Absurdes Gendermarketing mit rosa-hellblauem Schubladendenken bekommt einen Wink mit dem Goldenen Zaunpfahl. Der Negativpreis wurde am heutigen 22. Mai zum dritten Mal verliehen. Im Folgenden meine Laudatio:

Die Jury hatte es leider auch in diesem Jahr schwer, den Negativsieger für den Goldenen Zaunpfahl 2019 zu küren. Es gab zu viel Auswahl und wie im letzten Jahr war eine Einreichung gruseliger als die nächste.
Jedes Jahr hoffen wir, dass ein Umdenken stattfindet, dass Unternehmen von Produktentwicklung bis Marketing Abteilung sich ihrer Verantwortung bewusster werden und überhaupt verstehen, welchen Schaden sie anrichten, wenn sie nicht nur einseitige Geschlechterclichés bedienen, sondern – so kann es einem vorkommen – einfach immer noch eins drauf legen. 

So werden Kinder immer früher in Schubladen gesteckt, was inzwischen so weit geht, dass nicht nur Produkte für Babies in rosa und hellblau daher kommen, sondern auch schon Nabelschnurklemmen, denn offenbar darf man Jungen nicht mit einer „Mädchenschere“ abnabeln – wenn irgendetwas Genderwahn ist, dann solche Produkte.
So schlimm dieses Beispiel ist, am Goldenen Zaunpfahl ist es aufgrund der überwältigenden Konkurrenz knapp vorbeigeschrammt. 

An der Meinungsbildung der Jury war ich nicht beteiligt, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Entscheidung wirklich schwer fiel.
So ist die Kombination aus Gendermarketing mit Sexismus bei einer der Nominierungen  geradezu widerlich. Wer kommt auf die Idee, ein Drohnenset für den Modellbau zu entwickeln, bei dem ein männlicher Drohnenpilot nackte Frauen im Nachbargrundstück ausspioniert? Was kommt als nächstes?
Eine Vergewaltigungsszene als Erweiterungsset für den kleinen Park im heimischen Modelleisenbahn-Gelände? Wer stellt so ein Produkt in den Laden und wer kauft sich das und warum? 

Morgen wird das Grundgesetz 70 Jahre alt. In Artikel 3 steht der wichtige Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Aber sind sie das? In welchem Zustand ist unsere Gesellschaft wirklich und was bedeutet das für jede Einzelne aber auch uns alle gemeinsam?
Unsere Gesellschaft ist immer noch vom Patriarchat geprägt, in dem Männer das Sagen haben und Sexismus und sexualisierte Gewalt zum Alltag gehören.
Es kommt in keinen Abendnachrichten, wenn mal wieder ein Mann seine Ex-Frau ermordet hat, dabei passiert das fast jeden zweiten Tag. 

Manche wird sich fragen, was das mit Gendermarketing zu tun hat. Aber sexualisierte Gewalt hat ihre Wurzeln im Sexismus, und zu Sexismus gehört auch die Abwertung eines Geschlechts, die Kategorisierung von Frauen als minderwertig, ihre Objektifizierung, wie man sie im beschriebenen Drohnenbeispiel hervorragend erleben kann. 

Und als scheinbar harmlose Schicht darüber kommt die rosahellblau-farbene Stereotypisierung, die jedem Geschlecht seine vermeintlich naturgewollte Aufgabe und Kompetenz zuschreibt. Und so landen Männer mehrheitlich in Führungspositionen, bestimmten mit einem Anteil von 70% im Bundestag darüber, dass Ärzte sich weiterhin strafbar machen, wenn sie erwähnen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, Männer verdienen mehr, besitzen mehr Vermögen und erhalten höhere Renten. 

Gehaltsunterschiede haben natürlich viele Ursachen, aber einige davon haben mit Stereotypisierung sehr viel zu tun.
So übernehmen Frauen immer noch anderthalbmal mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer, vom Putzen bis zum Schulbrotschmieren. Berufe in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, sind durch die Bank schlechter bezahlt.
Oft, weil sie dabei Aufgaben übernehmen, die als „natürliche Aufgaben“ der Frauen gelten, wie Kinderbetreuung, Alten- oder Krankenpflege. Der Frauenmangel in Naturwissenschaften oder Technik wird beklagt, genauso wie der Umstand, dass Mädchen sich mehrheitlich für immer die gleichen 25 Berufe entscheiden, als gäbe es nicht noch 300 andere Berufsbilder. 

Fragt man Mädchen nach ihren Berufswünschen, hört man zunehmend auch „Influencer“ oder „Model“. Die Kritik, diese Wünsche seien unrealistisch, finde ich gar nicht mal überzeugend,  denn damit argumentiert ja auch niemand, wenn Jungs erklären, einmal Kosmonaut werden zu wollen.
Aber Jungen, deren Traum der Weltraum ist, werden darin durch alle Arten Spielzeug und Medien unterstützt. Sie können beim Streben nach ihrem Traumjob schon als Kinder naturwissenschaftliche und technische Kompetenzen erwerben, was ihnen alle möglichen beruflichen Perspektiven erleichtert – auch auf der Erde. 

Solche Träume entwickeln Jungen aber auch, weil sie ihr ganzes Kinderleben lang von Gegenständen und Bildern umgeben sind, die ihnen solche Träume suggerieren, von der Weltraumbettwäsche bis zum Legoset.

Die Mädchenabteilung im Spielzeugladen ist ganz anders geprägt, da öffnet sich der Abgrund der Hölle, sie ist aber nicht schwarz und finster und stinkt nicht nach Schwefel, sie ist rosa und glitzert und riecht nach Parfüm.
Deshalb nehmen Eltern und Kinder auch nicht reiß aus, sondern lassen sich einlullen, und kaufen diesen Mist. Mist, der Mädchen einredet, dass sie nicht Kosmonautin werden können, sondern nur 2 Aufgaben im Leben haben: hübsch und sexy sein für Männer – da sind wir wieder bei der Objektifizierung – oder nützlich und zu Diensten, als Putzfrau, Köchin oder Krankenschwester, da sind wir wieder bei den schlecht bezahlten Berufen. 

Was ist schlimm am Model-Traum? Diese Frage beantwortet sich, wenn man überlegt, auf welche Kompetenzen es dabei ankommt. „Kompetenz“ ist vielleicht ein unpassendes Wort, wenn das Hauptauswahlkriterium das Aussehen und die Beschaffenheit des eigenen Körpers ist.
Aus jedem Aschenputtel kann eine Prinzessin werden, ist das Motto der Spielzeugindustrie – der analogen wie der virtuellen, es braucht nur die richtigen Klamotten, Accessoires und Schminke und wo das nicht hilft, ja dafür gibt’s dann ja Schönheitschirurgen! 

Und damit komme ich endlich zum Preisträger des diesjährigen Zaunpfahls, der Firma Stroer, die die online Spieleplattform „spieleaffe.de“ betreibt. Die dort angebotenen Spiele für Kinder, die mit der Rubrik Mädchenspiele eindeutig nur Mädchen ansprechen sollen, sind ein wirkliches Horrorkabinett.
Sie können – oder sollen? – dort prima lernen, wozu sie im Leben da sind, kurz gefasst, zum Klo-Putzen und schön sein. 

Der Preisträger des Jahres 2019, Empfänger des Goldenen Zaunpfahls, ist das online Spiel Toilette-Putzen aus der Kategorie „Mädchenspiele“. Hat ein Mädchen das natürlich rosa-lila farbene Bad samt WC mit den rosa Reinigungsmitteln, lila Handschuhen und lila Klobürste erfolgreich geputzt, wird es vom Spiel wie folgt belohnt: „Jetzt kannst Du noch ein tolles Makeup auflegen und ein hippes Outfit aussuchen und die Party kann kommen“.
Putzen und Schön sein, die bewährte Kombo. 

Nach der Entscheidung der Jury wurde das Unternehmen darüber informiert, als Reaktion wurde das Spiel von der Plattform genommen.
Den Goldenen Zaunpfahl erhält Stroer trotzdem, denn auch wenn dieser Schritt lobenswert ist, so kam er doch weder von allein noch rechtzeitig vor der Entscheidung der Jury. 

Und wenn man sich so auf der Plattform Spieleaffe weiter umschaut, entdeckt man noch jede Menge anderer Spiele, die nicht nur platt und stereotyp sind, sondern auch gesundheitsgefährdend. Das meine ich ganz wörtlich, denn die ständige Suggestion, Mädchen müssten bestimmten Schönheitsstandards genügen, führte unter anderem dazu, dass inzwischen Essstörungen die tödlichste psychische Erkrankung in Deutschland sind, die meisten Patient*innen sind junge Mädchen. 

Es ist erschütternd, dass immer mehr junge Mädchen glauben, hässlich und deshalb wertlos zu sein oder keine glückliche Zukunft haben zu können. Bei Spieleaffe.de spielen sie die Spiele „Instagram Famous“, „Influencer Make up“, „Ellis Beauty Tutorials“ oder auch das Spiel „Extreme Makeover“, wo sie als Stylistin ein normal gekleidetes Mädchen mit normaler Frisur in eine Glamourprinzessin verwandeln – in der Spielebeschreibung heißt das so: „vom studentischen Schlabberlook eines unscheinbaren Mädchens hin zu einem glamourösen neuen Look“, schminken, Zähne bleichen, sexy Klamotten anziehen und vom Schönheitschirurgen korrigieren lassen kann – als sei etwas kaputt an ihr. 

In der Spielebeschreibung steht: „Begleite sie zum plastischen Chirurgen, der Gesicht harmonischer gestaltet und Haarimplantate am Haaransatz einsetzt.“ Operative Eingriffe werden normalisiert und positiv konnotiert.
Ich finde das menschenverachtend, frauen- und kinderfeindlich. In seiner Selbstbeschreibung für Spieleentwickler (Entwicklerinnen werden dort nicht genannt) preist sich die Plattform jedoch selbst an als „familienfreundlich“ und „kindertauglich“, mit Tausenden Spielen „für alle Altersklassen“ an. 
Die Jury des Goldenen Zaunpfahls findet solche Angebote nicht kindertauglich. Wir hoffen, der Preis hat eine Wirkung, auf die Firma Stroer aber auch auf andere Hersteller genderstereotyper Produkte und Medien sowie last but not least auch auf Konsumentinnen und Konsumenten, denn wenn wir alle diesen Müll nicht mehr kaufen, wird ihn auch keiner produzieren.