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Die Union schiebt wieder den Kinderschutz für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung vor, die auch in der vorgeschlagenen Variante nicht mit Grundgesetz und EU-Recht vereinbar ist. Auch künftig wird die Linke gegen Massenüberwachung und für echten Kinderschutz eintreten – dann ohne mich im Bundestag. Dies war meine letzte Rede im Plenum, der Linken und der Digitalpolitik bleibe ich erhalten!

Anke Domscheit-Berg (Die Linke):
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet zum unkaputtbaren Wunsch der Union, eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen, halte ich nach fast acht Jahren im Bundestag meine wahrscheinlich letzte Rede.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Endlich!)

Ich kann meine bisherige Kritik nur wiederholen: Dieser Vorschlag verstößt gegen die Vorgaben des EuGH und das Grundgesetz. Die Speicherfrist ist nicht das kürzest Mögliche – es gibt grundrechtssensiblere Alternativen wie das Quick-Freeze-Verfahren -, und die Maßnahme ist ungeeignet; denn Schwerkriminelle wissen, wie man eine IP-Adresse verschleiert.

(Beifall bei der Linken)

Der Gesetzentwurf soll übrigens auch die Funkzellenabfrage erweitern, zum Beispiel auf Enkeltricks. In Berlin müsste man dann 200 000 Menschen aus einer Funkzelle identifizieren. Und, ja, was denn dann? Eine Massengegenüberstellung mit Oma?

(Sebastian Fiedler (SPD): Eijeijei!)

Sehr “praktisch“. In Berlin werden per Funkzellenabfragen übrigens schon jetzt 100 Millionen Datensätze pro Jahr gesammelt. Ich möchte deshalb noch einmal daran erinnern: Demokratie und Massenüberwachung passen nicht zusammen.

(Beifall bei der Linken – Stephan Brandner (AfD): Da haben Sie ausnahmsweise mal recht!)

Ich hoffe, dieser Grundsatz wird auch im kommenden Bundestag nicht vergessen; denn die Demokratie müssen wir mit all ihren Werten verteidigen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Die ganz große Kommission!)

Zum Abschluss noch ein paar Worte in eigener Sache. Ich habe mit viel Leidenschaft linke Digitalpolitik im Bundestag vertreten und mitgestaltet, übrigens mit einem großartigen Team, ohne das ich nie so viel hätte schaffen können. Tausend Dank! Das ist für euch!

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Thorsten Lieb (FDP))

Auch allen Angestellten, vielen Dank: denen an der Garderobe, in der IT, im Saaldienst. Ohne Sie wären wir alle hier aufgeschmissen; denn wenn wir nachts hier sitzen, sind Sie auch noch da, und zwar ohne Fahrdienst und Diäten.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Als Obfrau habe ich im Digitalausschuss engagiert und parteiübergreifend den fachlichen Austausch mit Demokratinnen und Demokraten gesucht und sehr oft gefunden. Herzlichen Dank dafür.

Ein Mandat im Bundestag, das ist ein großes Privileg, und ich bin dankbar für diese Chance und Erfahrung. Bundestag, das heißt aber auch: wenig Schlaf, ständiges Multitasking und Überlastung sowie ein aus der Zeit
gefallenes Trinkverbot im Plenum. Das wird hoffentlich der nächste Bundestag abschaffen.

(Beifall des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wasser in Bundestagsflaschen verletztwürde die Würde des Hauses nicht verletzen. Aber zu wenig zu trinken ist nicht nur gesundheitsschädlich, es verringert auch die Konzentrationsfähigkeit und damit die Qualität unserer Arbeit.

Frustriert hat mich aber auch die immer noch hohe Verbreitung digitaler Inkompetenz – man muss immer wieder das Gleiche vom Urschleim diskutieren wie bei der Vorratsdatenspeicherung -,

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Das fällt uns auch manchmal schwer, Frau Kollegin!)

sowie, dass fachliche Kritik erst Jahre später ernst genommen wird, dass Koalitionsverträge Theorie bleiben, bei Open Source genauso wie beim Digitale-Gewaltschutzgesetz. Für diese Themen werden in kommenden
Legislaturen andere Linke weiterkämpfen.

(Stephan Brandner (AfD): Da irren Sie sich ganz gewaltig!
Sie werden den Gang der FDP gehen!)

Ich habe meine Zeit hier selbst auf zwei Legislaturen festgelegt und will zurück in das andere Leben. Ich werde natürlich weiter digitalpolitisch aktiv sein, aber künftig wird mehr Zeit für anderes sein, zum Beispiel den großartigen Verstehbahnhof in Fürstenberg und meine Familie. Ich freue mich schon sehr darauf, die menschenfeindlichen Reden einer sicher verfassungswidrigen Partei nicht mehr hören zu müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linken und der SPD – Stephan Brandner (AfD): Das BSW ist gar nicht da!)

Das gönne ich übrigens auch allen anderen Abgeordneten demokratischer Parteien und habe deshalb einen Wunsch zum Abschied:

Unterstützen Sie den Antrag auf Überprüfung der AfD mit einer Jastimme oder wenigstens einer Enthaltung!
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Stephan Brandner (AfD): Wann kommt der denn?)

Die Union versucht erneut, eine verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung einzuführen und argumentiert mit Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt, um Massenüberwachung zu legitimieren. Prävention und mehr Ressourcen für spezialisierte Ermittler würden Kinder besser schützen. Mit einem aktuellen EUGH Urteil ist die beabsichtigte IP Adress-Speicherung von 6 Monaten nicht vereinbar.

Meine Rede vom 20.09.2023 zu TOP 4:

Schutz vor sexuellem Missbrauch, IP-Adr.-speicherung
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
IP-Adressen rechtssicher speichern und Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen
Drucksachen 20/368720/8373

im Wortlaut:

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt gibt es schon seit fast 20 Jahren immer wieder neue Versuche, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. 

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Nur, das ist ja keine!)

Früher war vor allem der Kampf gegen den Terrorismus das Argument, um grundrechtswidrige, anlasslose Massenüberwachung zu legitimieren. 

(Stephan Brandner (AfD): Damit kennen Sie sich ja aus!)

Man hat die Angst der Bevölkerung vor Terroranschlägen instrumentalisiert. Weil diese Angst weitgehend aus dem Alltag verschwunden ist, nutzt die Union jetzt die entsetzliche Gewalt gegen Kinder als neuen Vorwand

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Kann man Ihnen das eigentlich glauben?)

und hofft, dass Überwachungskritiker/-innen schweigen wegen des Vorwurfes, sie würden Kinder nicht schützen wollen. 

Ginge es Ihnen in der Union tatsächlich darum, Kinder zu schützen, 

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Ihnen geht es darum nicht! Ihnen geht es darum offenbar nicht!)

würden Sie den Fokus darauf legen, Verbrechen zu verhindern, meine Damen und Herren,

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

und zum Beispiel Anträge für niedrigschwellige Hilfsangebote für Kinder oder Anträge für mehr Aufklärung für Erwachsene, die mit Minderjährigen zu tun haben, stellen.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Wahnsinn!)

Sie legen den Fokus ausschließlich auf die Strafverfolgung. Dann haben Kinder aber die Gewalt schon erlitten, und das offenbart Ihre Scheinheiligkeit. 

(Dr. Martin Plum (CDU/CSU): Und die Täter machen weiter!)

Die Union fordert nicht, was effektiv die Strafverfolgung verbessern würde:

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Eine echte Täterschutzrede!)

eine ausreichende personelle und technische Ausstattung zum Beispiel. Der Mangel daran ist die Hauptursache für schleppende Ermittlungen. Das hat Ihr eigener Sachverständiger in der Anhörung so gesagt.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) – Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Täterschutzrede!)

Auch eine Login-Falle kann Ermittlungen effektiver machen. Wenn ein Verdächtiger sich einloggt, werden dessen Daten anlassbezogen erfasst. Engagieren Sie sich doch dafür.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): 20 000 Einstellungen!)

Dann kann man nämlich Täter tatsächlich schneller aus dem Verkehr ziehen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings (CDU/CSU): 20 000 Schicksale! 20 000!)

– Ich weiß gar nicht, wie Sie gleichzeitig reden und zuhören können. Es wäre gut, Sie würden mal zuhören. 

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Sie halten doch die gleiche Rede wie beim letzten Mal! Ihnen fällt gar nichts anderes ein scheinbar!)

So ist Ihr Antrag nur ein weiterer Versuch der Union, eine verfassungswidrige Überwachung einzuführen. Dabei hat erst gerade wieder das Bundesverwaltungsgericht der Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt. 

(Dr. Martin Plum (CDU/CSU): Es geht um IP-Adressen-Speicherung! Das ist etwas anderes!)

Ihre Forderung, IP-Adressen von sämtlichen IT-Nutzerinnen und IT-Nutzern sechs Monate zu speichern, ist nicht vereinbar mit dem EuGH-Urteil von 2022;

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Plum (CDU/CSU): Da gibt es keine konkrete Aussage zu! Das haben Sie nicht gelesen!)

denn das limitiert die Speicherung auf den Zeitraum, der absolut notwendig ist, um nämlich über 80 Millionen Bürger/-innen vor staatlicher Massenüberwachung zu schützen. Ihr eigener Sachverständiger, der Leitende Staatsanwalt der Cybercrimestelle Nordrhein-Westfalen, sagt, das sei maximal eine Woche. 

Die Linksfraktion empfiehlt der Union eine Weiterbildung zur Prävention, zur Verhinderung sexualisierter Gewalt an Kindern, aber auch zu Grundrechten. 

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Das müssen Sie gerade sagen!)

Dann können Sie die von Ihnen behaupteten Ziele nämlich viel besser erreichen und Sie scheitern seltener vor Gericht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Dass die SPD da klatscht!)

Die Ampel sollte der Vorratsdatenspeicherung endgültig eine Absage erteilen und vor allem im BMI die Blockade gegen das grundrechtssensiblere Quick-Freeze-Verfahren aufgeben, außerdem bestehende Überwachungsgesetze hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluieren und, solange die versprochene Überwachungsgesamtrechnung nicht da ist, auf keinen Fall neuen Überwachungsbefugnissen zustimmen. Dazu gehört ein klares Nein in Brüssel in den Verhandlungen zur Chatkontrolle, mit der die größte Überwachungsinfrastruktur seit Bestehen des Internets geschaffen werden soll. Das müssen Sie verhindern! Ich drücke Ihnen dafür die Daumen, liebe Damen und Herren der Regierungskoalition. Den Antrag der Union lehnt die Linksfraktion selbstverständlich ab.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Die ganze?)

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))