Pressemitteilung vom 20. Januar 2023

Als letzten Tagesordnungspunkt debattierte der Bundestag am Abend des 19. Januar 2023 einen Antrag der Linksfraktion mit der Aufforderung, die Bundesregierung zur Ablehnung der sogenannten Chatkontrolle Verordnung der EU zu verpflichten. Der Antrag wurde von allen übrigen Fraktionen abgelehnt. Der Entwurf einer EU-Verordnung für Regeln zur Prävention und Bekämpfung der Darstellung sexueller Gewalt an Kindern ist hochumstritten, da er vor allem auf weitreichende und grundrechtsverletzende Überwachungsmaßnahmen und nur sehr wenig auf Prävention setzt. Kritik kam nicht nur per offenem Brief von über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa, sondern auch von Kinderschutzorganisationen und besonders umfassend und grundsätzlich über ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das den Entwurf als unvereinbar mit europäischen und deutschen Grundrecht bewertet, sowie als ungeeignet für die Erreichung des beabsichtigten Ziels, Kinder besser zu schützen.

Seit Monaten streiten sich die Ampel-Parteien in der Frage, wie sie sich zur Chatkontrolle-Verordnung verhalten. Vor allem Innenministerin Faeser machte Schlagzeilen, als sie mehrfach öffentlich die Verordnung lobte und das sogenannte Client Side Scanning – das automatische Durchsuchen von Inhalten auf privaten Geräten vor der Verschlüsselung – befürwortete. Auch in der Debatte war erkennbar, dass ein Riß durch die Ampelkoalition geht, trotz Kritik von MdB aller drei Ampelfraktionen an grundrechtswidrigen Elementen der geplanten Verordnung und der erklärten Absage einer SPD Rednerin zum Client Side Scanning. Denn weiterhin ist nur sicher, dass Deutschland die Verordnung nicht ablehnen wird, offen ist aber weiterhin, ob es zu einer Zustimmung oder ein Enthaltung kommen wird und damit Deutschland direkt oder indirekt dazu beiträgt, die größte Überwachungsinfrastruktur seit Jahrzehnten aufzubauen. Schon im Herbst 2022 hatte bereits das österreichische Parlament daher seine Regierung auf Basis der Landesverfassung zur Ablehnung der Chatkontrolle Verordnung verpflichtet.

Die digitalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Anke Domscheit-Berg, erklärt:

„Es ist mir unbegreiflich, dass eine Bundesregierung ohne Beteiligung der CDU/CSU es nicht schafft, sich unmissverständlich gegen ein EU-Verordnungsvorhaben zu positionieren, das nichts weiter als ein Gruselkabinett von Überwachungsmaßnahmen ist und keineswegs geeignet, Kinder besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Die Ampel-Koalitionäre argumentieren, dass sie sich einerseits nur bei einer grundsätzlichen Unterstützung in Brüssel für positive Veränderungen des Verordnungsentwurfs einsetzen könnten und es andererseits ja auch unterstützenswerte Inhalte wie ein geplantes EU-Zentrum gäbe. Dieses Zentrum hat jedoch keineswegs den Zweck, vor allem der Prävention zu dienen, sondern soll insbesondere die Umsetzung technischer Überwachungsmaßnahmen unterstützen und begleiten.

Außerdem ist es völlig abwegig, eine Verordnung zu unterstützen, die nicht nur einen klaren Bruch mit dem Koalitionsvertrag darstellt, sondern in Gänze unvereinbar ist mit der Grundrechtecharta der EU und mit Verfassungsgrundrechten. Ein von mir beauftragtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kam schon Ende 2022 zu einem vernichtenden Gesamturteil, wonach die Verordnung weder geeignet noch angemessen und verhältnismäßig sei und das Ende der Vertraulichkeit elektronischer Kommunikation bedeute. Sie gefährdet außerdem die IT-Sicherheit aller Nutzer und Nutzerinnen digitaler Dienste, denn um Inhalte auf privaten Geräten vor der Verschlüsselung z.B. über einen Messengerdienst automatisiert durchsuchen zu können, müssen überall Hintertüren in Apps und/oder Geräte eingebaut werden, und diese Hintertüren können und werden Kriminelle für verbrecherische Zwecke nutzen.

Die Koalition redet sich schön, dass sie sowohl mit einer Zustimmung als auch mit einer Enthaltung in Brüssel dazu beitragen wird, dass in Europa eine beispiellose Zensur- und Überwachungsinfrastruktur entsteht, die unkontrollierbar ist, von undemokratischen Drittstaaten begeistert für die Unterdrückung Oppositioneller kopiert werden wird und einen Geist aus der Flasche lässt, der kaum wieder eingefangen werden kann. Mit der Anwendung dieser Verordnung werden künftig Ermittlungsbehörden durch tausende Fälle falscher Verdächtigungen von der Verbrechensermittlung abgehalten, Jugendliche werden massenhaft kriminalisiert, weil Algorithmen Sexting von Grooming nicht unterscheiden können, und unzählige Unschuldige werden schrecklicher Verbrechen verdächtigt, weil künstliche Intelligenz legitime Familienfotos z.B. von badenden Kindern in Chats oder Foto-Cloud-Backups mit strafbaren Bildern verwechselt.

Soziale Probleme lassen sich mit technischen Mitteln nicht lösen, stattdessen braucht es endlich einen umfassenden Katalog wirksamer, aber eben nicht grundrechtsverletzender Maßnahmen, um Kinder tatsächlich besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Ich bedaure sehr, dass die Ampelmehrheit im Bundestag sich dem Antrag der Linken nicht anschließen wollte und fordere die Regierungskoalition erneut dazu auf, sich weder aktiv noch passiv am Aufbau dieser beispiellosen Überwachungsinfrastruktur zu beteiligen.”

Hintergrund: Als letzten Tagesordnungspunkt debattierte der Bundestag am Abend des 19. Januar 2023 einen Antrag der Linksfraktion mit der Aufforderung, die Bundesregierung zur Ablehnung der sogenannten Chatkontrolle-Verordnung der EU zu verpflichten. Der Antrag wurde von allen übrigen Fraktionen abgelehnt. Der Entwurf einer EU-Verordnung für Regeln zur Prävention und Bekämpfung der Darstellung sexueller Gewalt an Kindern ist hochumstritten, da er vor allem auf weitreichende und grundrechtsverletzende Überwachungsmaßnahmen und nur sehr wenig auf Prävention setzt. Kritik kam nicht nur per offenem Brief von über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa, sondern auch von Kinderschutzorganisationen und besonders umfassend und grundsätzlich über ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das den Entwurf als unvereinbar mit europäischen und deutschen Grundrecht bewertet, sowie als ungeeignet für die Erreichung des beabsichtigten Ziels, Kinder besser zu schützen.

Seit Monaten streiten sich die Ampel-Parteien in der Frage, wie sie sich zur Chatkontrolle-Verordnung verhalten. Vor allem Innenministerin Faeser machte Schlagzeilen, als sie mehrfach öffentlich die Verordnung lobte und das sogenannte Client Side Scanning – das automatische Durchsuchen von Inhalten auf privaten Geräten vor der Verschlüsselung – befürwortete. Auch in der Debatte war erkennbar, dass ein Riss durch die Ampelkoalition geht, trotz Kritik von MdB aller drei Ampelfraktionen an grundrechtswidrigen Elementen der geplanten Verordnung und der erklärten Absage einer SPD-Rednerin zum Client Side Scanning. Denn weiterhin ist nur sicher, dass Deutschland die Verordnung nicht ablehnen wird, offen ist aber weiterhin, ob es zu einer Zustimmung oder einer Enthaltung kommen wird und damit Deutschland direkt oder indirekt dazu beiträgt, die größte Überwachungsinfrastruktur seit Jahrzehnten aufzubauen. Schon im Herbst 2022 hatte bereits das österreichische Parlament daher seine Regierung auf Basis der Landesverfassung zur Ablehnung der Chatkontrolle-Verordnung verpflichtet.“

Die PM auf der Seite der Linksfraktion.

Mehr zur Position und Arbeit von Anke Domscheit-Berg bezüglich Chatkontrolle

Kontakt:

Anke Domscheit-Berg

mailto: anke.domscheit-berg@bundestag.de

Tel.: (030) 227 73107

In der 6. Ausgabe von Der ADB Podcast erzähle ich Euch von einer Anhörung im Bundestag am 14.12.2022  zu den Themen Web3 (Blockchain und Co) sowie Metaverse und vom Digitalausschuss am gleichen Tag. Dort ging es heiß her, denn das Thema war die EU-Chatkontrolle Verordnung und das Hickhack in der Ampel-Koalition, aber auch um den Digital Services Act /Digitale Dienste Gesetz mit Schwerpunkt Nationaler Digitale Dienste Koordinator.


Ich freue mich wenn ihr wieder reinhört, den Podcast weiterempfehlt und wie immer über Feedback an anke.domscheit-berg@bundestag.de oder gern auch auf Social Media mit Hashtag #DerADBPodcast

Dafür findet ihr mich hier:

Twitter

Instagram

Mastodon

Youtube

Facebook

Kapitelmarken:

00:00:47 – Anhörung Web 3.0 und Metaverse – Intro 

00:07:11 – Status Quo Web 3, XR & Metaverse 

00:19:24 – Debunking Web3: Dezentralität, Unabhängigkeit von großen tech Giganten

00:22:52 – Debunking Web3: Autonomie/Souveränität für Nutzer:innen

00:30:29 – Debunking Web3: Zugang marginalisierter Gruppen verbessern

00:33:50 – Web3 und Nachhaltigkeit

00:34:39 – Web3 und Regulierung

00:37:49 – Web3 fördern?

00:40:40 – Fazit Anhörung Web3 und Metaverse

00:42:04 – Chatkontrolle (Ausschuss)

00:49:57 – Zeitplanung Chatkontrolle Verordnung

00:50:39 – Verwirrung: Kommt Client Side Scanning?

00:55:20 – Altersverifizierung – wie soll das gehen?

00:57:31 – Fazit Chatkontrolle

00:58:10 – Digital Services Act –Digitale Dienste Gesetz

00:58:40 – zeitliche Umsetzung DSA / Digitale Dienste Koordinator

01:03:26 – Outro & Termine

Weiterführende Links:

Anhörung Web 3.0 u Metaverse:

Chatkontrolle

DSA:

Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Justizminister Buschmann und der Skandal um Konnektoren

In der 5. Folge von DerADBPodcast erzähle ich von einer Anhörung zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit am 28.11. (die habe ich initiiert, weil die Themen zwingend zusammen betrachtet werden müssen) und vom Digitalausschuss am 30.11.22, in dem es um 2 Themen ging.

Erstens war der Bundesminister für Justiz Dr. Marco Buschmann zu Gast und antwortete auf unsere Fragen zu Digitalisierungsprojekten im BMJ aber auch zu EU Themen (Chatkontrolle!), Dissenzen in der Ampel (Vorratsdatenspeicherung!) und vieles mehr.

Zweitens ging es um den “Konnektorentausch-Skandal”, verbunden mit der Verschwendung von vielen Millionen Kassenbeiträgen, die ohne Chaos Computer Club vielleicht sogar Hunderte Millionen geworden wären. Da gab es diverse WTF Momente.


Ich freue mich wenn ihr wieder reinhört, den Podcast weiterempfehlt und wie immer über Feedback an anke.domscheit-berg@bundestag.de oder gern auch auf Social Media mit Hashtag #DerADBPodcast

Dafür findet ihr mich hier:

Twitter

Instagram

Mastodon

Youtube

Facebook

Kapitelmarken:
00:00:07 Intro
00:01:31 Nachreichungen zu Datenstrategie und Netzausbau
00:03:20 Anhörung Nachhaltigkeit und Digitalisierung vom 28.11.22 – Intro
00:08:50 fehlende Daten, mangelnde Transparenz
00:11:34 (In)-effiziente Rechenzentren
00:16:26 Netzinfrastruktur, Datenvolumen, Rebound Effekte
00:17:20 Elektronische Geräte, Reparieren, Recyclen
00:24:02 Energieeffiziente Software
00:26:49 Indirekte Effekte: Algorithmen, Flatrates, klimaschädliche Geschäftsmodelle
00:28:28 Nachhaltigkeit und das Internet der Dinge
00:30:08 Everything Open – gut für das Klima
00:31:27 Digitalausschuss 30.11.22, Thema 1: Justizminister Buschmann, Intro
00:34:47 Chatkontrolle,Client Side Scanning, Netzsperren, Altersverifizierung
00:37:46 Vorratsdatenspeicherung: Quick Freeze oder IP Adressspeicherung? Staatstrojaner
00:39:08 Das Digitale-Gewalt-Schutzgesetz und die Impressumspflicht
00:41:44 NetzDG, Twitter, Mastodon und Plattformräte
00:48:54 Digitalpakt für den Rechtsstaat
00:50:38 KI, Digitalcheck für Gesetze, Hackerparagraf, G7 Justizministertreffen
00:53:27 Digitalausschuss 30.11.22, Thema 2: Konnektoren und die Gematik – ein Trauerspiel, Intro
00:58:28 Anzahl zu tauschender Konnektoren und Kosten
01:02:32 Austausch der Smart Cards – eine Alternative?
01:04:56 Fazit
01:06:02 Outro, Ankündigungen + Terminhinweise

Weiterführende Links:
Anhörung Nachhaltigkeit und Digitalisierung 28.11.2022: https://dbtg.tv/cvid/7548606
Meine Kleinen Anfragen zur Nachhaltigkeit der Bundes-IT:
https://mdb.anke.domscheit-berg.de/2021/07/kleine-anfrage-zu-digitalisierung-und-nachhaltigkeit/
https://mdb.anke.domscheit-berg.de/2022/09/meine-kleine-anfrage-status-quo-und-fortschritt-bei-der-nachhaltigkeit-der-it-des-bundes/

14.12. Web 3.0 und Metaverse: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a23_digitales/Anhoerungen/921548-921548
25.01. Cybersicherheit: (folgt)
01.03. Chatkontrolle: (folgt)

Die 4. Folge von DerADBPodcast kommt leider krankheitsbedingt etwas verspätet. Ich berichte Euch darin vom Digitalausschuss am 09.11.2022, in dem wir 2 große Themen hatten:

1) Bundesminister Volker Wissing befragten wir zur Umsetzung der Digitalstrategie aber v.a. zu den vier „Hebelprojekten“: digitale Identitäten und moderne Register, digitale Infrastruktur, Daten- und Datenwerkzeuge, internationale Standards und Normen. Ein besonderes WTF gibts zum Thema Digitalmanager, die entweder mit 5G oder mit Funklöchern zu tun haben sollen, aber das müßt Ihr Euch genauer anhören.

2) Befragten wir BMDV und BMWK zum Data Act der EU (Spoiler: das Verkack-Potenzial ist sehr hoch).

Am Anfang gibts aber noch aufschlussreiche Nachreichungen aus dem BMUV unter anderem zum Verbraucherschutz im AI Act der EU und zur Nachhaltigkeit der Bundes-IT.

Ich freue mich wenn ihr wieder reinhört, den Podcast weiterempfehlt und wie immer über Feedback an anke.domscheit-berg@bundestag.de oder gern auch auf Social Media mit Hashtag #DerADBPodcast.

Dafür findet ihr mich hier:

Twitter

Instagram

Mastodon

YouTube

Facebook

Weiterführende Links:

Nachreichungen:

  • Kleine Anfrage Martina Renner zum Thema 20/4446:

Terminhinweise

Mein im Tagesspiegel Backround erschienener Artikel, vom 21.11.2022

Die Vorratsdatenspeicherung ist zwar weitgehend vom Tisch, aber nun droht ihre jüngste Schwester, bekannt als „Chatkontrolle“, per Europäischer Regulierung eine gefährliche Zensur-Infrastruktur zu schaffen, die von undemokratischen Regierungen, aber auch in der EU selbst missbraucht werden kann, ohne wirksame Kontrollmöglichkeiten durch Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Journalismus oder Politik.

Die EU-Verordnung soll Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen, in dem Bilder davon oder Cybergrooming eher entdeckt werden. Weitreichende
Eingriffe in Grundrechte werden immer mit Zielen durchgesetzt, bei denen der gesellschaftliche Widerstand klein ist, wer will schon als jemand da stehen, der Kindervergewaltiger vor Strafverfolgung schützt? Nach 9/11 war es der Kampf gegen den Terrorismus, davor war die Angst groß und deshalb der Widerstand klein gegen Überwachung im Netz.

Aber die Hürde für Grundrechtseinschränkungen liegt hoch, drei Anforderungen müssen erfüllt sein, unabhängig davon, wie edel die erklärten Ziele sind. Genau diese Prüfung nahm der unabhängige Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in meinem Auftrag vor, denn jede Grundrechtseinschränkung muss sowohl geeignet, als auch angemessen und verhältnismäßig sein. Nach aktuellem Stand würde die Verordnung Diensteanbieter dazu verpflichten, eine Risikobewertung ihres Dienstes hinsichtlich der Verbreitung dieser speziellen Inhalte vorzunehmen. Dazu muss ein Diensteanbieter aber wissen, ob sein Dienst dafür genutzt wird, wozu er alle Inhalte kontrollieren muss. Das erfordert wiederum algorithmische Filter, da Milliarden von Inhalten zu prüfen wären.

Das ginge in zwei Varianten: entweder man baut Löcher in verschlüsselte Kommunikation ein, was ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag wäre, der ein Bekenntnis zur Unantastbarkeit sicherer Verschlüsselungen enthält. Oder man nutzt Client Side Scanning (CSS), bei dem noch vor dem Verschlüsseln die Inhalte überprüft werden. Laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages erfordert das CSS den Einbau „kodifizierter, werkseitiger Hintertüren“ in den genutzten Geräten, also absichtliche Schwachstellen, die auch Dritte für Cyberangriffe nutzen können. Das reduziert die IT-Sicherheit in Zeiten hoher Angriffswahrscheinlichkeiten.

Auf meine Fragen nach ihrer Haltung zum CSS antwortete die Bundesregierung stets ausweichend. Hält Innenministerin Nancy Faeser
eine Überwachung privater Kommunikationen per CSS etwa für vereinbar mit dem Koalitionsvertrag? Auch CSS macht verschlüsselte Kommunikation kaputt, denn ihr Zweck, vertrauliche und private Kommunikationen vor Kenntnisnahme Dritter zu schützen, ist nicht mehr erreichbar. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt daher zu der klaren Einschätzung, dass die verpflichtende Risikobewertung sichere Kommunikationswege faktisch abschafft.


Wäre die Chatkontrolle eine geeignete Maßnahme?

Schon bei der Prüfung der Eignung der Maßnahme dafür, ob sie Kinder vor sexualisierter Gewalt schützt, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages Bedenken und verweist u.a. auf den Kinderschutzbund, der die Verordnung für überzogen und in der Sache für nicht hilfreich hält. Das Hauptproblem sei nicht, dass es an Anzeigen fehlte, sondern dass es an Ressourcen fehlt, bei Anzeigen schnell und effektiv zu ermitteln. Es braucht schlicht mehr Personal. Die steigenden Fallzahlen der vergangenen Jahre liegen vor allem an der bereits stattfindenden Erhellung des Dunkelfeldes.

So arbeiteten in der zuständigen Stelle in NRW noch vor vier Jahren nur zwölf Fachkräfte, inzwischen sind es 90. Mit der Chatkontrolle bekämen diese bereits überlasteten Fachkräfte eine Welle Tausender falscher Meldungen zusätzlich, weil die Algorithmen auch bisher unbekannte Bilder flaggen und legales Sexting unterscheiden sollen von
Cybergrooming, was hohe Fehlerraten unvermeidbar macht. Das bindet Ressourcen, die bei echten Fällen fehlen werden – das wirkt sogar gegen
das erklärte Ziel.

Wäre die Chatkontrolle angemessen?

Der Wissenschaftliche Dienst prüfte auch, ob die Chatkontrolle angemessen ist, der EuGH meint damit, dass es keine andere Maßnahme gibt, die mit weniger Grundrechtseinschränkung das gleiche Ziel erreicht. Auch diese Prüfung besteht die Chatkontrolle nicht. Mehr Ressourcen für Strafverfolgung und vor allem für Prävention im Bereich Kinder-und Jugendschutz bereitzustellen, wären zum Beispiel grundrechtsfreundlichere Maßnahmen. Ich kenne selbst Fälle aus meinem Umfeld, wo weder von Cybergrooming betroffene Jugendliche noch deren Eltern und Lehrkräfte wussten, was zu tun war, wie groß potenzielle Gefahren sind und wie oft Täter mit falschen Identitäten unterwegs sind. Als Teil der Prävention zum Thema Cybergrooming könnte zum Beispiel der hervorragende Film „Gefangen im Netz“ in allen Schulen gezeigt und sein Material bearbeitet werden.

Wäre die Chatkontrolle verhältnismäßig?

Bei einer Grundrechtseinschränkung muss weiterhin der mit ihr erzielbare Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis zu den unerwünschten Nebenwirkungen stehen, um vereinbar zu sein mit der EUGrundrechtecharta (Art. 7, 8, 11 GRCh) und mit der EU Richtlinie 2002/58/EG, die die Vertraulichkeit der Kommunikation schützt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt auch bei dieser Prüfung zu einer eindeutigen Einschätzung: die Verhältnismäßigkeit sei nicht gegeben, da bereits der Nutzen fraglich sei, die zu erwartenden negativen Effekte sowohl für die gesamte Gesellschaft (Stichworte Chilling Effect, geminderte IT-Sicherheit u.a.) aber auch für die eigentlich zu schützenden Jugendlichen gravierend sind.

So stammen nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von 5. Oktober 2022 inzwischen schon etwa 50 Prozent der illegalen Verbreitung pornografischer Inhalte von Jugendlichen selbst. Da das Strafrecht in Deutschland nicht unterscheidet, ob ein 50-Jähriger mit einer 15-Jährigen explizite Bilder austauscht oder zwei 15-Jährige untereinander, werden Heranwachsende schon heute kriminalisiert. Da Algorithmen der Chatkontrolle Cybergrooming von Sexting zwischen Minderjährigen nicht unterscheiden können, geraten Jugendliche künftig noch häufiger unter Verfolgungsdruck. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages verweist daher explizit auf die zu erwartenden negativen Folgen für die Entwicklung Heranwachsender.

Last but not least möchte ich auf die mangelnden Kontrollmöglichkeiten der Chatkontrolle hinweisen, denn schon in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung lehnten sowohl der EuGH als auch das Bundesverfassungsgericht deren Verhältnismäßigkeit auch mit dem Argument ab, dass es an hinreichendem Schutz vor Missbrauchsrisiken der Überwachung fehle.

Bei der Chatkontrolle wird ein als illegal identifiziertes Bild mit einem Algorithmus in einen Hash-Wert umgerechnet, der nicht wieder rückwärtsgerechnet werden kann. Dieser Hash-Wert wandert in eine Datenbank aller dorthin gemeldeten Hash-Werte. Ab da kann niemand mehr feststellen, was für ein Bild hinter einem solchen Hash steckt, es sei denn, man hat das Bild bereits und rechnet damit selbst einen Hash-Wert aus und kann dann beide Hash-Werte miteinander vergleichen. Will jemand die Verbreitung eines legalen, aber missliebigen Bildes behindern, bräuchte man nur den Hash-Wert dieses Bildes in die Datenbank laden und der Filter-Algorithmus der Chatkontrolle verhindert die Verbreitung dieses Bildes selbst in privaten Chats. Diese Eigenschaften machen die Chatkontrolle zu einer potenziell mächtigen Zensurmaschine, die sich externer Kontrolle entzieht. Bereits 2019 beschrieb die Electronic Frontier Foundation diese Missbrauchsmöglichkeiten von Client Side Scanning.

Ausblick

Viel Zeit bleibt nicht, um diese gefährliche Verordnung zu verhindern, sie soll den Digital Services Act ergänzen und voraussichtlich Anfang 2024 in Kraft treten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre eine Klage dagegen vor dem EuGH erfolgreich, aber bis zu einem Urteil vergingen Jahre, in denen Grundrechte verletzt werden, Diktaturen einen Blueprint für Zensurinfrastrukturen erhalten und den Einsatz mit Verweis auf die EU rechtfertigen können und in denen sinnlos Ressourcen gebunden werden, die für den wirksamen Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt fehlen.

Am 28. Juni habe ich beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags um eine Bewertung des EU-Verordnungsentwurfs „Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“, auch als „Chatkontrolle“ bekannt, gebeten. Der Fokus sollte dabei auf der Frage liegen, ob der eintretende Eingriff in die Grundrechte durch diesen Verordnungsentwurf verhältnismäßig ist. Die Ausarbeitung dazu ist inzwischen eingegangen und kann HIER aufgerufen werden.

Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zum aktuellen Entwurf der EU Chatkontrolle zieht ein vernichtendes Fazit, und stützt alle meine Warnungen und die der Zivilgesellschaft vor dieser Verordnung, die offensichtlich weder dazu geeignet ist, Kinder besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen, noch auch nur ansatzweise angemessen ist, denn das Gutachten bestätigt, dass die Chatkontrolle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte bedeutet und negative Auswirkungen nicht nur allgemein für die Bevölkerung, sondern insbesondere auch für Minderjährige zu erwarten sind.

Ich hoffe sehr, dass man dieses Gutachten im Innenministerium genau zur Kenntnis nimmt, insbesondere die Ausführungen zur faktischen Abschaffung der vertraulichen Kommunikation, aber auch die deutliche Aussage, dass die Umsetzung der Chatkontrolle zwingend entweder die Schwächung verschlüsselter Übertragung oder aber das Auslesen von Messenger-Inhalten vor der Verschlüsselung auf dem Gerät der Nutzer:innen (“Client Side Scanning”) bedeutet. Vor diesem Hintergrund beunruhigt mich sehr, dass die Bundesregierung zwar immer wieder betont, dass sie die verschlüsselte Kommunikation schützen will, sich gleichzeitig aber vor einer klaren Aussage zum Client Side Scanning drückt. Ich habe bereits mehrfach vergeblich danach gefragt und habe den stärker werdenden Eindruck, dass man sich diesen Weg für eine Umsetzung der Chatkontrolle offenhält. Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags macht allerdings sehr deutlich, dass mittels Client Side Scanning nicht nur die Vertraulichkeit der Kommunikation faktisch abgeschafft, sondern außerdem die IT-Sicherheit genutzter Geräte geschwächt wird, da dafür die Gerätehersteller Sicherheitlücken einbauen müssten, die natürlich auch von Dritten gefunden und ausgenutzt werden können.

Nach Kenntnis dieses Gutachtens muss endlich die gesamte Bundesregierung einschließlich der Innenministerin Nancy Faeser die Chatkontrolle als gefährlichen Holzweg erkennen und ihr ganzes Verhandlungsgewicht in Brüssel dafür einsetzen, dass diese Verordnung verhindert wird und sie Kinder stattdessen mit sowohl geeigneten als auch mit grundrechtsfreundlichen Maßnahmen künftig besser vor Gewalt schützt.

Drei Themenblöcke beschäftigen den Digitalausschuss am 22.06.2022. Das BMI war zu Gast, um (auf meine Anregung hin) die Position der Bundesregierung zum Thema Chatkontrolle zu berichten. Was man da so hört aus der Bundesregierung ist mindestens verwirrend. Nachdem „Digitalminister“ Volker Wissing sich klar gegen diesen Entwurf einer grundrechtswidrigen EU Verordnung aussprach, gab es von Seiten BMI leider weniger Klarheit. Ob das Recht auf Verschlüsselung (steht im KoaV!) bestehen bleibt, hängt für das BMI wohl auch davon ab, wie man den Verschlüsselungsprozess definiert. Das macht mir Sorgen. Meine Kritik und welche Präventionsmaßnahmen zum Kinderschutz sinnvoller wären – aber null im Entwurf vorkommen – gibts im Video.

Weiterlesen

Das ist der 1. Teil eines zweiteiligen Videoreports zum irre vollgepackten Digitalausschuss vom 11.5.2022. Es war aber nicht nur viel, sondern auch spannend! Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin der Ampelregierung stellte sich erstmalig den Fragen im Ausschuss, da gab es durchaus auch Neuigkeiten, gute wie schlechtere. Die Themenvielfalt war groß: Hackbacks, Chatkontrolle (niemand, den ich kenne, war so überrascht wie Nancy Faeser über die anlasslose Massenüberwachung, die uns die EU mit der Chatkontrolle beschert hat!), Verwaltungsdigitalisierung – v.a. das Onlinezugangsgesetz, Blockchain und ID-Wallet sowie jede Menge CyberCyber haben wir mit Nancy Faeser und ihrem CIO, Markus Richter besprochen.

Außerdem löcherten wir Staatssekretärin Daniela Kluckert aus dem BMDV mit Fragen zum Thema Digital Services Act, der frisch verabschiedeten europäischen Regulierung digitaler Dienste. Was konnte die Bundesregierung durchsetzen und was nicht? Wie schützt uns das DSA vor Dark Patterns und kommt mit dem DSA jetzt wirklich mehr Jugendschutz ins Internet? Schaut rein, auf etliche meiner Fragen gab es Antworten, auf andere nicht, aber manchmal sagt selbst das einiges aus.

Weiterlesen

Frage

Versteht die Bundesregierung unter einer „durchgängigen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung”, die laut Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sichergestellt werden soll, auch, dass es keinen zweiten privaten Schlüssel geben darf, sowie die betreffende Kommunikation auch an der Quelle oder beim Empfänger, etwa durch Client-Side-Scanning, nicht überwacht werden darf und wie wird sich die Bundesregierung verhalten, wenn die geplante EU Verordnung „zur wirksamen Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern” eine anlassunabhängige Überprüfung aller (auch verschlüsselt übertragener) Kommunikationsdaten auf entsprechende Inhalte hin vorsieht? (Drucksachennr. 20/1817, Frage 41)

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathoff vom 11. Mai 2022

Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden sind in den geltenden Gesetzen abgebildet. Darüber hinaus lehnt die Bundesregierung Forderungen nach Schwächung von Verschlüsselungstechnologien
durch Hintertüren, Generalschlüssel oder „zweite private Schlüssel“ ab. Da die EU Verordnung „zur wirksamen Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern” zum Zeitpunkt der Beantwortung noch nicht veröffentlicht wurde, nimmt die Bundesregierung zu möglichen Inhalten dieser Verordnung keine Stellung.

Originalschreiben vom BMI (geschwärzt)

Die Ergebnisse einer Recherche zu Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet (leider fälschlicherweise immer noch oft als „Kinderpornografie“ bezeichnet)* von NDR und Spiegel aus dem Dezember 2021 ergab, dass große Mengen entsetzlicher Bilder von sexualisierter Gewalt an Kindern auch nach ihrem Entdecken durch Strafverfolgungsbehörden noch im Netz blieb. Die Journalist:innen des Investigativ Magazins Panorama und der Sendung Steuerung_F kontaktierten die Betreiber der jeweiligen Speicherorte und erreichten, dass in kurzer Zeit die meisten dieser Bilder offline genommen wurden.

Ich wollte wissen, wie das BKA mit Fällen umgeht, bei denen sie auf Bilder mit Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern stoßen. Wird eine schnellstmögliche Löschung veranlasst, was offenbar auch niedrigschwellig und mit hoher Erfolgsquote und natürlich auch in anderen Ländern möglich ist? Für eine Antwort auf diese und andere Fragen rund um das Thema habe ich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. 

Weiterlesen