage 2 (Lobbytreffen mit Microsoft) LINK
  • Kleine Anfrage Open Source vom Dezember 2023 LINK zum Pressestatement
  • Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste zur Sicherheit vor US-Zugriffen auf in DE gehostete Daten LINK
  • Diverse Tabellen mit Auswertungen der Lobbytreffen LINK

Im Jahr 2021 versprach die selbsternannte Fortschrittskoalition in ihrem Koalitionsvertrag: “Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht”. Schon die Antwort der Ampel auf meine Kleine Anfrage im Dezember 2023 ergab, dass diese Ankündigung der Ampel und ihre Umsetzung eklatant auseinander klafften. So gab die Bundesregierung zu, dass seit Beginn der Legislaturperiode nur ca. 0,5 Prozent seiner Ausgaben zu Entwicklungsaufträgen von Software auf OSS entfielen. Für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software gab der Bund insgesamt sogar etwa 3,5 Milliarden Euro aus, auch davon flossen aber nur 18,6 Mio. (0,54 Prozent) im Zusammenhang mit Open Source Software. Die vielen Tabellen mit der Auflistung aller Software Entwicklungsaufträge aus dieser Anfrage wurde leider aus Gründen der Sicherheit eingestuft, ich konnte sie also nicht veröffentlichen.

Meine neue Anfrage belegt Schere zwischen Koalitionsvertrag und Praxis im Bund

Deshalb habe ich nun erneut nachgefragt mit einer Schriftlichen Frage und deren Beantwortung durch die Bundesregierung (August 2024) zeigt das konkrete Ausmaß der krassen Schere zwischen Absichtserklärung und gelebter Praxis mit Blick auf die Beauftragung von Open Source Software.

Hier die nackten Fakten (besonders peinlich das Digitalministerium!):

  • 1.727 Software Entwicklungsaufträge erteilte die Ampel-Regierung seit Veröffentlichung des Koalitionsvertrages
  • 475 davon sollen als Open Source beauftragt worden sein (=27,5 %)
  • 352 dieser Open Source Aufträge (74%) soll das BMEL beauftragt haben, das noch im Nov. 2023 nur 62 Software Entwicklungsaufträge in meiner Kleiner Anfrage angab, davon 12 als Open Source (Details zur Kl. A. sind eingestuft)
  • 123 von insg. 1.293 Entwicklungsaufträgen der anderen Ministerien wurden als Open Source beauftragt (9,5%)
  • 61 der 1.727 Fälle von Software Entwicklung (3,5%) haben den Source Code der Software veröffentlicht
  • 6 Ministerien veröffentlichten in keinem einzigen Fall den Source Code beauftragter Software
  • 0,37 % (2 von 542 Softwareentwicklungsaufträgen) beim BMDV haben den Source Code veröffentlicht
  • 5 Ministerien haben keinen einzigen SW-Entwicklungsauftrag als Open Source beauftragt (BMAS, BMWSB, BMVg, BMBF) oder weniger als 1 % (BMDV: 0,55%)

Weiterlesen

Anfang April 2024 bekam ich die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage. Ich hatte wissen wollen, wie lange der IT-Planungsrat (das zuständige Gremium aus Bund und Ländern) brauchte, um die 14 aktuellsten Standards für die Verwaltungsdigitalisierung zu verabschieden.

Funfact: Warum habe ich nach den 14 jüngsten Standards gefragt? Weil ich nach den Regeln des parlamentarischen Fragerechts keine Frage stellen darf, auf die es mehr als 28 Antworten gibt. Ich habe für jeden Standard wissen wollen, wann er verabschiedet wurde und wie lange die Bearbeitungszeit war – also 2 Fakten. Das Limit von 28 dividiert durch 2 Fakten = 14 Standards, das war das “fragbare Maximum”.

Im Durchschnitt brauchte der IT-Planungsrat fast 3 Jahre für einen neuen Standard

Die Zusammenfassung der Antwort in einem Satz: es dauerte zwischen 8 und unfassbare 72 Monate, um einen neuen Standard durch den IT-Planungsrat zu beschließen. Im Durchschnitt dauerte es knapp 3 Jahre.

Hier weitere ausgewählte Fakten aus der Antwort der Bundesregierung :

  • 14 Standards zur Verwaltungsdigitalisierung wurden vom IT-Planungsrat seit 2019 verabschiedet
  • Durchschnittliche Dauer von Erstbefassung bis Beschluss: 2,7 Jahre = 33 Monate
  • Kürzeste Dauer: 8 Monate (2 mal)
  • Längste Dauer: 72 Monate (2 mal)
  • Mehr als jeder Dritte Standard (5 von 14), der seit 2019 beschlossen wurde dauerte mindestens 3 Jahre
  • In den Jahren 2024, 2023 u 2022 wurden nur je 3 Standards beschlossen
  • In 2021 wurden sogar nur 2 u in 2020 sogar nur 1 Standard beschlossen

Die vollständige Antwort der Bundesregierung findet sich HIER.

Warum Standards und die  Dauer ihrer Entwicklung relevant sind, was das alles mit unserem Alltag zu tun hat und wie GroKo versus Ampel so performen, und was sich künftig möglicherweise stark verändern wird, gibts in den folgenden Abschnitten zu lesen.

Ohne Standards keine Verwaltungsdigitalisierung (die funktioniert)

Standards sind eine Grundbedingung dafür, dass Verwaltungsdigitalisierung funktioniert, deshalb sind immer noch fehlende oder unverbindliche Standards einer der Haupgründe dafür, dass in Deutschlands Ämtern immer noch so viel gefaxt und gestempelt wird und Studierende selbst nach Hochladen eines Online Antrages ein halbes Jahr auf ihr erstes Bafög warten müssen, weil der Online Antrag nicht mit dem Fachverfahren kompatibel ist und alles doch wieder intern ausgedruckt werden muss. Wenn Behörden unterschiedliche Formate beispielsweise für Adressfelder haben, verhindert das den behördenübergreifenden elektronischen Datenaustausch. Man muss sich das vorstellen wie Puzzleteile, deren Nöppel nicht zusammen passen oder sich überlegen, wo die Elektroindustrie heute stünde, wenn es keine einheitlichen Stecker und Steckdosen gäbe. Da leuchtet jedem ein, wie wichtig die Standardisierung ist, bei der Verwaltungsdigitalisierung ist das aber oft nicht der Fall. Dabei kann man auch von Vorreiterländern wie Estland oder Finnland lernen, wie wichtig es ist, dass man zuerst die infrastrukturellen Voraussetzungen schafft – einschließlich einheitlicher Standards für Daten, Formularfelder oder Schnittstellen.

Der Status Quo: Standardsentwicklung für die deutsche Verwaltung, OZG und die GroKo

Fehlen Standards, werden immer mehr Lösungen entwickelt, die am Ende nicht zueinander passen, also nicht interoperabel sind, und je länger sie fehlen, umso mehr Wildwuchs entsteht und immer mehr Widerstand dagegen, verbindliche Standards zu akzeptieren. Das haben wir gerade im Bundesrat erlebt, wo das OZG 2.0 wegen der darin enthaltenden Vorgaben zu Standards gescheitert ist.

Wie, wann und wie schnell also Standards entwickelt werden, hat daher einen enormen Einfluss auf die Qualität und Geschwindigkeit der Verwaltungsdigitalisierung. Die GroKo hatte das Thema komplett in den Sand gesetzt, verbindliche Vorgaben für Standards im ersten Onlinezugangsgesetz 2017 versäumt (siehe dazu meine Rede im Bundestag zum OZG vom 20.09.23) und einen völlig ineffizienten Prozess zur Entwicklung der Standards über den IT-Planungsrat etabliert, der mit drei Sitzungen im Jahr zum absoluten Flaschenhals wurde.

In den Jahren 2020 und 2021 wurden insgesamt nur drei Standards verabschiedet, seit 2019 und bis heute dauerte die Entwicklung verabschiedeter Standards jahrelang. Einige Standards brauchten fünf oder sogar sechs Jahre, selbst im Durchschnitt waren es 33 Monate: 2,7 Jahre. Mir ist völlig unklar, wie man sich für einen Standard zum Einkauf von Cloud Leistungen 63 Monate Zeit lassen konnte, selbst die 24 Monate für den Standard zum Bauantrag waren einfach zu lang, denn gerade bei Bauanträgen gibt es viele Beteiligte, die Informationen und Dokumente untereinander austauschen müssen, die in unterschiedlichen Fachanwendungen verarbeitet werden und wo einheitliche Datenformate unglaublich viel Bearbeitungszeit sparen können, weil alles digital erledigt werden kann. Das kann man heute doch niemandem mehr vermitteln, warum so wichtige Voraussetzungen für eine gute Verwaltungsdigitalisierung so schleppend geschaffen werden.

Was ist anders bei der Ampel?

In den ersten 2,5 Jahren ihrer Amtszeit ist es der Ampel nicht gelungen, die Laufzeiten nennenswert zu beschleunigen und seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages wurden von der Ampel nur drei Standards neu auf den Weg gebracht und auch beschlossen, da ist aber schon die “Digitale Dachmarke” als Kennzeichen für staatliche Webseiten mitgezählt, die als Plan beschlossen wurde, aber graphisch noch nicht einmal existiert, selbst diese oberflächliche Beschluss, den ich kaum “Standard” nennen würde, dauerte acht Monate.

Aber neu in der Amtszeit der Ampel angestoßen und beschlossen wurde auch der überfällige XBezahldienste Standard, der Nutzer:innen bestimmter digitaler Verwaltungsdienste endlich ermöglichen soll, Zahlungen an den Staat, z.B. Gebühren für einen online Antrag, für einen Pass oder Ausweis oder eine Hundeanmeldung auch online mit gängigen Zahldiensten zu leisten. Das frustriert Bürger:innen schon lange, dass man zwar überall woanders einfach digital bezahlen kann, nur beim Staat nicht, wo das Bezahlen nutzerfeindlich ist und auch in den Behörden selbst hohe vermeidbare Aufwände verursacht, wenn Gebührenbescheide erstellt und verschickt und Zahlungseingänge extra verbucht werden müssen, beides ist ja unnötig, wenn digital bezahlt wird und die Zahlung automatisch an der richtigen Stelle verbucht wird. Das reduziert schließlich auch Fehler und deren Folgeaufwände. Seit November 2023 gibt es dafür also endlich einen Standard, jetzt muss er nur noch verbindlich und von allen Behörden genutzt werden. Das ist ein Brett, das noch viel dicker ist, als die Verabschiedung des Standards.

Ausblick: Wann wird es endlich besser?

Da ich seit Jahren immer wieder eine Reform der Zuständigkeiten und Prozesse gefordert habe, um Standards schneller zu entwickeln und die Abhängigkeiten vom trägen IT-Planungsrat zu reduzieren (z.B. mit meiner Kleinen Anfrage zum OZG von 2022 und in meinen Reden im Bundestag HIER und HIER), freut mich sehr, dass nun endlich die Einrichtung eines Standardisierungsboards beschlossen wurde, das anders zusammengesetzt und mit anderen Abstimmungsregeln und eigenen Kompetenzen tatsächlich das Potenzial hat, die nötige Dynamik zu schaffen. Darin werden nicht nur Bund, Länder und Kommunen mit Stimmrechten vertreten sein, sondern auch die FITKO, die eine zunehmend wichtige Rolle erhält (und das ist gut so!), der DIN als deutsches Normungsgremium, und öffentliche sowie private IT-Dienstleister der Verwaltung mit je 1 Stimme, die über die Vitako  bzw. den Databund benannt werden. Auch Gäste sind möglich, z.B. aus den Fachkonferenzen der Länder. Das Gremium trifft sich hoffentlich häufiger als der IT-Planungsrat (der trifft sich ja nur 3 mal im Jahr) und es kann außerdem im Umlaufverfahren Standards bearbeiten und viele auch final beschließen. Nur bei verbindlich vorgeschriebenen Standards soll auch künftig noch ein formeller Entscheid des IT-Planungsrates nötig sein.

Beschreibung und Organisationsstruktur des Standardisierungsboards gemäß Beschluss 2024/05 des IT-Planungsrats vom 05.02.24

Ich hoffe, dieser jüngste Beschluss des IT-Planungsrates vom 05.02.24 wird nun zügig umgesetzt und das Standardisierungsboard kommt ins Arbeiten, denn wir haben schon viel zu viel Zeit verloren! Es könnte im Prinzip in wenigen Monaten etabliert werden und wenn das klappt, dann hätte die Ampel eine wirkliche Reform geschafft, es könnte eine der wenigen tatsächlichen Verbesserungen in ihrer Amtszeit werden – wenn sie es durchzieht und das zeitnah. Der Bedarf an Standards steigt ja auch mit dem Fortschritt der Digitalisierung und wer weiß, wie viele Standards beim IT-Planungsrat noch und vielleicht auch schon seit Jahren in der Schublade liegen, denn meine Anfrage bezog sich ja nur auf Standards, die auch beschlossen worden sind. Da könnten noch etliche Standards seit Jahren vor sich hinschmoren…Vielleicht frage ich ja auch danach noch!

Eine richtig gute Sache ist die Möglichkeit, Menschen aus dem Wahlkreis für eine zweitägige Besuchsreise nach Berlin und in den Bundestag einzuladen. Und so kamen auf meine Einladung am22. und 23. Februar 2024 anlässlich des anstehenden Frauentages 46 Frauen und 2 Männer nach Berlin.

Besuchergruppe mit MdB auf dem Reichstagsgebäude (Foto: Bundesregierung / StadtLandMensch-Fotografie)

Das Programm war bunt und begann mit einem Besuch des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wo es einen Vortrag über die Arbeitsweise und Struktur des Ministeriums und im Anschluss eine angeregte Diskussion gab.

Meine Gäste interessierten sich dabei vor allem für Themen wie die Kindergrundsicherung, das Elternzeitgesetz, die schleppenden Haushaltsverhandlungen und der viel zu hohe Bürokratieaufwand im Vereinswesen und beim Ehrenamt, denn auch das Thema ehrenamtliches Engagement ist in diesem Ministerium verortet.

Nach dem Mittagessen im Restaurant „Peking Ente“ gab es eine Stadtrundfahrt durch Berlins Zentrum und anschließend den aus Gruppensicht Höhepunkt des ersten Reisetages:

ein besonderes Filmscreening im Karl Liebknecht Haus. In der Sondervorführung wurde der Film „Frauen in Landschaften“ der Regisseurin Sabine Michel gezeigt, in dem vier Politikerinnen aus dem Osten porträtiert werden – eine davon bin ich selbst. Dieser Film passt zum Anlass Frauentag, denn er gibt einen sehr authentischen und ungeschönten Blick hinter die Kulissen der Politik, zeigt unseren Weg in die Politik und unseren Alltag und auch die Schwierigkeiten und Defizite beim Kampf um Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit. Weil der Besuch in einer Sitzungswoche stattfand, konnte ich nur nach dem Film mal auf eine Stippvisite vorbeikommen und habe mich darüber mit den Besucher:innen unterhalten können und alle ihre Fragen beantwortet. Eine willkommene Überraschung war, dass dann sogar noch unsere Parteivorsitzende Janine Wissler, die zufällig im Karl-Liebknecht-Haus war, zu uns stieß und erzählte, dass gerade besonders viele Frauen neu in die Partei Die Linke einträten. Wir freuten uns beide über den Dank der Gruppe für die Einladung und ihre Anerkennung für unsere politische Arbeit.

Nach unserem Gespräch ging es für die Besuchergruppe ins Hotel und für mich zurück in den Bundestag, wo immer noch das Plenum lief. Der zweite Tag stand dann komplett im Zeichen der Bundespolitik und begann mit einem Vortrag im Bundestag über die Arbeitsweise des Parlaments und über das Reichstagsgebäude. Auf der Besuchertribüne konnten die Brandenburgerinnen dann der laufenden Bundestagsdebatte über die Nutzung der Kernfusion folgen und eigentlich sollte es danach eine Stunde Gespräch mit mir geben. Aber wie das manchmal so ist, verschob sich die Tagesordnung und genau in dieser Stunde fand nun ein Tagesordnungspunkt statt, in dem ich selbst eine Rede hielt (es ging um Verwaltungsdigitalisierung und die Änderung des Onlinezugangsgesetzes). Da kann ich natürlich nicht schwänzen, aber glücklicherweise erklärte sich meine Kollegin Susanne Henning-Welsow bereit, an meiner Stelle die Gruppe zu treffen und dort von der Arbeit der Linken im Bundestag zu erzählen, aber auch alle Fragen zu beantworten. Dabei interessierten sich die Besucherinnen unter anderem für das verschlechterte Debattenklima durch vulgäre Sprache und unangemessenes Verhalten von MdB der AfD, aber auch für Themen wie gerechte Besteuerung von Reichen und Altersarmut.

Nach meiner Debatte im Plenum konnte ich wenigstens noch beim Fototermin auf dem Dach des Reichstagsgebäudes dabei sein, wo es bei Sonnenschein einen wunderbaren Blick über die Stadt gab. Für mich hieß es dann wieder zurück ins Plenum zu gehen, die Gruppe nutzte die Möglichkeit des Kuppelbesuchs mit einem Blick ins Parlamentsgeschehen.

Die Zweitagesreise endete mit einem Besuch des Hackeschen Marktes, bevor es mit dem Bus zurück in die Heimat ging. Viel Neues hätten sie alle erfahren hieß es, und dass es zwei sehr schöne und beeindruckende Tage in Berlin gewesen wären, etwas Besonderes eben, und gern würden sie einmal wieder kommen. Über das Lob und den Dank habe ich mich sehr gefreut und hoffentlich habe ich bei der nächsten Besuchergruppe etwas mehr Glück mit der Tagesordnung des Bundestages!