Die Klimakrise verschärft sich und die Informationstechnik trägt wesentlich dazu bei. Schon jetzt ist ihr Beitrag zur Erhöhung des CO2 Ausstoßes größer, als durch die weltweite zivile Luftfahrt, deshalb habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Gösta Beutin, klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion, die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage zum Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit befragt. In der Vergangenheit stellte die Bundesregierung verschiedene ambitionierte Projekte wie die „Umweltpolitische Digitalagenda“ vor. Wir haben nachgehakt, inwiefern die Umsetzung voranschreitet und welche weiteren Schritte die Bundesregierung unternimmt, um im Einklang mit den Pariser Klimazielen für den eigenen CO2-Fußabdruck Verantwortung zu übernehmen. Dabei habe ich mich vor allem nach der Klimawirkung und Nachhaltigkeit von IT-Infrastruktur wie Rechenzentren erkundigt, nach Status Quo und bestehenden Plänen, wie man die beschlossene Klimaneutralität der Bundesverwaltung bis 2030 auch in der Praxis erreichen will und welche Regulierungen man plant, um auch bundesweit die negative Klimawirkung von Rechenzentren zu verringern.
Die Antwort der Bundesregierung deckte eklatante Mängel auf, denn sie scheint nicht nur völlig ehrgeizlos zu sein, sondern auch buchstäblich ahnungslos. Beides ist ein gleichermaßen großes Problem, denn wer einen Missstand ändern will, muss zuerst die Ausgangslage verstehen. Die Bundesregierung scheitert bereits daran. Das Ausmaß der Unkenntnis des Status Quo in Sachen Klimabilanz der Bundes-IT ist erschreckend. Nach fünf Wochen Bearbeitungszeit lieferte sie nicht einmal eine rudimentäre Ökobilanzierung ihrer Rechenzentren.
Eine Gesamtkoordination der umweltpolitischen Digitalagenda ist nicht erkennbar, es gibt offenbar nicht einmal grundlegende Monitoringprozesse zur Klimawirkung der Bundesrechenzentren.
Ein Lagebild fehlt, Daten sind widersprüchlich und lückenhaft
Die Bundesregierung antwortet auf Fragen nur unvollständig und widersprüchlich. Die Bundesregierung scheitert an der schlichten Frage, wie wie viele Rechenzentren sie hat. So gibt das BMWi in einer tabellarischen Übersicht aller Bundes-Rechenzentren für das eigene Ressort 10 Rechenzentren an, aber listet 27 eigene Rechenzentren in einer Tabelle zum Energieverbrauch von Rechenzentren auf. Wie viele Rechenzentren hat das BMWi denn nun, zehn oder 27?
Und warum kann das Verteidigungsministerium nur angeben, wie viele Rechenzentren es 2020 nutzte, aber nicht, wie viele es in den Jahren davor waren oder in den kommenden Jahren sein werden? Gibt es keine Akten im BMVg, und auch keine Pläne?
Wie können die Bundesministerien angeben, dass sie 17 neue Rechenzentren planen, aber gleichzeitig behaupten, dass sich bis 2025 die Anzahl der Rechenzentren nur um eins erhöhen wird? Zählt man mal die niedrigsten und mal die höchsten Anzahlen der Rechenzentren zusammen, hat die Bundesregierung entweder 77 oder 140 Rechenzentren. Wie soll man bei so einer Datenlage die Transformation zu einer nachhaltigen Digitalisierung planen und umsetzen? Man könnte annehmen, in den Bundesministerien hat man die Anzahl ihrer Rechenzentren erwürfelt.
Für weitere 76 Rechenzentren werden einfach grundsätzlich keine Angaben gemacht, weil sie den Digitalfunk und die Netze des Bundes betreffen, als würden sie dadurch irrelevant für die Betrachtung ihrer Nachhaltigkeit. Weitere 21 Rechenzentren, die des BMI (14), der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (6) und für selbstständige oberste Behörden (1) fehlen einfach ohne jede Erklärung in allen Tabellen zu Energieeffizienz oder klimaschädlichen Kältemitteln, (eine genauere Analyse (xls) der variantenreichen Angaben zur Anzahl der Rechenzentren findet sich in den Anlagen am Ende dieses Beitrages).
Der Mangel an Daten zieht sich durch die gesamte Antwort der Bundesregierung. Dabei propagiert dieselbe Bundesregierung die Bedeutung einer Ökobilanzierung von Rechenzentren. Leere Worte, wenn für mehr als 40 der 107 Rechenzentren, die überhaupt in den Tabellen enthalten sind, nicht einmal angegeben werden kann, wie hoch ihr Energieverbrauch ist. Besonders peinlich sollte es dem Bundesumweltministerium sein, dass es nur für drei seiner neun Rechenzentren Angaben zum Energieverbrauch machen kann. Egal, ob es die Frage nach dem Anteil erneuerbarer Energien, den eingesetzten Kältemitteln oder nachgenutzter Abwärme ist, für mindestens 40 Prozent der aufgelisteten Rechenzentren kann die Bundesregierung keine Antwort geben, offenbar kennt sie die Daten nicht, sonst hätte sie die in fünf Wochen Bearbeitungszeit der Anfrage wohl finden können. Das ist gerade zu absurd, wenn man bedenkt, dass mindestens 74 Rechenzentren von den Bundesministerien in Eigenregie betrieben werden.
Weil es keine strukturierten Standardprozesse für ein gutes Monitoring der Rechenzentren gibt, wurde die Beantwortung mehrerer Fragen wegen „Unverhältnismäßigkeit des Aufwandes“ gänzlich abgelehnt. Und so wissen wir weiterhin nicht, ob irgendeines der Energieeffizienzkriterien für Rechenzentren, die das Umweltbundesamt selbst entwickelt hat, in irgendeinem der Rechenzentren des Bundes angewendet wird, ob irgendwelche weiteren Datenerhebungen zu Treibhausgasemissionen oder weiteren Umweltwirkungen von Rechenzentren stattfinden und ob irgendwelche dieser Daten als offene Daten zur Verfügung stehen.
Nicht mit schlechtem Monitoring, sondern nur noch als Missachtung des Parlaments ist erklärbar, dass die Bundesregierung für jedes fünfte ihrer Rechenzentren die Frage danach, ob es in Eigenregie oder durch externe Dienstleister betrieben wird, nicht beantworten kann. Das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz gab für keines seiner 18 Rechenzentren eine Antwort auf diese Frage. Pikant daran ist, dass das BMF für den Teil der IT-Konsolidierung zuständig ist, der mit dem Betrieb von Rechenzentren zu tun hat. Vielleicht ist es kein Wunder, dass die IT-Konsolidierung des Bundes zwar seit 6 Jahren läuft und insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro Steuergeld verschlingen wird, aber bisher kaum Fortschritt erkennen lässt.
Bundes-RZ: Klimaschädliche Kältemittel, kaum Nutzung von Abwärme
Selbst da, wo die Bundesregierung Daten vorlegt, zeigen sie nur, dass der Weg hin zu einer nachhaltigen Digitalisierung für sie noch lang und steinig ist. Knapp 80 Prozent aller Rechenzentren, die Angaben dazu machten, nutzen klimaschädliche Kältemittel mit sehr hohem Treibhauspotenzial. Nur jedes Zehnte Rechenzentrum gab an, natürliche und klimaverträgliche Kältemittel zu verwenden, während 43% aller Einrichtungen schlicht (mal wieder) keine Angaben machten. Diese umweltschädliche Praxis wird sich in der Mehrzahl der Fälle auf absehbare Zeit nicht ändern, denn nicht einmal jedes zweite der 34 Rechenzentren, die spezielle, nach einer EU-Verordnung als klimaschädlich klassifizierte Kältemittel verwenden (ca. 2/3 der auskünftigen RZ), plant in den kommenden Jahren eine Umrüstung.
Nur sieben Prozent der 107 aufgeführten Rechenzentren nutzen bereits ihre Abwärme, obwohl eine gute Nachnutzung der Abwärme ein wesentlicher Beitrag zu nachhaltigeren Rechenzentren sein kann.
Blauer Engel für Rechenzentren spielt beim Bund keine Rolle
Kein einziges der aufgelisteten Rechenzentren erfüllt alle acht Kriterien des Blauen Engels, den das Bundesumweltministerium schon 2012 eigens für Rechenzentren entwickelt hat. Nur vier von 107 Rechenzentren erfüllen wenigstens sieben der acht Zielvorgaben, während für die Mehrzahl der Rechenzentren mal wieder „keine Angabe“ die einzige Antwort ist. Nur etwa jedes zehnte der 107 Rechenzentren plant eine Zertifizierung mit dem Umweltsiegel in den nächsten Jahren. Selbst bei den 17 in Planung befindlichen Rechenzentren erfüllt nicht einmal die Hälfte die Kriterien des Blauen Engels, obwohl laut Antwort der Bundesregierung der
“Betrieb vorhandener sowie die Konzeption neuer RZ […] bereits nach aktueller Beschlusslage des IT-Rates die Kriterien des BE für RZ berücksichtigen [soll]“.
So kann die Bundesregierung auch kein Vorbild für die freie Wirtschaft sein, die ihrerseits das Umweltsiegel ignoriert.
Ebenso verhält es sich mit weiteren eigenen Ansprüchen, wie den 70 Empfehlungen des Umweltbundesamtes in der Umweltpolitischen Digitalagenda. Zwar seien 52 davon abgeschlossen oder in Arbeit, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort, doch welche das jeweils sind, behält die Bundesregierung für sich. Auch die nach ihren Angaben 13 verzögerten und sieben an mangelnder Finanzierung bisher scheiternden Vorhaben bleiben ungenannt. Ein Bild vom Fortschritt der umweltpolitischen Digitalagenda kann man sich auf diese Weise nicht machen.
Bund setzt auf Freiwilligkeit statt regulierter Mindesteffizienzkriterien
Vor diesem Hintergrund überrascht nicht mehr, dass die Bundesregierung auch bei der Regulierung keinen Schritt voran kommt und z.B. keine verbindlichen Mindesteffizienzkriterien für Rechenzentren plant und weiter auf Freiwilligkeit hofft. Ebenfalls freiwillig sollen private Rechenzentren in einem Kataster erfasst werden. Freiwillig sollen sie ein noch zu entwickelndes Energielabel tragen. Eine Regulierung brächte wegen der dynamischen Technikentwicklung und weil Rechenzentren „sehr komplexe Systeme“ sind, keinen Mehrwert. Genau eine Zeile weiter schreibt die Bundesregierung, dass sie in der „nachhaltigen Entwicklung der digitalen Infrastruktur einen wichtigen Pfeiler zur Erreichung der Klimaziele“ sieht.
Wie wenig Freiwilligkeit funktioniert, demonstriert die Bundesregierung überzeugend in ihrer Beantwortung der Kleinen Anfrage. Nicht einmal auf die Frage nach Mindesteffizienzkriterien für die eigenen Bundes-Rechenzentren gab es irgendeine Antwort. Es gibt offenbar keine.
Aber die Zeit drängt, die Klimakrise erfordert sofortiges, entschlossenes, verbindliches und konsequentes Handeln. Deshalb ist es dringend an der Zeit, ein funktionierendes Monitoring aufzubauen, verbindliche Pläne zur klimaverträglichen Transformation der IT-Infrastruktur des Bundes zu entwickeln und ohne Wenn und Aber umzusetzen, aber auch die Schraube der Regulierung zu nutzen, damit auch die sonstigen Tausenden Rechenzentren in Deutschland schnell weniger klimaschädlich werden.
Mein Fazit zur Antwort der Bundesregierung
Fast fünf Jahre ist es nun her, dass der Bundestag einstimmig die Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens bestätigte – und bis heute ist davon kaum etwas in der Bundes-IT angekommen. Die Antwort der Bundesregierung ist peinlich. Sie offenbart die massive Unkenntnis über die Klimawirkung der bundeseigenen IT-Infrastruktur und zeigt, dass sie trotz der Dringlichkeit der Klimakrise und dem großen Anteil der Digitalisierung an dieser Entwicklung keinen wirksamen Plan hat, wie sie in den kommenden Jahren eine klimaverträgliche Transformation ihrer Rechenzentren schaffen will. Sie hat dabei offenbar nicht nur das aus anderen IT-Vorhaben bekannte Umsetzungs- sondern zusätzlich auch ein Erkenntnisproblem. Vielleicht plant diese Regierung auch deshalb keine Regulierung zu klimaverträglicheren Rechenzentren, weil sie sich selbst nicht an ihre eigenen Vorgaben hält, denn Sanktionen dafür gibt es nicht. Sie zeigt damit, dass sie immer noch nicht verstanden hat, wie sehr die Klimakrise drängt und dass sie schnelles, konsequentes Handeln erfordert. Gleichzeitig ist die schlampige und unvollständige Beantwortung meiner Kleinen Anfrage eine Missachtung parlamentarischer Grundrechte. Ich werde das so nicht akzeptierten und Beschwerde dagegen einlegen.
Anlagen:
- Kleine Anfrage Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit der Digitalisierung BT-Drucksache 19/29993 (pdf): LINK
- Antwort der Bundesregierung auf die K.A. BT-Drucksache 19/31210 (pdf): LINK
- Eigene Analyse der Anzahl Rechenzentren auf Basis der Antwort der Bundesregierung (pdf): LINK
- Eigene Analyse zur Klima(un)freundlichkeit der Rechenzentren des Bundes (pdf): LINK