Hintergrund:
Einer der wichtigsten Indikatoren der pandemischen Infektionsprävention ist der Hospitalisierungsindex. Für diesen sind Meldeketten und Schnittstellen essentiell, die ein Teil des heterogenen und technisch bislang kaum standardisierten IT-Gesundheitswesens darstellen. Zeitliche Meldeverzögerungen sind Ergebnis jener stiefmütterlichen Prioritätensetzung, die innerhalb der Covid-19-Pandemie der Datenaustausch zwischen Krankenhäusern und dem Robert-Koch-Institut (RKI) illustrierte. Obwohl der Hospitalisierungsindex einen Richtwert für politische Maßnahmen abbildet, sind die ihm zugrunde liegenden Daten knapp zweieinhalb Jahre nach dem Pandemiebeginn weit entfernt davon, einen Zustand in Realzeit abzubilden.
In einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Frage der digitalpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Anke Domscheit-Berg gab das Bundesministerium für Gesundheit im April 2022 an, dass bis Ende Mai eine Schnittstelle zwischen dem Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für Infektionsschutz (DEMIS) und den Krankenhausinformationssystemen (KIS) in drei Krankenhäusern getestet wurde, die die technische Voraussetzung für elektronische Meldeketten zwischen diesen schaffen sollte. Eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine erneute Nachfrage, welche Anzahl an Krankenhäusern die seit dem 14. Juni 2022 aus dem Testbetrieb freigeschaltet Schnittstelle nun letztendlich nutzen und welche Daten von welcher Stelle in den vom Bundesgesundheitsminister angekündigten „Pandemie-Radar“ einfließen sollen, lässt auf eine weiterhin bestehende Unkenntnis und mangelnde Prioritätensetzung der aktuellen Regierung schließen.
Dazu erklärt Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und Obfrau im Digitalausschuss:
„Echtzeitdaten zu wichtigen Kennzahlen sind in einer Pandemie extrem wichtig, um jederzeit schnell auf eine veränderte Lage reagieren zu können. Nach über 30 Monaten Pandemie fehlt mir inzwischen jedes Verständnis dafür, dass das Bundesministerium für Gesundheit weder flächendeckend elektronische Meldeketten für den Hospitalisierungsindex sicherstellen konnte, noch überhaupt sagen kann, wie viele Krankenhäuser die Mitte Juni endlich aktivierte Schnittstelle zum DEMIS aktuell nutzen. Immer noch können sich Krankenhäuser aussuchen, ob sie die Hospitalisierungsdaten elektronisch über das vom RKI bereitgestellte DEMIS System melden, weil das unbegreiflicherweise immer noch freiwillig ist und so lassen sich viele Hersteller von Krankenhausinformationssystemen weiter Zeit mit der Anpassung ihrer Software, die sie schlicht auf ihr übliches „Wartungsfenster am Jahresende“ schieben. Die Chance, über das Infektionsschutzgesetz eine schon früher verpflichtende elektronische Meldung zu verlangen, hat Minister Lauterbach leider verpasst, denn bis zum Herbst kann es gar keine Entscheidung dazu mehr im Bundestag geben. Sowohl die unerwartet hohe Sommerwelle und die zu erwartende noch höhere Herbstwelle werden wir also weiterhin ohne aktuelle Daten zum Hospitalisierungsindex bewältigen müssen.
Ein Pandemie-Radar soll endlich die auch vom Pandemie-Expertengremium geforderte bessere Datenlage unterstützen, aber auch das hängt davon ab, wann und ob mit der FDP ein geändertes Infektionsschutzgesetz machbar ist. Ein effektiveres Pandemiemanagement wird durch die jahrelange Vernachlässigung des Aufbaus grundsätzlicher IT-Strukturen, von Schnittstellen und von allgemein gültigen Standards verhindert, mit denen auch in der heterogenen IT-Landschaft des deutschen Gesundheitswesens einen Datenaustausch in Echtzeit möglich gewesen wäre. Dass sich daran etwas ändert, ist auch bei Gesundheitsminister Lauterbach bisher nicht zu erkennen. Dieses strukturelle Defizit sollen neue Datenquellen, wie die Analyse von Abwasser auf Covid-19 Spuren, ausgleichen. Derartige Daten können hilfreich sein, aber sie ändern nichts daran, dass endlich zeitgemäße strukturelle Voraussetzungen für ein leistungsfähiges, vernetztes Gesundheitswesen getroffen werden müssen.
Im Detail gibt die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums allerdings auch bei den neuen Datenquellen wenig Aufschluss darüber, welche genauen Daten, von welcher Stelle überhaupt, wie übermittelt und zusammengeführt werden sollen, um damit tagesaktuelle und regional hochaufgelöste Erkenntnisse zu generieren. Ein effektiveres Pandemiemanagement bleibt so wohl erst mal weiter nur ein frommer Wunsch.“