Digitalisierung und Staat

Anfang April 2024 bekam ich die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage. Ich hatte wissen wollen, wie lange der IT-Planungsrat (das zuständige Gremium aus Bund und Ländern) brauchte, um die 14 aktuellsten Standards für die Verwaltungsdigitalisierung zu verabschieden.

Funfact: Warum habe ich nach den 14 jüngsten Standards gefragt? Weil ich nach den Regeln des parlamentarischen Fragerechts keine Frage stellen darf, auf die es mehr als 28 Antworten gibt. Ich habe für jeden Standard wissen wollen, wann er verabschiedet wurde und wie lange die Bearbeitungszeit war – also 2 Fakten. Das Limit von 28 dividiert durch 2 Fakten = 14 Standards, das war das “fragbare Maximum”.

Im Durchschnitt brauchte der IT-Planungsrat fast 3 Jahre für einen neuen Standard

Die Zusammenfassung der Antwort in einem Satz: es dauerte zwischen 8 und unfassbare 72 Monate, um einen neuen Standard durch den IT-Planungsrat zu beschließen. Im Durchschnitt dauerte es knapp 3 Jahre.

Hier weitere ausgewählte Fakten aus der Antwort der Bundesregierung :

  • 14 Standards zur Verwaltungsdigitalisierung wurden vom IT-Planungsrat seit 2019 verabschiedet
  • Durchschnittliche Dauer von Erstbefassung bis Beschluss: 2,7 Jahre = 33 Monate
  • Kürzeste Dauer: 8 Monate (2 mal)
  • Längste Dauer: 72 Monate (2 mal)
  • Mehr als jeder Dritte Standard (5 von 14), der seit 2019 beschlossen wurde dauerte mindestens 3 Jahre
  • In den Jahren 2024, 2023 u 2022 wurden nur je 3 Standards beschlossen
  • In 2021 wurden sogar nur 2 u in 2020 sogar nur 1 Standard beschlossen

Die vollständige Antwort der Bundesregierung findet sich HIER.

Warum Standards und die  Dauer ihrer Entwicklung relevant sind, was das alles mit unserem Alltag zu tun hat und wie GroKo versus Ampel so performen, und was sich künftig möglicherweise stark verändern wird, gibts in den folgenden Abschnitten zu lesen.

Ohne Standards keine Verwaltungsdigitalisierung (die funktioniert)

Standards sind eine Grundbedingung dafür, dass Verwaltungsdigitalisierung funktioniert, deshalb sind immer noch fehlende oder unverbindliche Standards einer der Haupgründe dafür, dass in Deutschlands Ämtern immer noch so viel gefaxt und gestempelt wird und Studierende selbst nach Hochladen eines Online Antrages ein halbes Jahr auf ihr erstes Bafög warten müssen, weil der Online Antrag nicht mit dem Fachverfahren kompatibel ist und alles doch wieder intern ausgedruckt werden muss. Wenn Behörden unterschiedliche Formate beispielsweise für Adressfelder haben, verhindert das den behördenübergreifenden elektronischen Datenaustausch. Man muss sich das vorstellen wie Puzzleteile, deren Nöppel nicht zusammen passen oder sich überlegen, wo die Elektroindustrie heute stünde, wenn es keine einheitlichen Stecker und Steckdosen gäbe. Da leuchtet jedem ein, wie wichtig die Standardisierung ist, bei der Verwaltungsdigitalisierung ist das aber oft nicht der Fall. Dabei kann man auch von Vorreiterländern wie Estland oder Finnland lernen, wie wichtig es ist, dass man zuerst die infrastrukturellen Voraussetzungen schafft – einschließlich einheitlicher Standards für Daten, Formularfelder oder Schnittstellen.

Der Status Quo: Standardsentwicklung für die deutsche Verwaltung, OZG und die GroKo

Fehlen Standards, werden immer mehr Lösungen entwickelt, die am Ende nicht zueinander passen, also nicht interoperabel sind, und je länger sie fehlen, umso mehr Wildwuchs entsteht und immer mehr Widerstand dagegen, verbindliche Standards zu akzeptieren. Das haben wir gerade im Bundesrat erlebt, wo das OZG 2.0 wegen der darin enthaltenden Vorgaben zu Standards gescheitert ist.

Wie, wann und wie schnell also Standards entwickelt werden, hat daher einen enormen Einfluss auf die Qualität und Geschwindigkeit der Verwaltungsdigitalisierung. Die GroKo hatte das Thema komplett in den Sand gesetzt, verbindliche Vorgaben für Standards im ersten Onlinezugangsgesetz 2017 versäumt (siehe dazu meine Rede im Bundestag zum OZG vom 20.09.23) und einen völlig ineffizienten Prozess zur Entwicklung der Standards über den IT-Planungsrat etabliert, der mit drei Sitzungen im Jahr zum absoluten Flaschenhals wurde.

In den Jahren 2020 und 2021 wurden insgesamt nur drei Standards verabschiedet, seit 2019 und bis heute dauerte die Entwicklung verabschiedeter Standards jahrelang. Einige Standards brauchten fünf oder sogar sechs Jahre, selbst im Durchschnitt waren es 33 Monate: 2,7 Jahre. Mir ist völlig unklar, wie man sich für einen Standard zum Einkauf von Cloud Leistungen 63 Monate Zeit lassen konnte, selbst die 24 Monate für den Standard zum Bauantrag waren einfach zu lang, denn gerade bei Bauanträgen gibt es viele Beteiligte, die Informationen und Dokumente untereinander austauschen müssen, die in unterschiedlichen Fachanwendungen verarbeitet werden und wo einheitliche Datenformate unglaublich viel Bearbeitungszeit sparen können, weil alles digital erledigt werden kann. Das kann man heute doch niemandem mehr vermitteln, warum so wichtige Voraussetzungen für eine gute Verwaltungsdigitalisierung so schleppend geschaffen werden.

Was ist anders bei der Ampel?

In den ersten 2,5 Jahren ihrer Amtszeit ist es der Ampel nicht gelungen, die Laufzeiten nennenswert zu beschleunigen und seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages wurden von der Ampel nur drei Standards neu auf den Weg gebracht und auch beschlossen, da ist aber schon die “Digitale Dachmarke” als Kennzeichen für staatliche Webseiten mitgezählt, die als Plan beschlossen wurde, aber graphisch noch nicht einmal existiert, selbst diese oberflächliche Beschluss, den ich kaum “Standard” nennen würde, dauerte acht Monate.

Aber neu in der Amtszeit der Ampel angestoßen und beschlossen wurde auch der überfällige XBezahldienste Standard, der Nutzer:innen bestimmter digitaler Verwaltungsdienste endlich ermöglichen soll, Zahlungen an den Staat, z.B. Gebühren für einen online Antrag, für einen Pass oder Ausweis oder eine Hundeanmeldung auch online mit gängigen Zahldiensten zu leisten. Das frustriert Bürger:innen schon lange, dass man zwar überall woanders einfach digital bezahlen kann, nur beim Staat nicht, wo das Bezahlen nutzerfeindlich ist und auch in den Behörden selbst hohe vermeidbare Aufwände verursacht, wenn Gebührenbescheide erstellt und verschickt und Zahlungseingänge extra verbucht werden müssen, beides ist ja unnötig, wenn digital bezahlt wird und die Zahlung automatisch an der richtigen Stelle verbucht wird. Das reduziert schließlich auch Fehler und deren Folgeaufwände. Seit November 2023 gibt es dafür also endlich einen Standard, jetzt muss er nur noch verbindlich und von allen Behörden genutzt werden. Das ist ein Brett, das noch viel dicker ist, als die Verabschiedung des Standards.

Ausblick: Wann wird es endlich besser?

Da ich seit Jahren immer wieder eine Reform der Zuständigkeiten und Prozesse gefordert habe, um Standards schneller zu entwickeln und die Abhängigkeiten vom trägen IT-Planungsrat zu reduzieren (z.B. mit meiner Kleinen Anfrage zum OZG von 2022 und in meinen Reden im Bundestag HIER und HIER), freut mich sehr, dass nun endlich die Einrichtung eines Standardisierungsboards beschlossen wurde, das anders zusammengesetzt und mit anderen Abstimmungsregeln und eigenen Kompetenzen tatsächlich das Potenzial hat, die nötige Dynamik zu schaffen. Darin werden nicht nur Bund, Länder und Kommunen mit Stimmrechten vertreten sein, sondern auch die FITKO, die eine zunehmend wichtige Rolle erhält (und das ist gut so!), der DIN als deutsches Normungsgremium, und öffentliche sowie private IT-Dienstleister der Verwaltung mit je 1 Stimme, die über die Vitako  bzw. den Databund benannt werden. Auch Gäste sind möglich, z.B. aus den Fachkonferenzen der Länder. Das Gremium trifft sich hoffentlich häufiger als der IT-Planungsrat (der trifft sich ja nur 3 mal im Jahr) und es kann außerdem im Umlaufverfahren Standards bearbeiten und viele auch final beschließen. Nur bei verbindlich vorgeschriebenen Standards soll auch künftig noch ein formeller Entscheid des IT-Planungsrates nötig sein.

Beschreibung und Organisationsstruktur des Standardisierungsboards gemäß Beschluss 2024/05 des IT-Planungsrats vom 05.02.24

Ich hoffe, dieser jüngste Beschluss des IT-Planungsrates vom 05.02.24 wird nun zügig umgesetzt und das Standardisierungsboard kommt ins Arbeiten, denn wir haben schon viel zu viel Zeit verloren! Es könnte im Prinzip in wenigen Monaten etabliert werden und wenn das klappt, dann hätte die Ampel eine wirkliche Reform geschafft, es könnte eine der wenigen tatsächlichen Verbesserungen in ihrer Amtszeit werden – wenn sie es durchzieht und das zeitnah. Der Bedarf an Standards steigt ja auch mit dem Fortschritt der Digitalisierung und wer weiß, wie viele Standards beim IT-Planungsrat noch und vielleicht auch schon seit Jahren in der Schublade liegen, denn meine Anfrage bezog sich ja nur auf Standards, die auch beschlossen worden sind. Da könnten noch etliche Standards seit Jahren vor sich hinschmoren…Vielleicht frage ich ja auch danach noch!

Meine Frage:

„Wie lange dauerte der Prozess der Standardentwicklung jeweils für die letzten 14 vom IT-Planungsrat verabschiedeten Standards Ende zu Ende – also vom ersten Mal auf der Tagesordnung des IT-Planungsrats bis zur Verabschiedung (bitte den jeweiligen Standard nennen, sowie Dauer der Entwicklung in Monaten, gern chronologisch sortiert), und mit welchen Schritten läuft ein typischer Standardisierungsprozess über den IT-Planungsrat ab (bitte zu jedem Schritt auch die ggf. dabei involvierten Akteure bzw. Institutionen nennen)?“

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathof:

„Die Nachfolgende Tabelle zeigt die letzten 14 durch den IT-Planungsrat beschlossenen Qualitäts- sowie Interoperabilitätsstandards mit jeweiligem Zeitraum in Monaten ab der ersten beschließenden Befassung:

Zum Prozess der Standardisierung wird auf Nr. 4.2 der Anlage zum Beschluss 2024/05 des IT-Planungsrates vom 20. März 2024 verwiesen: https://www.it-planungsrat.de/beschluss/beschluss-2024-05.“

Antwortschreiben im Original (geschwärzt):

Meine Frage:

„Welche Förderprogramme der Bundesregierung zu Open-Source-Software gab oder gibt es seit Beginn der 20. Wahlperiode (bitte tabellarisch nach Jahr und abgeflossenen Haushaltsmitteln für beendete Vorhaben sowie verfügbares Gesamtbudget für in 2024 noch fortlaufende oder beginnende Programme auflisten), und mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung den niedrigen Anteil an Open Source Software in der Bundesverwaltung (vgl. www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/it-open-source-bundesregierung-kleine-anfrage-100.html) bei Softwareentwicklungsprojekten (z. B. 0,5 % beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr) und bei Dienstleistungen im Zusammenhang mit Open-Source-Software substanziell erhöhen, um ihr Koalitionsversprechen, aber auch die Digitalstrategie hinsichtlich der Erhöhung des Anteils von Open-Source-Software, umzusetzen?“

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathof:

„In der Bundesregierung werden verschiedene Förderprogramme zu Open-Source-Software umgesetzt. Eine entsprechende Übersicht kann der beigefügten Tabelle (siehe Anlage) entnommen werden. Zudem werden seitens der Bundesregierung aktuell verschiedene Maßnahmen vorangetrieben, um die Nutzung von Open-Source-Software weiter zu forcieren. Eine zentrale Maßnahme zur Stärkung der digitalen Souveränität und zur Förderung von Open Source innerhalb der Öffentlichen Verwaltung ist das Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS), das am 14. Dezember 2022 gegründet worden ist. Es wurde zunächst als Einrichtung für die Bundesverwaltung eingerichtet, perspektivisch werden die Länder hinzukommen. ZenDiS bündelt Anwendungen auf Open-Source Basis und macht sie damit für Bund und Länder zentral über die Open Source Plattform Open CoDE zugänglich.
Zudem enthält das Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG-Änderungsgesetz – OZGÄndG), das am 23. Februar 2024 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde und derzeit im Bundesrat beraten wird, zwei Regelungen zur Stärkung der digitalen Souveränität im Sinne der Fragestellung:

  • Gemäß § 16a E-Government-Gesetz neu (EGovG) sollen die Behörden des
    Bundes offene Standards nutzen und bei neu anzuschaffender Software O-
    pen-Source-Software vorrangig vor solcher Software beschaffen, deren Quell-
    code nicht öffentlich zugänglich ist oder deren Lizenz die Verwendung, Weiter-
    gabe und Veränderung einschränkt. Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des
    OZGÄndG sollen die Behörden des Bundes offene Standards nutzen und vor-
    rangig Software mit offenem Quellcode einsetzen. Wird eine genutzte Soft-
    ware weiterentwickelt, so ist der weiterentwickelte Quellcode unter eine geeig-
    nete Software- und Open-Source-Lizenz zu stellen und zu veröffentlichen, so-
    weit der Veröffentlichung keine zwingenden sicherheitsrelevanten Gründe ent-
    gegenstehen und dies lizenzrechtlich zulässig ist. Die Software soll als Refe-
    renzimplementierung veröffentlicht werden.
  • § 4 Onlinezugangsgesetz neu (OZG) enthält eine Rechtsverordnungsermäch-
    tigung, wonach die Bundesregierung für die elektronische Abwicklung von
    Verwaltungsverfahren, die der Durchführung unmittelbar geltender Rechtsakte
    der Europäischen Union, für die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zu-
    steht, oder der Ausführung von Bundesgesetzen dient, die Verwendung be-
    stimmter IT-Komponenten im Benehmen mit dem IT-Planungsrat verbindlich
    vorgeben kann. Bei der Bereitstellung dieser IT-Komponenten sollen offene
    Standards und offene Schnittstellen verwendet werden. Zudem soll auch hier
    Open-Source-Software soll vorrangig vor solcher Software eingesetzt werden,
    deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist oder deren Lizenz die Verwen-
    dung, Weitergabe und Veränderung einschränkt.

Als Maßnahmen, die über die Regelungen zur vorrangigen Beschaffung von Open Source Software hinaus dazu beitragen können, den Anteil an Open Source Software in der Bundesverwaltung zu erhöhen, sind neben den genannten Aktivitäten insbesondere Leistungen zur Migrationsunterstützung zu nennen, die eine Hinführung auf offene Standards oder zu Open-Source-Datenbanken als zentralen Ansatz verfolgen.“

Antwortschreiben im Original (geschwärzt):

Meine Frage:

„Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass der Bundesverwaltung Verträge mit VMware kurzfristig gekündigt wurden und ein Umstieg auf neue Mietmodelle erforderlich ist, wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich sowohl für die Höhe potenzieller finanzieller Mehrbelastungen als auch für mögliche Gegenmaßnahmen und wie geht die Bundesregierung, falls zutreffend, mit der möglichen Rechtswidrigkeit
der einseitigen und kurzfristigen Kündigung mit Blick auf bereits bezahlte Dienstleistungen für die nächsten Jahre um?“

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathoff:

„Bekannt ist, dass eine Umstellung des angebotenen Lizenzmodells zum Bezug von VMWare-Produkten geplant ist. So hat etwa für die Bedarfsträger des Rahmenvertrags der Zentralstelle IT-Beschaffungen (ZIB) des Beschaffungsamtes des BMI hierzu Ende Februar 2024 eine Informationsveranstaltung für die aus diesem Vertrag abrufberechtigten Bedarfsträger der Bundesverwaltung stattgefunden. Die konkreten Auswirkungen der neuen Lizenzmodelle sind Gegenstand weiterer Erörterungen bei den jeweiligen Einheiten, die VMWare tatsächlich einsetzen. Zu einer Kündigung der bestehenden Lizenzverträge liegen keine Informationen vor.“

Antwortschreiben im Original (geschwärzt):

Mehr IT-Sicherheit und Unabhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von IT-Produkten großer Konzerne sind seit Jahren Thema, nicht erst seit dem Mitschnitt einer WebEx-Videokonferenz von Militärs. Seit Jahren soll mehr Open Source Software (OSS) in Behörden eingesetzt werden. Im Dezember 2022 wurde dafür das Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) gegründet, aber nun trotz steigender Relevanz ausgebremst. Wie aus zwei schriftlichen Fragen von Anke Domscheit-Berg hervorgeht, hat das ZenDiS weder die personellen, noch die finanziellen Ressourcen, um die groß gesteckten Ziele zu erreichen, z.B. wie geplant den Open Source Arbeitsplatz für die Verwaltung in 2025 breit auszurollen. Laut Antwort der Bundesregierung hat das ZenDis erst neun Mitarbeiter*innen und nur einen einzigen Auftrag(für die Plattform OpenCoDE) erhalten. Eine zusätzliche Bremse für das ZenDiS ist die fehlende Integration der Länder, obwohl es seit 2022 Beitrittsgesuche gibt. Auch die Vergabepraxis des Bundes stützt bisher zu über 99 Prozent proprietäre Software. Alles das geht zu Lasten der IT-Sicherheit, führt zu bleibend hohen Lizenzkosten und gefährlichen Abhängigkeiten, statt das Ökosystem für Open Source Software zu fördern.

Dazu erklärt Anke Domscheit-Berg, digitalpolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag:

„Die Ankündigungen der Ampel-Regierung in Koalitionsvertrag und Digitalstrategie zu mehr Einsatz von Open Source im Bund waren vielversprechend, erste Schritte gingen in die richtige Richtung, z.B. der Aufbau des Zentrums für digitale Souveränität oder die Vorgabe im neuen Onlinezugangsgesetz, dass künftig Open Source Software Vorrang haben soll bei der Digitalisierung der Verwaltung. Aber Absichtserklärungen und die Gründung einer GmbH sind keine ausreichenden Voraussetzungen, um die beschlossenen Ziele auch zu erreichen. Erst im Dezember 2023 antwortete mir die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, dass ab 2025 der breite Rollout des Open Source Arbeitsplatzes im Bund (OpenDesk) erfolgen soll. Mir ist völlig schleierhaft, wie dieses Ziel erreicht werden soll, denn auch ein Jahr nach seiner Gründung gibt es für OpenDesk nur drei Mitarbeiter beim ZenDiS und überhaupt keine Beauftragung durch den Bund, dabei sollte OpenDesk das wichtigste Projekt des ZenDiS sein und ist auch Schwerpunkt einer neuen deutsch-französischen Vereinbarung zur Förderung von Open Source.

Mit nur neun Mitarbeiter*innen, davon nur vier für konkrete Open Source Vorhaben, und einem Budget in 2024 von geradezu lächerlichen 19 Mio, die auf drei große Vorhaben aufgeteilt werden sollen, kann man nicht zeitnah eine stärkere digitale Unabhängigkeit erreichen und damit zur dringend nötigen Steigerung der IT-Sicherheit beitragen.

Kein einziges Bundesland wurde bisher wie geplant am ZenDiS beteiligt, dabei könnte die direkte Beteiligung der Länder zu mehr Beauftragungen und damit zu mehr Ressourcen und mehr Fortschritten bei der Umsetzung von Open Source Vorhaben führen. An der Bereitschaft der Länder liegt es nicht, denn Thüringen hat schon im Juni 2022 eine Absichtserklärung unterschrieben und wartet bisher vergeblich auf das Go des Bundes.

Auch die Vergabepraxis hat mit den Erklärungen der Ampel-Regierung nichts zu tun. So entfielen in dieser Legislatur für die Entwicklung von Software oder für Dienstleistungsaufträge im Zusammenhang mit Software in dieser Legislatur nur 0,5 Prozent auf Open Source, wie aus meiner Kleinen Anfrage vom Dezember 2023 hervorgeht.Ich sehe nicht, wie der krasse Unterschied zwischen gelebter Praxis und Absichtserklärungen verringert werden kann, wenn Vergabevorschriften nicht angepasst werden, der Einsatz von Open Source durch den Bund im Onlinezugangsgesetz nur „soll-Vorschrift“ bleibt statt einer „muss-Vorschrift“ wie im Schweizer Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben, und wenn weiterhin das ZenDiS ausgebremst und massiv unterfinanziert ist. So kann die Ampel-Regierung absehbar eines ihrer wichtigsten digitalpolitischen Koalitionsziele auch bis zum Ende der Legislatur nicht mehr erreichen. Das ist nicht nur für die Ampel peinlich, sondern bedeutet insbesondere weniger IT-Sicherheit, anhaltende Abhängigkeiten vor allem von US-Konzernen, extrem hohe Lizenzkosten (in 2025 laufen die milliardenschweren Lizenzverträge des Bundes mit Microsoft aus) und eine verpasste Chance zur Förderung eines global relevanten Ökosystems für Open Source Software.“

Weiterführende Links:

Meine Frage:

„Welche konkreten Aufträge hat der Bund dem Zentrum für Digitale Souveränität
(ZenDiS) bisher seit Gründung erteilt oder plant deren Erteilung in 2024 (bitte jeweils
Gegenstand und Auftragsvolumen nennen), und wieviel Gesamtbudget steht dem
ZenDiS in 2024 für die Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung, sowohl aus aktuel-
len Haushaltstiteln als auch als tatsächlich vollständig für das ZenDiS nutzbare Aus-
gabereste?“

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathof:

„Das Zentrum für Digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung (ZenDiS) wurde
seit Gründung mit der „Betriebsleistungen und Dienstleistungen für die OS-Plattform
Open CoDE“ mit einen Auftragsvolumen i.H.v 1.192.827,58 Euro beauftragt.
Grundsätzlich soll das ZenDiS in 2024 mit der Umsetzung und Weiterentwicklung
von
• openDesk,
• OpenConference,
• sowie die Weiterführung von Open CoDE
beauftragt werden.
Für diese Beauftragungen stehen (inklusive der bereits beauftragen Leistungen für
Open CoDE) insgesamt 19.070 T Euro in 2024 zur Verfügung.

Es liegen noch Ausgabereste in Höhe von 25.682 T Euro aus dem Haushaltsjahr
2022 vor. Die tatsächliche Höhe der verfügbaren Ausgabereste steht jedoch erst
nach Abschluss der Haushaltsrechnung 2023 fest. Die Inanspruchnahme der Ausga-
bereste für Beauftragungen des Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI)
bei der ZenDiS GmbH richtet sich dann nach § 45 Abs. 3 Bundeshaushaltsordnung
(BHO).“

Antwortschreiben im Original (geschwärzt):

Meine Frage:

„Wie viele Stellen in Vollzeitäquivalent (VZÄ) hat das Zentrum für Digitale Souveränität
(ZenDiS) zum Stand 1. März 2024, und wie verteilen sich diese Stellen auf die jeweiligen
Aufgabenbereiche des ZenDiS (bitte Stellen als VZÄ für Open CoDE und OpenDesk
getrennt nennen und auch die Anzahl der übrigen Stellen angeben)?“

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathoff:

„Mit Stand 1. März 2024 hat die ZenDiS GmbH insgesamt neun Mitarbeitende (MA) in
Vollzeit.
Diese teilen sich wie folgt auf die Aufgabenbereiche auf:

  • 3 MA bei OS Projects (OpenDesk)
  • 1 MA bei OS Solutions (OpenCode)
  • 1 MA bei Recht und Personal
  • 1 MA Community Office
  • 1 MA Assistenz der Geschäftsführung
  • 2 Interimsgeschäftsführer“

Antwortschreiben im Original (geschwärzt):

Stichtag war der 17.02.24 – der Digital Services Act soll seitdem auch für alle kleineren digitalen Dienste gelten – über 5.000 in Deutschland, auch nicht-kommerzielle sind betroffen. Das deutsche Gesetz dazu fehlt immer noch, die Bundesnetzagentur soll zuständig sein, hat aber weder nötige Ressourcen noch gesetzliche Grundlage – das war Thema in einer Anhörung und im folgenden Digitalausschuss am 21.02.2024. Außerdem: endlich kommt (1 J. zu spät) das Update zum Onlinezugangsgesetz. Bringt es endlich den nötigen Schwung in die Verwaltungsdigitalisierung? Spoiler: Meine Antwort ist ein klares Jein, denn es fehlt noch einiges, vor allem aber auch hier die nötigen Ressourcen.

Kapitelmarken:
00:00:07 Intro und Gruppenstatus Linke
00:02:20 Intro Anhörung Umsetzung DSA in DE
00:09:12 Positionen Zivilgesell. zum Dig.Dienste Gesetz
00:20:21 Positionen Wirt., Wiss., Landesmedienanstalt, BNetzA
00:27:03 Q&A zu Mastodon u Co, BKA, Forschung
00:31:10 Ausschuss-Debatte DDG, EUKOM, BfDI, BNetzA
00:40:00 Onlinezugangsgesetz: Intro, E2E, OSS, ID, Monitoring
00:47:56 E2E-Digit., Rechtsanspruch, Finanzierung, Standards
00:55:16 Monitoring, Offline Zugang, Nutzerorientierung, Fazit
00:58:01 Outro u Hinweise

Weiterführende Links:

Meine Reden

Digitale-Dienste-Gesetz/Umsetzung DSA

Onlinezugangsgesetz

Anke Domscheit-Berg, eine Rede im Plenum haltend

Zu spät und zu wenig ehrgeizig ist das Update zum Onlinezugangsgesetz. Durch 95% Kürzung der Mittel in 2024 werden geplante Fortschritte unwahrscheinlich. Meilensteine während der Ampel-Amtszeit gibt es nicht. Aber einige unserer Forderungen werden endlich (teilweise) umgesetzt.

Meine Rede im Wortlaut:

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich, mit über einem Jahr Verspätung, liegt ein Update für das Onlinezugangsgesetz für eine schnellere Verwaltungsdigitalisierung vor. Einerseits hat es die Chance verpasst für einen großen Wurf. Es ist zu unverbindlich, zu wenig ehrgeizig und hoffnungslos unterfinanziert. Andererseits ist es trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung. 

Die Schriftform wird durch digitale Identifizierung ersetzbar, Nutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit werden verbindlich, der Bund stellt Basisdienste bereit. Und ja, das alles sind Selbstverständlichkeiten, aber nicht gelebte Praxis bisher. 

(Manuel Höferlin (FDP): Ja, genau!)

Alle drei Jahre soll es eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation geben, und das ist super. Vielleicht belegt ja die erste im Jahre 2027, dass das bisherige Monitoring Schönfärberei ist. Die Fortschrittsmessung muss endlich ehrlich und bürgerorientiert werden. Das fordert auch der Bundesrechnungshof.

(Beifall bei der Linken)

Verbindliche Standards sind eine wesentliche Grundlage für den Datenaustausch zwischen Behörden und kommen leider erst in zwei Jahren und auch nur für Leistungen des Bundes. Der Rechtsanspruch auf digitale Dienste kommt sogar erst in vier Jahren, auch nur für Dienstleistungen des Bundes und nach Buchstaben des Gesetzes auch nur für den Onlinezugang, also das digitale Einreichen von Anträgen. Aber immerhin: Alle 115 Dienstleistungen des Bundes sollen in fünf Jahren Ende-zu-Ende digitalisiert sein, also schon 2029 – zwölf Jahre, nachdem das erste Onlinezugangsgesetz in Kraft trat. Das meine ich mit „zu wenig ehrgeizig“.

(Beifall bei der Linken)

Übrigens: Kein einziger Meilenstein liegt in der Amtszeit der Ampel. 

Besonders kritisch finde ich aber: Auf meine schriftliche Frage gab die Bundesregierung zu: Für die Umsetzung fehlt ihr das Geld. – 95 Prozent Kürzung der Haushaltsmittel für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in 2024! 

Aber heute stimmen wir nicht über Haushaltsmittel und die unsinnige Schuldenbremse ab, sondern über das neue Onlinezugangsgesetz. Das sind zwar nur ein paar Trippelschritte, aber Sie gehen nach vorn. Daher gibt es trotz Kritik Zustimmung zum Gesetzentwurf von der Linken. 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Volker Redder (FDP) – Maik Außendorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So geht konstruktive Oppositionsarbeit, Herr Amthor!)


ADB im Plenum

Meine zu Protokoll gegebene Rede zur internationalen Digitalstrategie:

Sehr geehrte Präsidentin, liebe Kolleg:innen

Die internationale Digitalstrategie der Ampel ist voll von schönen Worten, von Menschenrechten bis Nachhaltigkeit. Aber sie enthält keinerlei konkretes Ziel, keine Ressourcen für ihre Umsetzung, keinen Zeitplan und keinerlei Meilensteine. Da ist vielfach die Rede von „wir streben oder regen an“, „wir stärken oder fördern“. Aber wie denn? Kein Wort zu Maßnahmen, Fördergeldern oder Investitionen!

Außerdem steht die Internationale Digitalstrategie im eklatanten Widerspruch zum Regierungshandeln. So schützt nach dieser Strategie die Ampel-Koalition die „Grund- und Menschenrechte, online wie offline“. Aber in der Praxis schweigen Kanzler und Außenministerin zum Schicksal von Julian Assange, dem Gründer der digitalen Whistleblower-Plattform WikiLeaks. Dabei wäre seine Auslieferung an die USA ein Frontalangriff auf die Pressefreiheit! Und bei der KI-Verordnung stimmte die Ampel-Regierung für die biometrische Identifikation im öffentlichen Raum – ein verheerender Angriff auf die Grundrecht und obendrein eine gefährliche Blaupause für undemokratische Staaten.

Ein weiteres Beispiel für den Spagat zwischen Theorie und Praxis, bzw. zwischen der internationalen Digitalstrategie und dem Handeln der Regierung: Laut Strategie will die Regierung „Risiken in Lieferketten minimieren“. In der Realität blockt Deutschland das Lieferkettengesetz in der EU. Dabei sind gerade Lieferketten elektronischer Güter hochproblematisch, beispielsweise wegen Kinderarbeit und Umweltzerstörung beim Abbau wichtiger Rohstoffe oder wegen Zwangsarbeit in chinesischen Fabriken. Und trotzdem liegt der Fokus dieser Strategie nicht etwa darauf, sondern ausschließlich auf der Sicherstellung unterbrechungsfreier Lieferketten für die Wirtschaft.

Besonders krass: nur fünf Zeilen dieser Strategie thematisieren den Ressourcenverbrauch durch und die Klimawirkung von Digitalisierung. Ein einziger Satz davon hat Bezug auf Regierungshandeln. Es ist der folgende:„Wir setzen uns weiterhin international für umwelt- und klimafreundliche Entwicklung, Produktion, Nutzung, Reparatur und Entsorgung digitaler Produkte und Dienstleistungen ein“ – Das ist alles! Und das ist oberflächlich, inkonkret und unverbindlich!

Das Fazit der Linken: Auch die Strategie zur internationalen Digitalpolitik dient vor allem Wirtschaftsinteressen und das ist ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren!