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Zur Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken und zum öffentlich gewordenen Verhandlungsstand der Schwarz-Roten Koalition zur Digitalen Souveränität Deutschlands erklärt Anke Domscheit-Berg, bisherige digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag:

„Die Antworten der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage offenbaren, dass die Ampel ihr Ziel, die Digitale Souveränität zu stärken und vor allem bei Open Source große Fortschritte zu erzielen, weit verfehlte: gerade einmal jede 5. beauftragte Software-Entwicklung war tatsächlich Open Source, veröffentlicht wurden sogar nur 7,6 Prozent von 968 Fällen Software-Entwicklung. Die neue Bundesregierung könnte schnell bei der immer dringender werdenden Digitalen Souveränität Erfolge erreichen, wenn sie genau dort weitermacht, wo die scheidende Bundesregierung bei der konsequenten Umsetzung guter Ideen scheiterte. Das ZenDiS hat ein immenses Potenzial, ein Arbeitsmuskel und Katalysator für den Ausstieg aus der extremen Abhängigkeit von proprietärer Software großer US-Konzerne zu werden. Deren Erpressbarkeit und Willfährigkeit unter einer ganz und gar unberechenbaren Trump-Administration ist neben den bereits unvertretbar hohen Risiken zu einem weiteren Risiko unserer Abhängigkeit geworden.

Die Zeitenwende ist unbestritten, aber sie nur auf militärische Eigenständigkeit und Kompetenzen zu beziehen, wäre kurzsichtig. In einem Sofortprogramm der neuen Bundesregierung müssen daher massiv die Strukturen für die Förderung guter und sicherer Open Source Software ausgebaut werden: Das ZenDiS und die Souvereign Tech Agency müssen daher langfristig und verlässlich finanziert werden, mit Zusagen im Koalitionsvertrag, die offenbar aktuell strittig sind. Nur mit „Unterstützung der Community“, wie es die Union formulieren möchte, lässt sich dieses kritische Ziel nicht erreichen.

Die angezogene Handbremse muss endlich gelöst werden, dazu braucht auch das BSI Ressourcen für eine enge Zusammenarbeit mit ZenDiS, interessierte Bundesländer müssen sich schneller daran beteiligen können, ein Index für die Digitale Souveränität muss unseren Status Quo berechenbar machen und zur Grundlage für eine Exit-Strategie mit klaren und messbaren Zielen werden. Der Vorschlag der SPD-Verhandlungsgruppe von 50 Prozent Open Source Anteil bis 2029 ist gut und sollte übernommen werden, jedoch mit einer Präzisierung, worauf sich die 50 Prozent beziehen , denn es macht einen Riesenunterschied, ob man von Nutzerzahlen, Software-Lizenzen, beauftragten Software-Entwicklungen oder noch anderen Interpretationen redet.

Vergabeprozesse müssen konkrete Exit-Strategien besser in der Praxis unterstützen. Allerdings reichen dafür keine Beschlüsse, deren Umsetzung nicht gemessen wird und die niemanden interessieren, diese Lektion haben wir längst gelernt, und diesen Fehler darf die neue Koalition nicht wiederholen. Ich begrüße daher, dass in den Entwurfsdokumenten von wirkungsorientierter Politik die Rede ist.

Digitale Souveränität zu erreichen, ist ein dickes Brett, aber für die Zukunft Europas ist sie essentiell. Erreichen können wir sie nur, wenn dieses Thema auch im Kanzleramt eine Top-Priorität wird und Deutschland innerhalb Europas seine großen Potenziale für eine Führungsrolle in diesem Bereich auch umsetzt. Allein mit einem europaweiten Roll-Out von OpenDesk als sicheren Open Source Arbeitsplatz könnten wir einen Riesensprung nach vorne schaffen und deutsche Bundesbehörden könnten tatsächlich einmal digitale Vorreiter sein. Meine Kleine Anfrage offenbart leider, dass der Roll-Out von OpenDesk ins Stocken geraten ist. Merz könnte nun beweisen, dass er ein Machertyp ist, und in der Lage, dieses einzigartige Vorbildprojekt in seiner Amtszeit zum Erfolg zu führen. Damit könnte er Geschichte schreiben, aber ohne ein starkes ZenDiS ist das nicht zu schaffen.“

Das ZenDiS ist Infrastruktur und braucht nachhaltige Finanzierung

„Die Reste-Ampel ignorierte einfach den Beschluss des Haushaltsausschusses, die 34 Millionen Euro Mittel für das ZenDiS aus 2023 endlich vollständig und zeitnah auf das ZenDiS zu übertragen und redet sich mit Auftragsfinanzierung raus. Aber das ZenDiS ist noch in der Auf- und Ausbauphase, da reichen einzelne und zeitlich stark begrenzte, kaum planbare Produktfinanzierungen nicht aus. Immerhin hat der Bund als bisher 100 prozentige Eigentümerin der ZenDiS viele und wichtige Hausaufgaben in den Daseins-Zweck geschrieben, von digitaler Souveränität bei Themen von KI bis Cloud, aber die Finanzierung des ZenDiS dafür bleibt völlig unklar. Das ZenDiS kann enorm viel erreichen und das ist die vielleicht größte Leistung der Ampel-Regierung, aber aus Potenzialen wird nur dann Realität, wenn man mit guten Leuten ein gutes Netzwerk aufbauen und eine gute Plattform betreiben kann, auf der gute und sichere Open Source Lösungen entwickelt, gefunden und gepflegt werden und alles das das ist ohne ausreichend und langfristig verlässliche Ressourcen nicht machbar. Die Schwarz-Rote Koalition kann schnell handeln und die 34 Millionen Haushalts-Restmittel noch vor dem Sommer an das ZenDiS überschreiben und es so handlungsfähiger machen.“

Informationsfreiheitsgesetz und Transparenz bei Digitaler Souveränität

„Ich erwarte, dass Schwarz-Rot mit parlamentarischen Anfragen besser umgeht, als die bisherige Regierung, die mir die Antwort auf die Frage, wie viele Arbeitsplätze mit Arbeitsplatzsoftware es gibt und wie hoch die dafür anfallenden Gesamtausgaben sind, nicht öffentlich beantworten wollte, weil diese Informationen das „Staatswohl“ gefährden sollen. Dafür fehlt mir jedes Verständnis, denn ich habe nicht nach den Arbeitsplätzen des Verfassungsschutzes gefragt, sondern nach der Gesamtzahl im Bund. Ehrlichkeit und Transparenz sind beim Aufbau Digitaler Souveränität unverzichtbar, genauso wie für eine effektive parlamentarische Kontrolle und eine sinnvolle öffentliche Debatte, denn über eingestufte Informationen darf ich nicht reden und sie nicht Medien zur Kommentierung zur Verfügung stellen. Das Volumen der Microsoft-Rahmenverträge des Bundes ist längst öffentlich bekannt, vom Bund beauftragte Studien zur Abhängigkeit des Bundes von einzelnen Anbietern waren auch umfangreich öffentlich. Auch für ein Lagebild „Digitale Souveränität“ braucht man diese Zahlen und spätestens dann sollte die Bundesregierung verstanden haben, dass diese Art Transparenz dem Staatswohl dient. Der Wunsch der Union, das Informationsfreiheitsgesetz abzuschaffen, spricht jedoch für noch mehr Intransparenz und schadet der Demokratie erheblich. Auf keinen Fall darf die SPD hier nachgeben.“

Anlagen:

Verhandlungsstand von Schwarz-Rot zu Digitalisierung vom 26.03.2025 (fragdenstaat)

Kontakt:

Anke+presse@domscheit-berg.de

Jahrelang gab es Warnungen vor den Gefahren globaler sozialer Netze, die von Milliardären kontrolliert werden, denn große digitalen Plattformen sind die soziale Infrastruktur der digitalen Gesellschaft, und wie jede Infrastruktur hat ihr Zustand einen enormen Einfluss auf die Gesellschaft. Facebook hat 3,07 Milliarden aktive Nutzer, das entspricht 37 Prozent der Weltbevölkerung. Die Manipulationsmöglichkeiten sind unfassbar und buchstäblich weltumfassend. Für Millionen Menschen weltweit ist Facebook sogar gleichbedeutend mit dem Internet, weil Facebook in ihren Handyverträgen inklusive ist und offene Datenverträge zu teuer für sie sind. Dieser Umstand wurde vor einigen Jahren den Rohingya in Myanmar zum Verhängnis, denn auf Facebook wurde massenhaft Desinformation über diese muslimische Minderheit verbreitet, ohne dass es Überprüfungsmöglichkeiten im offenen Internet gab, oder innerhalb von Facebook Faktenchecks, sinnvolle Moderationen oder andere Korrekturmechanismen. Die Folge waren die Vertreibung von 700.000 Menschen in 2017, massenhafter Mord an Rohingyas, viele wurden zerstückelt oder lebend in ihren Häusern verbrannt. Den Zusammenhang zu Hassrede und Desinformation auf Facebook wies 2018 eine Untersuchung durch die UN nach.

Meta Whistleblowerin Frances Haugen machte 2021 öffentlich, wie das Unternehmen bewusst Kenntnisse über schädliche Wirkungen seiner Algorithmen ignorierte und wissentlich in Kauf nahm, dass sie Gewalt oder auch psychische Störungen mit schweren gesundheitlichen Folgen bei Jugendlichen förderten – alles das, für mehr Werbeeinnahmen, und um einen unvorstellbar reichen Menschen noch reicher zu machen. Öffentlicher und politischer Druck in den USA, von der UN und auch aus Europa führte dazu, dass Meta seine Moderation verbesserte und Factchecking Partnerschaften abschloss. Alles das will Milliardär Zuckerberg nun wieder aufgegeben und macht damit klar: Völkermord, rassistische Übergriffe oder Suizide bei Jugendlichen sind ihm schnurzpiep, so lange die Kasse stimmt, sich sein Milliardenvermögen weiter vermehren und er sich entspannt zurücklehnen kann, denn unter einer Trump-Regierung braucht er Sanktionen der US-Politik nicht zu fürchten, im Gegenteil, er rechnet sogar fest mit Schützenhilfe gegen Regulierungen der EU.

Die Demokratie weltweit ist in Gefahr und einen wesentlichen Anteil daran hat die Tatsache, dass eine Handvoll weißer, männlicher Tech-Milliardäre sich Liebkind machen mit einem kriminellen, rücksichtslosen, narzistischen Milliardär, der zum zweiten Mal Präsident der USA werden wird. Donald Trump ist aber nicht nur ein verurteilter Straftäter, Sexist und notorischer Lügner, er verachtet auch die Demokratie, ihre Institutionen und Prozesse, er lebt in einer Welt alternativer Fakten und will sich zum Herr einer Diktatur aufschwingen, in der nur noch sein Wort gilt. Wovon er träumt, dafür gibt es ein Wort, er will Faschismus statt Demokratie. Das alles ist kein Geheimnis, denn Donald Trump war im Wahlkampf transparent über seine Pläne, die auch dann faschistisch sind, wenn er sie selbst nicht so nennt. Vor diesem Hintergrund ist der Kniefall der Tech-Millardäre zu betrachten: das Verbot einer Wahlempfehlung für Kamala Harris in der Washington Post durch deren Eigentümer Milliardär Bezos, die diversen Millionen Spenden für seine Inaugurationsfeier von mehreren Tech-Unternehmen, u.a. Google, Amazon, Meta, Apple (Tim Cook) und auch die aktuelle Kehrtwende von Zuckerberg, der Faktenchecks wieder abschaffen, Moderationen begrenzen und aus Facebook und Instagram Schlangengruben wie X machen möchte.

Ich habe nur tiefste Verachtung für dieses Verhalten. Schon in den 30er Jahren konnten wir in Deutschland erleben, wie die industrielle Elite buchstäblich über Leichen ging und an der Seite Hitlers stand, noch heute profitieren Nachkommen dieser Elite von den guten Geschäften aus dieser finsteren Zeit. Heute stellen digitale Monopole gewaltige Machtkonzentrationen dar, die nicht nur in einem Land Politik und Gesellschaft beeinflussen können, sondern weltweit. Deshalb wirkt sich das Stiefellecken der US-Milliardäre bei Trump auf uns alle aus, auch in Europa. Und deshalb hängt so viel davon ab, ob wir uns gemeinsam dagegen wehren können und ob die neuen europäischen Instrumente der Regulierung konsequent angewendet werden und wirksam sind. Offensichtlich sorgen sich sowohl Elon Musk als auch Mark Zuckerberg nur noch vor der EU als regulierende Kraft, denn der Digital Services Act verpflichtet „Very Large Online Plattforms“ zur Beurteilung ihrer strukturellen Risiken (dazu gehört auch die Förderung von Gewalt, Rassismus oder Jugendgefährdung) und zu effektiven Maßnahmen, die diese Risiken minimieren. Wenn sie das nicht tun, wird es sehr teuer, denn EU Sanktionen können auch etliche Milliarden Euro betragen oder sogar zum Verbot der Plattform in der EU führen – und damit zum Verlust eines attraktiven Marktes mit einer halben Milliarde Konsument:innen.

Dagegen könnten sich nicht mal Tech-Milliardäre wehren. Vermutlich deshalb gelten die neuen Regeln noch nicht für die EU. aber mit ihrer Willfährigkeit gegenüber Trump und seiner kreuzgefährlichen politischen Agenda hoffen sie offensichtlich, die EU Regulierung ganz aushebeln zu können – durch staatliche Erpressung. So kündigte Zuckerberg nicht nur an, sich von den Faktenchecks zu trennen und die Moderationsteams im liberalen Kalifornien aufzulösen und durch Teams im konservativen Texas zu ersetzen, sondern verkündete außerdem, dass er „mit Präsident Trump zusammenarbeiten wird, um gegen fremdstaatliche Regierungen vorzugehen, die US-Unternehmen zu mehr Zensur bringen wollen“ und stellte fest, dass „der beste Weg, sich gegen den Trend übermäßiger staatlicher Zensur zu wehren, der mit Unterstützung durch die US-Regierung sei.“ Mit „Zensur“ und „fremdstaatlichen Regierungen“ meint er offensichtlich die Absicht der EU, mit dem DSA auch gegen massive Desinformation zum Beispiel im Zusammenhang mit Wahlen vorzugehen, damit sie sich besser wehren kann u.a. gegen massive Einflussnahme auf demokratische Prozesse von außen, wie sie z.B. mit der von Putin-gesteuerten Doppelgänger-Kampagne erst vor Kurzem nachgewiesen wurde.

Zuckerbergs Hoffnung hat eine glaubwürdige Basis, denn Trumps Vize Vance erklärte öffentlich, dass die US Mitgliedschaft in der NATO davon abhängen würde, wie stark die EU US-Techkonzerne reguliert. Laufende Ermittlungsverfahren der EU u.a. gegen X und diverse öffentliche Schlagabtausche zwischen Elon Musk und Ex-EU Kommissar Thierry Breton haben die Konfliktlinien sichtbar und die Bedrohung real werden lassen und so wird wohl Tech-Milliardär Elon zu Bau-Milliardär Donald gegangen sein und als Gegenleistung für die finanzielle und politische Wahlunterstützung mit Worten und Algorithmen auf seiner Plattform X zugunsten des künftigen US-Präsidenten einen harten Verteidigungskurs gegen europäische Regulierungen eingefordert haben. Diesen Schutz will natürlich auch Zuckerberg für seine Plattformen und da macht man dann auch mal gemeinsame Sache mit reaktionären Faschisten. Die Erwartung, man könne sich als US-Unternehmen der Regulierung durch andere Staaten entziehen, selbst wenn man in diesen Staaten eine extreme Marktmacht besitzt und Milliarden Umsätze macht, ist reichlich hanebüchen.

Möglicherweise spielt aber noch ein anderer Aspekt dabei eine Rolle: Eifersucht und Neid innerhalb der Tech-Milliardärs-Elite, wo die einen nicht ertragen können, dass einer von ihnen, Schmuddelkind Elon, eine engere Beziehung zum Weißen Haus hat, als sie. Also tun sie einer nach dem anderen, alles das, was sie tun müssen, um gleichzuziehen, um auch am Tisch sitzen zu dürfen und die Gunst eines Präsidenten zu genießen, der nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt zu einer akuten Bedrohung geworden ist. Alte weiße Männer zündeln so gemeinsam und nehmen Gewalt, Terror und Polarisierung in Kauf, weil ihnen der Rest der Welt egal ist, so lange in ihren Yachten und Villas noch die goldenen Wasserhähne funktionieren, ihre Privatflugzeuge sie noch überall hin fliegen und sie sich als Herrschende mit so viel Macht erleben, dass sie faktisch unangreifbar und unregulierbar geworden sind.

Es gibt nur eine angemessene Reaktion darauf: der Beweis des Gegenteils – also hartes und kompromissloses Anwenden des Digital Services Act der EU und damit der Beweis europäischer Unabhängigkeit und politischer Stärke, eine Verteidigung unseres Wertesystems, das wir von US-Tech-Milliardären nicht zerstören lassen dürfen. Künftig braucht es aber mehr, nämlich endlich ein gemeinwohlorientiertes soziales Netz, eine nicht-kommerzielle soziale Infrastruktur der digitalen Gesellschaft als Teil der Daseinsvorsorge, die europäisch getragen die Vernetzung und Kommunikation zwischen Menschen ermöglicht, ohne diese Verbindungen zu kommerzialisieren. Langfristig müssen wir brechen mit der Abhängigkeit von digitalen Monopolen, denn ihr Zerstörungspotenzial ist inakzeptabel hoch.

Eine gekürzte Fassung diesen Kommentars erschien in der taz-Tageszeitung vom 09.01.2025:

https://taz.de/Trump-Musk-und-die-Tech-Milliardaere/!6057399/ 💌

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