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Im Jahr 2021 versprach die selbsternannte Fortschrittskoalition in ihrem Koalitionsvertrag: “Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht”. Schon die Antwort der Ampel auf meine Kleine Anfrage im Dezember 2023 ergab, dass diese Ankündigung der Ampel und ihre Umsetzung eklatant auseinander klafften. So gab die Bundesregierung zu, dass seit Beginn der Legislaturperiode nur ca. 0,5 Prozent seiner Ausgaben zu Entwicklungsaufträgen von Software auf OSS entfielen. Für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software gab der Bund insgesamt sogar etwa 3,5 Milliarden Euro aus, auch davon flossen aber nur 18,6 Mio. (0,54 Prozent) im Zusammenhang mit Open Source Software. Die vielen Tabellen mit der Auflistung aller Software Entwicklungsaufträge aus dieser Anfrage wurde leider aus Gründen der Sicherheit eingestuft, ich konnte sie also nicht veröffentlichen.

Meine neue Anfrage belegt Schere zwischen Koalitionsvertrag und Praxis im Bund

Deshalb habe ich nun erneut nachgefragt mit einer Schriftlichen Frage und deren Beantwortung durch die Bundesregierung (August 2024) zeigt das konkrete Ausmaß der krassen Schere zwischen Absichtserklärung und gelebter Praxis mit Blick auf die Beauftragung von Open Source Software.

Hier die nackten Fakten (besonders peinlich das Digitalministerium!):

  • 1.727 Software Entwicklungsaufträge erteilte die Ampel-Regierung seit Veröffentlichung des Koalitionsvertrages
  • 475 davon sollen als Open Source beauftragt worden sein (=27,5 %)
  • 352 dieser Open Source Aufträge (74%) soll das BMEL beauftragt haben, das noch im Nov. 2023 nur 62 Software Entwicklungsaufträge in meiner Kleiner Anfrage angab, davon 12 als Open Source (Details zur Kl. A. sind eingestuft)
  • 123 von insg. 1.293 Entwicklungsaufträgen der anderen Ministerien wurden als Open Source beauftragt (9,5%)
  • 61 der 1.727 Fälle von Software Entwicklung (3,5%) haben den Source Code der Software veröffentlicht
  • 6 Ministerien veröffentlichten in keinem einzigen Fall den Source Code beauftragter Software
  • 0,37 % (2 von 542 Softwareentwicklungsaufträgen) beim BMDV haben den Source Code veröffentlicht
  • 5 Ministerien haben keinen einzigen SW-Entwicklungsauftrag als Open Source beauftragt (BMAS, BMWSB, BMVg, BMBF) oder weniger als 1 % (BMDV: 0,55%)

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Meine Frage:

„Wie hoch ist der Anteil der Entwicklungsaufträge für Software, die seit Veröffentlichung des Koalitionsvertrages zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP entsprechend der darin enthaltenen Ankündigung “Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht” tatsächlich als Open Source beauftragt wurden (bitte dafür je Ressort unter Beachtung aller nachgeordneten Behörden die Anzahl erteilter Entwicklungsaufträge insgesamt und die Anzahl derjenigen Aufträge davon angeben, die die genannte Bedingung erfüllen, also als Open Source beauftragt wurden), und wie bewertet die Bundesregierung diese Zahlen hinsichtlich der Erfüllung ihres Koalitionsvertrages?“

Vorbemerkungen der Bundesregierung:

„Vorbemerkung:
Die Beantwortung der Frage erfolgte unter den nachfolgenden Annahmen:

• Die Formulierung „beauftragt“ bezieht sich auf die Auftragsvergabe an Organi-
sationseinheiten innerhalb der Bundesverwaltung sowie externe Stellen au-
ßerhalb der Bundesverwaltung (privatwirtschaftliche Unternehmen, Dienstleis-
ter auf kommunal-, landes- oder EU-Ebene).
• Bezüglich des Begriffs „Open Source“ wurde die Annahme getroffen, dass es
sich bei dabei um eine quelloffene Software handelt, bei der grundsätzlich
eine freie Weitergabe der Software ermöglicht wird und es eine Möglichkeit
gibt, den Quellcode der Software zu erhalten.
• Zum Begriff „öffentlich gemacht“ wurde die Annahme getroffen, dass es für die
Öffentlichkeit eine grundsätzliche Möglichkeit geben soll, die Software zur Nut-
zung als Datenträger oder über das Internet als Software-Download zu bezie-
hen.
• Da die Frage auf den gesamten Zeitraum nach Veröffentlichung des Koaliti-
onsvertrages abzielt, wurden die Daten für den Zeitraum Dezember 2021 bis
Juli 2024 erhoben.“

Antwort der Bundesregierung:

„1. Der Anteil der Entwicklungsaufträge in Prozent je Ressort für als Open Source
beauftragte Softwareentwicklungsaufträge beträgt für:

2. Der Anteil der Entwicklungsaufträge in Prozent je Ressort für als Open Source
beauftragte Softwareentwicklungsaufträge die öffentlich gemacht wurden be-
trägt für:

3. Wie bewertet die Bundesregierung diese Zahlen hinsichtlich der Erfüllung ih-
res Koalitionsvertrages?

Open Source ist lediglich ein Teil der Strategie zur Erreichung der Digitalen
Souveränität. Eine ganzheitlichere und aussagekräftigere Betrachtung um-
fasst weitere Initiativen, darunter die Multi-Cloud-Strategie der Bundesregie-
rung, die Gründung des Zentrums für Digitale Souveränität (ZenDiS) im Jahr
2022, die Stärkung von IT-Kompetenzen (durch die Gründung der Digitalaka-
demie im Jahr 2021) sowie die Vernetzung über die europäische Plattform
“Gaia-X” zur Schaffung einer souveränen europäischen Dateninfrastruktur.

Die Bundesregierung fördert den Einsatz offener Standards und Open-Source-
Software, die bei neu anzuschaffender Software vorrangig vor solcher Soft-
ware beschafft werden soll, deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist
oder deren Lizenz die Verwendung, Weitergabe und Veränderung ein-
schränkt.

Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde mit dem Inkrafttreten des OZG-
Änderungsgesetz (OZGÄndG) am 24. Juli 2024 vollzogen. Als eine Anpas-
sung des E-Government-Gesetzes – EGovG regelt dies die vorrangige Nut-
zung von Open Source Software in der Bundesverwaltung. Die Bundesregie-
rung erfüllt somit eine weitere Forderung aus dem Koalitionsvertrag 2021-
2025 (Zitat: „Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source be-
auftragt…“) und stärkt damit die Digitale Souveränität in der IT der Bundesver-
waltung.

Antwort der Bundesregierung im PDF:

Hinweis zu nachgetragene Information der Bundesregierung zu korrigierten Daten:

Eine aktuelle Kleine Anfrage der Linken im Bundestag zur Bewertung der Digitalen Souveränität des Bundes erfragte Informationen zu Rahmenverträgen der Bundes-IT und zu Ausgaben für proprietäre Software und Open Source Software (OSS). Aus der Antwort der Bundesregierung mit DS 20/9641 ergibt sich, dass die 10 größten Vertragspartner für IT-Rahmenverträge ein gemeinsames Rahmenvertragsvolumen von über 13,6 Mrd. Euro haben. Davon entfällt allein auf Produkte und Dienstleistungen des US-Herstellers Oracle ein Gesamtvertragsvolumen von 4,8 Milliarden Euro, mit dem größten Einzel-Rahmenvertrag über 4,6 Mrd Euro bei einer Laufzeit bis 2030. Weitere knapp 1,3 Milliarden entfallen auf zwei Rahmenverträge für Lizenzen des US-Unternehmens Microsoft.

Aus der detaillierten Abfrage von Ausgaben zu Entwicklungsaufträgen von Software und zu Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software ergab sich, dass der Bund seit Beginn dieser Legislatur nur etwa 0,5 Prozent seiner entsprechenden Ausgaben für OSS einsetzte. So vergab das Digitalministerium Entwicklungsaufträge im Volumen von 22,3 Mio Euro, wovon aber nur 121.000 Euro (0,55 Prozent) auf die Entwicklung von OSS entfielen. Für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Software verausgabte der Bund insgesamt sogar etwa 3,5 Milliarden Euro, auch davon flossen aber nur 18,6 Mio (0,54 Prozent) an Open Source. Sowohl der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung als auch ihre Digitalstrategie versprachen jedoch, auf Open Source zu setzen. Dazu erklärt Anke Domscheit-Berg:

“Ich kann mich an keine Regierung erinnern, bei der digitalpolitische Ankündigungen und ihre Umsetzung derart eklatant auseinander klafften! Die Förderung von Open Source und die Betonung der Digitalen Souveränität als Richtschnur für IT-Entscheidungen sind offensichtlich reine Lippenbekenntnisse, denn in der Praxis setzt auch die sogenannte Fortschrittskoalition auf die übliche Praxis, für sehr viel Geld teure proprietäre Software insbesondere von großen US-Konzernen einzukaufen. Nicht einmal der für die Digitalstrategie zuständige Minister Wissing hält sich an das, was er darin angekündigt, denn für OSS Entwicklung gab er nur 0,5 Prozent seines Budgets für Softwareentwicklung aus.

Dass außerdem mehrjährige IT-Rahmenverträge über extrem hohe Summen v.a. mit US-Konzernen sowie zu ihren Produkten abgeschlossen wurden, ist genau das Gegenteil von Stärkung der digitalen Souveränität und erhöht auf viele Jahre die Abhängigkeit des Bundes von einzelnen US-Konzernen. Mit einer einzigen US-Firma (Oracle) sogar einen Rahmenvertrag über 4,6 Mrd Euro abzuschließen, der noch bis zum Ende der nächsten (!) Legislatur laufen wird, ist schlicht auch obszön, denn diese Summe ist doppelt so hoch, wie die Kosten der mühsam erkämpften Kindergrundsicherung bei ihrer Einführung und auch in Anbetracht des für 2024 zu erwartenden Kahlschlaghaushalts für viele soziale Belange. Außerdem wird damit die Abhängigkeit von einem einzelnen Hersteller über Jahre hinweg extrem erhöht. Wer aber abhängig ist von einzelnen Firmen und ihren Produkten, wird erpressbarer – muss also häufig immer mehr bezahlen, ist außerdem weniger flexibel und geht ein zusätzliches IT-Sicherheitsrisiko ein. Deshalb ist es völlig inakzeptabel, dass der Koalitionsvertrag zwar einerseits verspricht, die digitale Souveränität durch mehr OSS zu sichern, aber gleichzeitig der Bund mit milliardenschweren Rahmenverträgen das Gegenteil erreicht und Tatsachen schafft, die bei einer Handvoll US-Konzernen die Kassen klingeln lassen, aber jede Menge Nachteile und Risiken bedeuten, bis hin zum Risiko, dass es über eingebaute Hintertüren Datenabflüsse an US-Geheimdienste gibt.

Am Ende erkennt man doch immer am Geld, wie ernst es eine Regierung mit ihren Versprechen meint! Bisher stehen auch im Haushalt für 2024 Kürzungen ausgerechnet für Open Source Initiativen an, denn die Haushaltsmittel für das Zentrum für Digitale Souveränität sollen fast halbiert werden. Diese Kürzungen betreffen die beiden wichtigsten Vorhaben des Bundes zur Förderung von OSS: die Entwicklung eines Open Source Arbeitsplatzes, als Alternative zu Microsoft Office, und die Plattform OpenCode, auf der Software der Verwaltung veröffentlicht werden soll.

Würde es die Bundesregierung ernst meinen mit der Förderung von Open Source in der eigenen Verwaltung, gäbe es messbare Ziele und ein Monitoring für den Anteil von OSS im Bund, beides existiert bisher nicht, selbst ein Software-Lizenzmanagementsystem befindet sich erst in der Planungsphase, was bei so hohen Ausgaben für Lizenzen schlicht nicht nachvollziehbar ist. Die gesamte Praxis der Bundesregierung zur Entwicklung von Software und Vergabe von Rahmenverträgen konterkariert ihre eigenen strategischen Ziele und trägt viel zu wenig zur Entwicklung europäischer Open Source Alternativen und eines Open Source Ökosystems bei, sie schadet außerdem aktiv der digitalen Souveränität.”

Links:

Anmerkung:

Die Detailtabellen zu den einzelnen Entwicklungs- und Dienstleistungsverträgen (3 weitere Anlagen) sind eingestuft als „Nur für den Dienstgebrauch“ und können daher nicht veröffentlicht werden.