„Was arbeitet Deine Frau?“ begann ein Dialog, der kürzlich auf Twitter wiedergegeben wurde. „Nichts. Sie ist Hausfrau. Sie kümmert sich um Haushalt und Kinder. Meine Eltern wohnen auch bei uns und brauchen Hilfe.“ Der Dialog zeigt etwas Typisches: unbezahlte Arbeit wird viel zu oft überhaupt nicht als Arbeit wahrgenommen. Im Jahr 2013 wurden laut Statistischem Bundesamt 89 Mrd Stunden unbezahlte Arbeit geleistet, 23 Mrd Stunden mehr als bezahlte Erwerbsarbeit (66 Mrd Stunden). Wenn man bezahlte und unbezahlte Arbeit bewerten würde, entspräche die unbezahlte Arbeit 1.814 Milliarden Euro, etwa 39 Prozent der jährlichen Bruttowertschöpfung.¹

Die unsichtbare Arbeit hält unsere Gesellschaft am Laufen. Würden wir nur noch für Geld arbeiten, bräche alles zusammen.

Unbezahlte Arbeit ist nicht nur Hausarbeit, sondern auch Care-Arbeit und vielfältige Ehrenämter, den Löwenanteil leisten Frauen. Rechnet man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen, arbeiten Frauen etwas mehr pro Woche als Männer, ihr Anteil für unbezahlte Fürsorgearbeit ist aber dabei 2,4 Mal so hoch wie der von Männern, der für Hausarbeit 1,6 Mal so hoch.² Dennoch gelten Männer als wichtigere Leistungsträger der Gesellschaft, denn relevant dafür scheint nur bezahlte Arbeit zu sein, für die Frauen aufgrund der Ungleichverteilung von unbezahlter Arbeit weniger Zeit übrig haben. So zementiert die Ungleichbewertung bezahlter versus unbezahlter Arbeit die Benachteiligung von Frauen und trägt dazu bei, dass die gleiche Arbeit, wenn sie bezahlt wird aber sonst vorwiegend von Frauen unbezahlt erledigt wird (Haushalts- und Care-Arbeit), schlechter bezahlt wird, als eher männlich konnotierte Arbeit.

Wer keine bezahlte Arbeit hat, zählt als Verlierer*in, die*der der Gesellschaft auf der Tasche liegt, oder es heißt, er oder sie „macht nichts“, wie im anfangs beschriebenen Beispiel. Der einseitige Fokus auf bezahlte Erwerbstätigkeit ist nicht so alt, wie man denken könnte. Erst seit Beginn der ersten industriellen Revolution sind wir als Erwerbsgesellschaft organisiert, in der Lohnarbeit eine dominante Rolle spielt. Jahrtausende Menschheitsgeschichte war das nicht der Fall und immer noch gibt es Kulturen, die anders sind. Im Kapitalismus jedoch ist der Durchschnittsmensch gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen.

Sein größter Erfolg ist, dass selbst einige Linke das Verkaufen der eigenen Arbeitskraft für ein besonders erstrebenswertes Ziel an sich halten, da auch sie den Wert eines Menschen mit einer bezahlten Erwerbstätigkeit zwingend verknüpfen. Genau diese Verknüpfung dient dann als Argument gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Dabei werden Argumente bemüht, die nichts mit Geld zu tun haben, etwa dass der Mensch die (bezahlte) Arbeit braucht, um sich nützlich zu fühlen, Anerkennung zu erhalten, soziale Beziehungen zu pflegen, sich weiterzuentwickeln und seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Wer ohne Vorurteile nachdenkt, wird schnell feststellen, dass es für all diese Aspekte keine bezahlte Arbeit braucht.

Vergleichen wir eine Person, die für Geld nachts Büros putzt und eine Person, die unbezahlt in einer Flüchtlingsinitiative tätig ist, Deutsch unterrichtet, bei Beamtengängen oder bei Bewerbungsschreiben hilft. Wer will behaupten, dass wer Geflüchteten hilft, sich weniger nützlich fühlt, weniger Anerkennung erhält, bei der Arbeit weniger soziale Beziehungen pflegt und weniger Neues lernt als der Mensch, der nachts Büros putzt? Gewiss ist die Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit allgemein längst nicht so, wie sie sein sollte. Aber diese für unsere Gesellschaft wichtige Arbeits- (und in diesem Fall auch Integrations-) leistung für weniger relevant und sinnstiftend zu halten, nur weil sie keinen Marktpreis hat, ist die Übernahme kapitalistischer Marktwerttheorien und hat mit linken Werten wenig zu tun.

Außerdem erfüllen viele Arbeitsverhältnisse nicht die Ansprüche, die die Verteidiger*innen der Lohnarbeit damit verbinden. Sie sind weder sinnstiftend, noch bieten sie Entfaltungsmöglichkeiten und oft finden sie unter Verhältnissen statt, die sich Arbeitnehmer*innen nur aus Existenzangst gefallen lassen und weil Hartz IV und soziale Entwertung drohen, wenn sie ein noch so unerträgliches Arbeitsverhältnis kündigen. Gerade die schwächsten Akteur*innen im Arbeitsmarkt sind am leichtesten erpressbar, was sowohl von Arbeitgebern als auch von staatlichen Institutionen ausgenutzt wird. Wer Angst hat, muckt nicht auf und lässt sich leichter ausbeuten. Nichts davon ist gut und erhaltenswert.

Fakt ist, dass über vier Millionen erwerbsfähige Menschen im Juni 2018 leistungsberechtigt waren, von denen mehr als eine Million Bezieher*innen von Grundsicherung sogar arbeiteten, mehr als 200.000 in Vollzeit! Was sind das für Arbeitsverhältnisse, bei denen man in Vollzeitarbeit Hartz IV braucht? Es sind Arbeitsverhältnisse, die durch Hartz IV erst möglich werden.

Die Frage, was Hartz IV für Menschen bedeutet, ist wichtig, nicht nur für die 18 Millionen Menschen, die in den letzten zehn Jahren Hartz IV bezogen haben, sondern auch für alle die, die Angst vor dem Abstieg in die Grundsicherung haben. Hartz IV ist längst ein Synonym für die Entwertung der eigenen Lebensleistung, für Versagertum, dem-Staat-auf-der- Tasche-liegen, für eingeschränkte soziale Teilhabe, geringere Zukunftschancen eigener Kinder, für schlechtere Gesundheit und einen früheren Tod. Hartz IV steht auch für Erniedrigung auf dem Amt, das Aufgeben der Privatsphäre, für Amts-Willkür, massenhafte (oft rechtswidrige) Sanktionen, die auch Mietkosten betreffen können und manchmal Ursache für Zwangsräumungen sind. Auch Familien mit Kindern gehören zu den von Sanktionen betroffenen Haushalten.

Wäre das Grundgesetz ein Mensch, schlüge ihn Hartz IV mitten ins Gesicht und verletzte Artikel 1, der die Würde des Menschen als unantastbar bezeichnet. Für manche ist Hartz IV ein so unerträglicher Gedanke, dass sie lieber trotz Armut darauf verzichten, andere ertragen inakzeptable Arbeitsverhältnisse weiter, nur um nicht auf Hartz IV angewiesen zu sein.

Links sein muss deshalb mehr bedeuten, als nur für sanktionsfreie Mindestsicherung zu kämpfen, denn viele der erniedrigenden Faktoren gelten auch dann
noch. Was wir brauchen, ist eine soziale Revolution, die Schluss macht mit der Verknüpfung vom Wert eines Menschen mit dem Fakt, ob er oder sie für Geld arbeitet. Der Wert eines Menschen darf nicht davon abhängen, ob man in eine kapitalistische Verwertungslogik passt, denn auch wer bei Wikipedia Artikel schreibt, um das frei zugängliche Wissen der Welt zu mehren, wer Open Source Anwendungen programmiert und frei zur Verfügung stellt, wer Kinder betreut, ehrenamtlich in Kommunalpolitik, Jugendarbeit oder Sportvereinen aktiv ist, aber auch wer für die Familie kocht, Socken strickt, Müll trennt oder im Garten Tomaten anbaut, leistet Arbeit und verdient Anerkennung.

Absurderweise werden ja sogar identische Aufgaben unterschiedlich bewertet, je nach dem, ob sie bezahlt sind oder nicht. Kochen, Putzen oder Gärtnern sind auch bezahlte Dienstleistungen, aber wer sie unbezahlt macht, soll weniger wert sein, als jemand, der das für Dritte tut? Das entbehrt jeder Logik, aber dieses Denken steckt auch hinter der Aussage des linken Armutsforschers Christoph Butterwegge, der in einem Artikel des Vorwärts von der Zerstörung des Wohlfahrtsstaates durch das Bedingungslose Grundeinkommen schreibt: „In einer Arbeitsgesellschaft hängen Lebenszufriedenheit, sozialer Status und Selbstwertgefühl an der Berufstätigkeit.“ Ich könnte damit leben, wenn er das nur als Beschreibung des Status quo gemeint hätte. Er meint es aber als einen Zustand, der erhaltenswert ist und den das bedingungslose Grundeinkommen unterminiert.
In aller Konsequenz bedeutet das, alle die oben beschriebenen negativen Auswirkungen ebenfalls beizubehalten.

Ich finde den Status Quo schon jetzt unerträglich, was diesen Denkansatz aber künftig noch gefährlicher macht, ist die schlichte Tatsache, dass die digitale Revolution zu einer Erosion des Arbeitsmarktes führen wird, mit unvorstellbaren Turbulenzen, verursacht durch drei parallele Veränderungen: Erstens, Wegfall von Millionen Arbeitsplätzen in Berufen, die flächendeckend aussterben. Ein einfaches Beispiel sind die 800.000 Berufskraftfahrer*innen in Deutschland, die in 10-20 Jahren durch autonome Autos überflüssig werden. Schwerer vorstellbar aber genauso realistisch ist der Wegfall von Industriejobs durch mehr Robotik und Arbeitsplätzen in Dienstleistungen – von Kanzleien über Buchhaltungen und Laboren bis zu Schreibstuben – durch Software, deren Einsatzmöglichkeiten durch die Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz erheblich steigen. Die gleichen Veränderungen führen zweitens dazu, dass weitere Millionen von Arbeitsplätzen künftig so anders sein werden, dass es zu einer massenhaften Entwertung beruflicher Qualifikationen kommt. Dann gibt es ein Berufsbild noch dem Namen nach, aber Aufgabeninhalte und die Art ihrer Erledigung sind völlig anders.

Drittens entstehen neue Berufe, für die es nicht genug Ausgebildete gibt. Ihre Anzahl wird jedoch nicht ansatzweise den Wegfall von Arbeitsplätzen in kommenden Jahrzehnten ausgleichen. Wer verkennt, dass diese industrielle Revolution in wesentlichen Aspekten anders ist, als die bisherigen industriellen Revolutionen, versteht sie nicht hinreichend und/oder lässt sich vom aktuellen Fachkräftemangel und dem Gerede von fast erreichter Vollbeschäftigung blenden. Fakt ist, dass seit 1991 bis 2017 das tatsächliche durchschnittliche Arbeitsvolumen pro Erwerbstätigen in Deutschland um fast 13 Prozent gesunken ist. Die Arbeit wird einfach auf immer mehr Köpfe verteilt, findet immer häufiger unter prekären Verhältnissen statt, und viel zu oft steht am Ende eines langen Arbeitslebens eine Rente unter der Armutsgrenze (da sind wir wieder bei Hartz IV). So eine Welt ist ungerecht und unsozial, sie wird künftig noch ungerechter und unsozialer sein, wenn wir nicht endlich strukturell etwas verändern.

Ein wesentlicher Baustein der notwendigen sozialen Revolution ist das Bedingungslose Grundeinkommen, denn es nimmt die Angst und die Erpressbarkeit aus dem System, fügt ihm aber mehr individuelle Freiheit und mehr Spielräume für Anpassungsmöglichkeiten hinzu. Niemand muss Existenzangst wegen Digitalisierung haben, wenn ein BGE
als verlässliches Sicherheitsnetz dient. Auszeiten für Weiterbildungen oder Umschulungen kann man sich mit BGE leisten. Dann steigt auch der Stellenwert unbezahlter Arbeit, weil dann jede Arbeit irgendwie bezahlte Arbeit ist, schließlich könnte man das BGE interpretieren als Bezahlung für alles, was man macht.

Auch Machtverhältnisse verändern sich, denn in einer Welt, in der sich das BGE mit weniger bezahlter Erwerbstätigkeit kombiniert, lassen sich Arbeitnehmerrechte leichter durchsetzen, weil niemand mehr Hungerlöhne oder miese Arbeitsbedingungen aus Existenzangst akzeptieren muss. So wird die Verhandlungsmacht für Arbeitnehmer*innen höher, als sie jemals war und auch ein Absenken der Wochenarbeitszeiten ermöglichen. Weniger für Geld arbeiten wird keine Bedrohung mehr sein, sondern ein erstrebenswertes Ziel, in dem wir mehr Zeit für alles das haben, was unser Leben sonst so ausmacht, ohne dass uns Entwürdigung oder Altersarmut drohen. Mit der Digitalisierung haben wir erstmalig eine realistische Chance, uns vom Zwang, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen, zu befreien, weil Software, Roboter und Co. künftig einen Großteil der Wertschöpfung erbringen – aber nur, wenn wir den großen Sprung der Umverteilung schaffen und verhindern, dass nur wenige sich die Früchte dieser Wertschöpfung in die Tasche stecken. Für eine solche positive, linke Zukunftsvision lohnt es sich zu kämpfen!


Fußnoten

1. Quelle: Norbert Schwarz: „Wert der unbezahlten Arbeit – Das Satellitensystem Haushaltsproduktion“, Statistisches Bundesamt, Ergebniskonferenz zur Zeitverwendungserhebung 2012/2013, 5./6.10.2016
2. Quelle: www.boeckler.de/108549_108559.htm

Dieser Artikel wurde in Heft 4 der Schriftenreihe »Die fabelhafte Welt der Ema.Li – Fordert nicht Arbeit und Brot, sondern Freizeit und Kuchen!« veröffentlicht.

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