Pressemitteilung
Nachdem Recherchen von NDR und Spiegel Ende 2021 ergaben, dass große Mengen bereits durch Ermittlungen aufgedeckter Darstellungen von sexualisierter Gewalt an Kindern weiterhin im Internet aufzufinden waren, ihre Löschung aber durch Information der Speicherdienste von Journalist:innen in fast allen Fällen schnell und einfach erreicht werden konnte, haben Abgeordnete der Bundestagsfraktion DIE LINKE in einer Kleinen Anfrage (BT-Drucksache 20/729) die Bundesregierung zum Umgang mit gefundenem Material zu dokumentiertem Kindesmissbrauch im Internet befragt.
Aus der Antwort der Bundesregierung werden erhebliche Defizite im Umgang mit gefundenen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Netz offensichtlich.
Anke Domscheit-Berg, Digitalpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, sieht darin eine Fehlausrichtung der polizeilichen Arbeit, mangelnde Bemühungen des Opferschutzes und keine Legitimität für den weiteren Ausbau von Überwachungsbefugnissen, und erklärt:
„Die Löschung von Darstellungen sexualisierter Gewalt ist offensichtlich kein prioritäres Ziel für die Bundesbehörden. Das ist erschütternd, denn faktisch ist die Präsenz solcher Bilder eine Fortführung von Straftaten an minderjährigen Opfern. Opferschutz muss immer ein höchstes Ziel sein! Auch auf der Straße würden Polizist:innen bei einer andauernden Körperverletzung nicht nur gemeinsam einem weglaufenden Täter hinterherrennen, während am Tatort andere Täter weiterhin ungestört Opfer verprügeln. Sie würden sich mit gleicher Priorität um Opferschutz und Täterverfolgung kümmern.
Mich überrascht, wie wenig die Bundesregierung über die Sachlage weiß. Das zeigt doch, welch geringe Priorität das Thema für sie hat. Für den Schutz der Kinder ist aber nicht nur die Ermittlung der Täter:innen wichtig, sondern dass sie sich sicher sein können, dass das Material aus dem Netz verschwindet.
Wer nur den Weg internationaler Amtshilfe geht, aber nie auch nur versucht, Speicherdienste direkt zur Löschung aufzufordern, wer eigene Dateifunde niemals an das internationale Projekt Arachnid meldet, damit sie überall gelöscht werden können, ja wer überhaupt nicht direkt mit diesem Projekt kooperiert, und wer außerdem nur am Ende von Ermittlungsverfahren an mögliche Lösch-Anträge denkt, aber diese dann vollständig Dritten überlässt, dem kommt es ganz offensichtlich gerade nicht auf eine „schnellstmögliche Löschung“ an, auch wenn das sonst – selbst in der Antwort auf diese Kleine Anfrage – behauptet wird. Diese Praxis schockiert mich sehr.
Ich fordere die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass alle staatlichen Ermittlungsbehörden, also explizit auch das BKA, sämtliche derartigen Gewaltdarstellungen löschen lassen, die ihnen durch die Ermittlungen bekannt werden und dies auch in ihren Berichten nachvollziehbar darzustellen!
Außerdem muss die Bundesregierung die internationale Zusammenarbeit erheblich verbessern. Das internationale Projekt Arachnid wird zwar seit Jahren lobend in den Berichten der Bundesregierung erwähnt – seit 2019 arbeitet jugendschutz.net an der Datenbank mit und schon 2018 forderte die Kinderkommission des Bundestages die Bereitstellung von mehr Mitteln – aber nun gibt die Bundesregierung zu, dass jugendschutz.net sich ressourcenbedingt nur eine Stunde pro Woche damit beschäftigen kann und keine deutsche Behörde irgendwie finanziell noch personell direkt am Projekt Arachnid beteiligt ist, sowie, dass das BKA generell keine der entdeckten Dateien mit Missbrauchsdarstellungen zur Aufnahme in die internationale Arachnid Datenbank weiterleitet.
Hier werden also immer wieder Aktivitäten vorgetäuscht, die es gar nicht gibt, aber die dringend notwendig wären. In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage erklärt die Bundesregierung, dass der Beseitigung solcher Darstellungen im Internet „die höchste Priorität beigemessen werden muss“. Mit Worten hilft man Opfern aber nicht, man hilft ihnen mit Taten, und die überlässt die Bundesregierung ausschließlich anderen. Diese Praxis finde ich unbegreiflich und abstoßend, ich habe dafür keinerlei Verständnis.
Dieses Vorgehen stützt die Befürchtungen, dass der Schutz von Kindern oft nur ein vorgeschobenes Argument ist, um mehr staatliche Überwachungsbefugnisse einzuführen. Auch bei der aktuell in der EU diskutierten Aufweichung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messenger-Kommunikation mit dem Ziel, Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern in Chat-Verläufen aufzudecken, liegt nahe, dass es gar nicht um den Kinderschutz, sondern um neue Methoden zur Kommunikationsüberwachung geht.“
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Drucksache 20/729 (geschwärztes Original als pdf)
Eine ausführlichere Auswertung ist in meinem Blog nachzulesen.