Die Ergebnisse einer Recherche zu Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet (leider fälschlicherweise immer noch oft als „Kinderpornografie“ bezeichnet)* von NDR und Spiegel aus dem Dezember 2021 ergab, dass große Mengen entsetzlicher Bilder von sexualisierter Gewalt an Kindern auch nach ihrem Entdecken durch Strafverfolgungsbehörden noch im Netz blieb. Die Journalist:innen des Investigativ Magazins Panorama und der Sendung Steuerung_F kontaktierten die Betreiber der jeweiligen Speicherorte und erreichten, dass in kurzer Zeit die meisten dieser Bilder offline genommen wurden.

Ich wollte wissen, wie das BKA mit Fällen umgeht, bei denen sie auf Bilder mit Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern stoßen. Wird eine schnellstmögliche Löschung veranlasst, was offenbar auch niedrigschwellig und mit hoher Erfolgsquote und natürlich auch in anderen Ländern möglich ist? Für eine Antwort auf diese und andere Fragen rund um das Thema habe ich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. 

Opferschutz ist sekundär

Die Antworten der Bundesregierung fand ich schockierend, denn sie zeigen, dass der Opferschutz keine prioritäre Rolle spielt, dass sie eigentlich nur die Strafverfolgung der Täter interessiert. Es ist erschütternd, in welchem Maße das Löschen belastenden Materials anderen Interessen des BKA untergeordnet wird. Denn faktisch ist die Präsenz solcher Darstellungen eine Fortführung von Straftaten, die weiterhin minderjährige Opfer betreffen, und Opferschutz muss immer ein höchstes Ziel sein. Außerdem wurde das Prinzip „Löschen statt Sperren“ vom Bundestag 2011 mit der Aufhebung des gescheiterten Netzsperren-Gesetzes der damaligen Familienministerin von der Leyen in einem Gesetz festgeschrieben. Das Löschen derartiger Inhalte muss daher auch eine Aufgabe für das BKA sein, jedenfalls immer dann, wenn man bei Ermittlungen auf solche Inhalte stößt. So klar stand es im Gesetz 2011:

„Jeder Klick, der den Internetnutzer auf ein kinderpornographisches Foto führt, verletzt erneut die Rechte des vom Missbrauch Betroffenen. Bekämpfungsansätze von Missbrauchsdarstellungen im Internet müssen daher bestmöglich an Opferschutzinteressen ausgerichtet sein.“

Ein Vergleich mit einer analogen Straftat macht das Defizit besonders deutlich: eine Gruppe von Polizist:innen würde auf der Straße bei einer andauernden Körperverletzung ja auch nicht gemeinsam einem weglaufenden Täter:innen hinterher rennen, während am Tatort andere Täter weiterhin ungestört Opfer verprügeln – sie würden sich aufteilen, weil es für BEIDE Aufgaben genügend Ressourcen und vergleichbare Prioritäten braucht: für den Opferschutz und für die Verfolgung von Täter:innen.

Personalressourcen bleiben geheim: aus ermittlungstaktischen Gründen

Einige meiner Fragen wurden leider nicht beantwortet, z.B. die zur Personalsituation, ich hätte gern gewusst, wie viele Ressourcen in Bundesbehörden (BKA und andere) mit Ermittlungen zu Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet  befasst sind, wie viele Stellen es dafür gibt und wie viele davon unbesetzt sind. Insbesondere hat mich auch die Anzahl IT-Stellen interessiert, die dafür unterstützend tätig sind. Eine Antwort gab es nicht, weil dafür einerseits die Länder zuständig seien, man andererseits dennoch dazu tätig wird auf Anforderung der Länder, aber aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft dazu geben kann.

Ziele, die man nicht misst, hält man nicht für wichtig

Auch sonst überrascht, wie viel Unkenntnis seitens der Bundesregierung bei diesem Thema besteht: Sie hat keine Zahlen dazu, von wie vielen Dateien ihre Behörden Kenntnis haben, die tatsächlich unerreichbar im Darknet liegen, und nicht dort nur verlinkt sind, aber als Datei im ganz normalen Internet herumliegen, wo man sie löschen lassen könnte.  Sie weiß auch nicht, wie oft das BKA und andere Polizeien überhaupt versuchen, etwas löschen zu lassen. Ich halte ja viel von dem Grundsatz: You Get What You Measure. Mit anderen Worten: Ziele, die man nicht messbar macht, werden nicht erreicht. Wer nicht erhebt, von wie vielen derartigen Dateien man Kenntnis hat und wie oft man in solchen Fällen eine Löschung anstößt und wie oft man diese damit erreicht, der wird es kaum tun, schon gar nicht in jedem Fall.

Beantragt das BKA die Löschung bei Speicherdiensten? NEIN. Einfach NIE.

Schockierend finde ich, dass sich das BKA kaum an internationalen Aktivitäten zum Löschen entsprechenden Materials beteiligt und sich offenbar auch gar nicht zuständig sieht. So werden im Ausland befindliche Service-Provider seitens des BKA schlicht und ergreifend nicht benachrichtigt. Siehe ihre Antwort auf Frage 9 der Kleinen Anfrage:

Zwar behauptet die Bundesregierung in ihrer Antwort recht unspezifisch, erfolgreich mit anderen zu kooperieren, um derartige Inhalte „schnellstmöglich“ zu löschen. Aber am schnellsten wäre der direkte Weg über eine Meldung an die Speicherdienste und nicht ein Abladen der Verantworten auf Dritte, wie z.B. Interpol oder andere Institutionen.

Besonders schäbig: Ermittlungen gehen immer VOR, eine Weitermeldung an Dritte mit dem Ziel der Löschung solcher strafbaren Inhalte erfolgt nur am Ende von Täter:innenermittlungen und nur, wenn man sich nicht noch weitere Ermittlungserkenntnisse davon erhofft – das gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort zu, sowohl indirekt in ihrer Antwort auf Frage 8 meiner Kleinen Anfrage):

…als auch ganz direkt:

Schräge Rechtsauffassung: BKA fehle Rechtsgrundlage, um tätig zu werden

Gefragt danach, ob es eine Rechtsgrundlage dafür gibt, derartige Inhalte selbst nach Kenntnis der Bundesbehörden weiter im Netz zu belassen – also nichts für ihre schnellstmögliche Löschung zu tun, antwortet die Bundesregierung überraschend, dass es keine Rechtsgrundlage für die Löschung gäbe! Das ist natürlich irreführend, denn für eine Mail an Speicherdienstleister, in der man auf Darstellungen von Kindesmissbrauch hinweist, braucht es keine gesonderte Rechtsgrundlage, weil die Behörde damit gar nicht hoheitlich tätig wird, das hat der Wissenschaftliche Dienst schon 2009 klargestellt (Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 211/09).

Ich fordere, dass alle staatlichen Ermittlungsbehörden, also explizit auch das BKA, sämtliche derartigen Gewaltdarstellungen löschen lassen, die ihnen durch die Ermittlungen bekannt werden und dass dies auch in den Berichten nachvollziehbar dargestellt wird!

Schäbig: keine direkte Unterstützung des Bundes für internationales Netzwerk Arachnid

Außerdem muss offenbar auch die internationale Kooperation unbedingt verbessert werden. Arachnid, eine kanadische Plattform zur Bekämpfung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet, wird seit Jahren lobend in den Berichten der Bundesregierung erwähnt. Seit 2019 arbeitet jugendschutz.net an dieser Datenbank mit und schon 2018 hat sich die Kinderkommission des Bundestages damit befasst und damals die Bereitstellung von mehr Mitteln gefordert. Jugendschutz.net ist so mager ausgestattet, dass sie laut Bundesregierung nur 1 Stunde pro Woche für die Zuarbeit zu Arachnid aufwenden können.

Außerdem erfährt man durch die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage, dass es überhaupt gar keine direkte Kooperation zu geben scheint, dass keine einzige deutsche Behörde irgendwie finanziell noch personell das Projekt Arachnid unterstützt, dass auch keine der zahlreichen von deutschen Behörden gefundenen, einschlägigen Dateien zur Aufnahme in die internationale Datenbank von Arachnid weitergeleitet werden. Auch das BKA trägt nicht zu dieser wichtigen Datenbank bei:

Hier wurden also bisher Aktivitäten vorgetäuscht, die es nicht gibt. Und das alles gibt die Bundesregierung in der gleichen Antwort auf unsere Anfrage zu, in der sie auch schreibt, dass der Beseitigung solcher Darstellungen im Internet „die höchste Priorität beigemessen werden muss“. Mit Worten hilft man Opfern aber nicht, man hilft ihnen mit Taten, und die überlässt die Bundesregierung anderen. Diese Praxis finde ich unbegreiflich und abstoßend, ich habe dafür keinerlei Verständnis

Wie oft wird Kinderschutz vorgeschoben, wenn es um Überwachung geht?

Vor diesem Hintergrund verstehe ich die ständigen Beteuerungen nicht, wie wichtig den Behörden das Thema sei. Ich sehe meine Befürchtung bestätigt, dass der Schutz der Kinder teilweise nur ein vorgeschobenes Argument ist, um mehr Überwachungsbefugnisse zu bekommen. Während Unkenntnis und mangelndes Engagement des BKA für die Löschung solcher Dateien offensichtlich ist, erscheint es umso fragwürdiger, dass derzeit auf EU-Ebene mit der sogenannten „Chatkontrolle“ sogar die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sämtlicher Kommunikationen über Messenger eingeschränkt werden soll, unter dem Vorwand, Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern aufzudecken. Auch andere Instrumente der Überwachung, wie Vorratsdatenspeicherung und Staatstrojaner, die massiven unspezifischen Schaden anrichten, wurden immer wieder mit der Existenz derartiger Medien im Netz begründet. Dass es wirklich primär um Kinderschutz und nicht um den Ausbau staatlicher Überwachung im Internet und bei Kommunikationsmitteln geht, erscheint zunehmend unglaubwürdig.  Noch ist die Ampel-Koalition erst 100 Tage im Amt, zu kurz, um schon viel zu verändern. Aber mit der Zeit sollte man erkennen können, dass sich an den Fehlentwicklungen der GroKo Jahre durch die Ampel etwas ändert. Ich werde jedenfalls auch künftig darauf achten, denn nur durch schöne Worte im Koalitionsvertrag ändert sich die Praxis nicht.

Dokumente:

Quellen:

  • Kindesmissbrauch: Ermittler lassen Bilder nicht löschen. Tagesschau.de
  • Pädo-Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen? STRG_F
  • Kleine Anfrage ‚Löschen statt Sperren‘ der Linksfraktion im Bundestag Drucksache 20/729
  • Zulässigkeit des Versendens von sog. „Abuse E-Mails“ durch das Bundeskriminalamt an außereuropäische Host-Provider. Wissenschaftliche Dienste des Bundestages. Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 211/09

Weitere Links:

* Im englischen Sprachraum wird für solche Darstellungen die Abkürzung „CSAM“ verwendet: Child Sexual Abuse Material