Im November stellte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Digitale Gewalt gegen Frauen„, weil ich wissen wollte, wie sie damit umgeht, dass immer mehr Fälle häuslicher Gewalt auch im digitalen Raum stattfinden. Frauen werden erpresst, bedroht oder überwacht, z. B. durch unsichtbare Apps auf dem Handy, Stalking per Messenger oder das Veröffentlichen von intimen Fotos im Internet.
Keine Zahlen zu digitaler Gewalt
In der Antwort der Bundesregierung habe ich nun erfahren, dass sie kaum etwas über Ausmaß und Formen digitaler Gewalt gegen Frauen weiß und auch nicht, wie viele Frauen davon betroffen sind. Sie hat dazu kaum Zahlen und es ist auch nicht geplant, an diesem Zustand etwas zu ändern. Es wird weder erfasst, wie viele Frauen jedes Jahr von Gewalt mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel, im Internet, den Sozialen Medien oder durch Spy-Apps betroffen sind oder wie viele Gerichtsverfahren zu diesem Thema bereits verhandelt wurden.
Verpflichtung durch die Istanbul-Konvention
Vergangenes Jahr hat sich die Bundesregierung mit der Ratifizierung der Istanbul-Konventionen dazu verpflichtet, gegen Gewalt an Frauen vorzugehen, und zwar auch im digitalen Raum. Das ist begrüßenswert, aber in der Kleinen Anfrage wird deutlich, dass die Regierung jetzt schon Teile der Konvention nicht erfüllt. Laut Artikel 11 der Konvention ist die Regierung dazu verpflichtet, Daten zum Thema digitale Gewalt zu erheben und Forschung zum Thema zu betreiben. Aus der Kleinen Anfrage geht nun hervor, dass sie dies weder tut noch in der näheren Zukunft vorhat. Dabei ist die letzte Dunkelfeldstudie zu Gewalt an Frauen inzwischen 14 Jahre alt. Sie fällt somit in eine Zeit, in der digitale Gewalt kaum ein Thema war. Seitdem wurden keine weiteren Studien in dem Bereich durchgeführt.
Digitale Gewalt kein Thema in Aus- und Weiterbildung
In der Aus- und Weiterbildung von Polizist*innen und Jurist*innen spielt digitale Gewalt an Frauen kaum eine bis gar keine Rolle. Lediglich in einem einzigen Studiengang des BKA wird das Thema angerissen. Im Modulhandbuch des Studiengangs „Kriminalvollzugsdienst im BKA“ wird dies allerdings nicht erwähnt, lediglich „Cybercrime“ ist enthalten, aber ohne Bezug zu Frauen. In diesem Bereich hat die Bundesregierung sehr viel aufzuholen.
Definition von „Cybercrime“ ist strittig
Es fällt auf, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine stark abweichende Definition des Themas „Cybercrime“ im Vergleich zum Bundeskriminalamt hat. Laut BKA fallen auch „Phishing“ und digitale Erpressung in den Bereich von Cybercrime. In der Antwort beschränkt das BMFSFJ die Definition allerdings auf Straftaten gegen das Internet, Datennetze oder Informationssysteme, um dann festzustellen, dass digitale Gewalt gegen Frauen also nicht darunter fallen. Im Studiengang „Kriminalvollzugsdienst beim BKA“ wird digitale Gewalt gegen Frauen laut KA Frage 8 hingegen im Themenfeld „Cybercrime“ mitbehandelt. Offenbar gibt es innerhalb der Bundesregierung stark abweichende Definitionen dafür, was unter „Cybercrime“ verstanden wird.
Beratungsstellen sind unterfinanziert
In der Antwort auf die Frage nach Beratungsleistungen nennt die Bundesregierung u. a. das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, das digitale Gewalt gegen Frauen als Phänomen erfasst. Lediglich 0,33 % der dokumentierten Beratungen im Jahr 2017 bezogen sich auf Digitale Gewalt (laut Jahresbericht des Hilfetelefons hingegen 0,45%, siehe S. 12). Es erscheint allerdings unrealistisch, dass ein so geringer Teil der Beratungen Bezug zur digitalen Gewalt aufweist. Es zeigt sich außerdem erneut, welchen Stellenwert das Thema Gewalt an Frauen hat. Das seit Jahren unterfinanzierte Hilfesystem soll nicht weiter ausgebaut werden, bis auf die Kapazitäten des Hilfetelefons. Dabei müssen die Beratungsstrukturen vor Ort gestärkt werden, da diese sowieso schon am Limit sind. Der noch neue Deliktbereich digitale Gewalt erfordert aber zusätzliche Mittel für die Schulung der Beraterinnen und den Ausbau der Beratungskapazitäten. Um Betroffene gezielt zu unterstützen, reicht ein Projekt des bff – Frauen gegen Gewalt e. V. nicht aus, das zudem die Einzelfallhilfe noch gar nicht umfasst.
Enttäuschend gering sind die Fördermittel, die die Bundesregierung für das Thema digitale Gewalt bereitstellt: Weniger als 700.000 € für einen Projektzeitraum von 5 Jahren ist viel zu wenig, um die in der Kleinen Anfrage erwähnten Aufgaben des Projekts „Aktiv gegen digitale Gewalt“ auch nur im Ansatz zufriedenstellend zu erfüllen: Information für die Betroffenen, Information für die Beratungs- und andere Anlaufstellen, Vernetzung und Qualifikation der Fachöffentlichkeit, Stärkung der Rechtssicherheit und damit verbunden ständige eigene Weiterbildung zu einem Themenfeld, dass sich so schnell entwickelt wie andere Bereiche der Digitalisierung. Aber so wie die Bundesregierung die Digitalisierung lange verschlafen hat und der internationalen Entwicklung weiter hinterherhinkt, lässt sich dasselbe Verhalten bei der digitalen Seite der Gewalt gegen Frauen beobachten: Es wird verzögert, unterfinanziert und abgewartet.
Es soll alles so bleiben, wie es ist
Der Frage nach einer Anpassung des Strafrechts ist die Bundesregierung ausgewichen und hat sich auf das als Beispiel angeführte Phänomen Cybermobbing zurückgezogen: Eine Anpassung des Strafrechts wird offenbar nicht in Betracht gezogen, jedenfalls findet sich dazu in der Antwort nichts.
Studien zur Erforschung der Größenordnung des Problems sind nicht geplant, obwohl Berater*innen berichten, dass sie täglich damit konfrontiert sind. Dass die Bundesregierung in ihrer Antwort stattdessen auf Studien zu Rechtsextremismus und Islamismus verweist, kann nur zynisch genannt werden.
Meine Einschätzung zur Antwort der Bundesregierung
Es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass sie auch elf Jahre nach Einführung des ersten Smartphones so wenig darüber weiß, wie sich die Digitalisierung auf unser Leben auswirkt. Auch Gewalt gegen Frauen findet immer mehr im Digitalen statt. Bis heute hat die Regierung aber kaum Kenntnisse zu dem Thema und anscheinend auch nicht geplant, daran viel zu ändern. Ohne Zahlen zu erheben, das Strafrecht oder die Polizeiausbildung anzupassen, werden Frauen mit ihren Gewalterfahrungen im digitalen Raum allein gelassen.
Wie wenig Bedeutung die Bundesregierung dem Thema digitale Gewalt gegen Frauen beimisst, lässt sich an den dafür vorgesehenen Fördermitteln ablesen: Knapp 700.000 € für einen Projektzeitraum von 5 Jahren für ein einziges Projekt, das sich mit diesen spezifischen Problemen befasst und dabei noch nicht einmal selbst dazu berät, sind wirklich zu wenig.
Mir war diese Kleine Anfrage besonders wichtig, weil das Thema Digitale Gewalt gegen Frauen in Deutschland leider völlig vernachlässigt wird. Dabei hören wir von Beratungsstellen wie von Anwältinnen von Betroffenen, dass sie kaum noch Fälle haben, in denen die verschiedenen Formen digitaler Gewalt gegen Frauen keine Rolle spielen. Ihnen fehlt aber oft das Wissen, um verstehen zu können, wie die Täter vorgehen, ihnen fehlen die juristischen Werkzeuge, um sich dagegen wehren zu können und die Methoden, um den Opfern helfen zu können, sich dagegen zu schützen. Hier brauchen wir unbedingt mehr Aktivität auf allen nötigen Ebenen.
Update:
Mein Bericht zur Anhörung ‚Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen‘ vom 24. März 2021