Einen besonderen Abend gab es zum 32. Jahrestag des Mauerfalls im Fürstenberger Verstehbahnhof, wo ich die Dokumentation ‘Wendeman(n)över – Frauen und der Mauerfall ’ auf großer Leinwand gezeigt und mit Gästen diskutiert habe. Eingeladen waren die Journalistin und Autorin Sabine Rennefanz sowie die Filmregisseurin Sabine Michel.
‘Wendeman(n)över‘ ist ein besonderer Film. Selten gab es bisher im überregionalen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen derart differenzierten und authentischen Blick auf die Wendezeit, und noch nie aus der Perspektive ostdeutscher Frauen. Er beschreibt, wie das Leben das Ostfrauen am Ende der DDR war, was für Träume, Hoffnungen oder Sorgen sie mit der Wiedervereinigung verbanden und wie die Realität für sie tatsächlich aussah.
Den Livestream der Diskussion haben wir aufgezeichnet, so kann man sie sich auch künftig noch ansehen:
In der Debatte ging es um Parallelen der Nachwendekrise zur Gegenwart, wie erwerbstätige Frauen damals wie nun in der Pandemie leicht zur Verhandlungsmasse werden, wie man Kitas schließt und damit vor allem für Frauen extreme Vereinbarkeitsprobleme schafft, sie aus der Arbeit drängt. Diskutiert haben wir auch die Präsenz ostdeutscher Themen in den Medien, die gering und oft einseitig ist und welche Rolle dabei spielt, dass Journalist:innen mit ostdeutscher Sozialisierung kaum in Chefredaktionen zu finden sind und, dass selbst alle ostdeutschen Regionalblätter westdeutschen Verlagen gehören.
Wir besprachen die Langzeitfolgen des Vereinigungsprozesses, wie noch heute der Osten vor allem als verlängerte Werkbank betrachtet wird, mit wenig Firmenzentralen, wenig Entwicklungsabteilungen, aber vielen Produktionszweigstellen, die man leichter wieder schließen kann. Viel ging es auch um unsere Biographien, wir waren 15 (Sabine Rennefanz), 18 (Sabine Michel) und 21 Jahre (ich) alt, als die Mauer fiel, hatten viele Gemeinsamkeiten, die zu den bekannten Statistiken passten: wir alle wanderten ins Ausland, alle drei waren wir Stellvertreterinnen der „mobilsten demographischen Gruppe Deutschlands“ – junge ostdeutsche Frauen nach der Wiedervereinigung. Der Frauenreport von 1990, der auch Thema der Dokumentation ist und in Zahlen und Fakten die Lage von Ostfrauen 1989/1990 beschreibt, stellte fest, dass seinerzeit hochqualifizierte Frauen besonders schwer vermittelbar waren, je höher die Qualifikation, umso eher waren sie arbeitslos oder fanden nur noch Jobs weit unter ihrer Qualifikation.
Aber wir waren jung, wissensdurstig und flexibel und so suchten wir das Weite. Im Osten fehlten uns aber nicht nur berufliche Perspektiven, auch die Orientierungslosigkeit trieb viele Frauen fort aus ihrer gewohnten Umgebung. ‚Exzessive Fluchten‘ nannte das Sabine Michel, ins Ausland, in Radikalität, in Beziehungen aber auch z.B. in religiöse Sekten, wie Rennefanz und eine Frau aus dem Publikum berichteten. Spannend war dabei die Erkenntnis, wie groß sich bereits kleine Altersunterschiede zum Zeitpunkt des Mauerfalls auf die Menschen auswirkten, es war ein Unterschied, ob man noch Teenager in der Pubertät war, oder schon junge Erwachsene.
Wie werden junge Menschen geprägt, deren Eltern durch Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Ohnmachtsgefühle und Kulturschock in Depression oder Alkoholismus verfielen, und dabei schwiegen über das was geschah und ihre Gefühle? Wie sollten Eltern, die mit sich selbst zu beschäftigt waren, um ihre Existenz kämpfen mussten und selbst nicht wussten, was morgen kam, Heranwachsenden Orientierung und Zuversicht vermitteln? Michel, die im letzten Abiturjahrgang der DDR lernte, fasst zusammen: „Wir wurden für eine Zukunft erzogen, die nicht eingetreten ist.”
Viele Ostdeutsche haben sich lange angepasst und ihre Herkunft verschleiert. Nach 2010 begann sich das zu ändern und auch die öffentliche Auseinandersetzung nahm zu, Sabine Rennefanz schrieb ihr sehr lesenswertes Buch „Eisenkinder“, Sabine Michel drehte den Dokumentarfilm „Zonenmädchen“, wenig später erschien mein Buch „Mauern einreißen“.
Aus schweren Erfahrungen kann eine große Stärke wachsen, sie kann uns zukunftsfester machen, zum Beispiel, wenn man weiß, dass sich Gewissheiten ändern können, auch sehr schnell. Daraus ziehe ich im übrigen auch politischen Optimismus, denn im Prinzip ist alles möglich, sonst wäre auch die Mauer nie gefallen. Wenn das ging, kann man auch die Klimakrise meistern oder Armut beseitigen.
Der Abend verging schnell und es war schön, das Feedback der Gäste dazu zu hören, die egal ob ost- oder westdeutsch, männlich oder weiblich, interessante Einblicke gewonnen hatten. Wer nun neugierig auf die Debatte ist (siehe Video oben), dem empfehle ich vorab die Dokumentation selbst anzusehen, sie ist in der ARD Mediathek noch eine ganze Weile verfügbar.
PS: Die angekündigte Musikerin Sookee, wie ich Protagonistin des Dokumentarfilms, musste leider aus persönlichen Gründen absagen, aber das Gespräch holen wir demnächst nach.
PPS: Wenn Ihr den Film gesehen habt, dann nutzt doch die Gelegenheit für einen Kommentar auf der Mediathek-Seite, das steigert die Chance, dass es öfter solche Filme und das nächste Mal zu besseren Sendezeiten gibt.