150 Jahre Widerstand gegen §218 Klatschpappen

Vor 150 Jahren, am 15. Mai 1871, wurden im deutschen Kaiserreich die Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Reichsstrafgesetzbuch verabschiedet. Bis heute ist damit der Abbruch in Deutschland illegal und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei: Die ungewollt schwangere Person muss sich einer verpflichtenden Beratung mit einer anschließenden Wartezeit von mindestens drei Tagen unterziehen und die Schwangerschaft darf die 12. Woche nicht überschritten haben. Damit gibt es einen Zwang zur Austragung, unabhängig von partnerschaftlichen, psychischen und ökonomischen Verhältnissen, denn dieser Zwang leitet sich aus der grundsätzlichen Illegalität eines Schwangerschaftsabbruches ab. Selbst das Bundesverfassungsgericht verwendete den Begriff „Austragungspflicht“ (BVerfGE 39, 1) für die Verantwortung der Schwangeren. Da fühlt man sich tatsächlich an die Kaiserzeit erinnert. 


Während niemand dazu gezwungen werden darf, den eigenen Körper, Körperflüssigkeiten oder Körperteile gegen den eigenen Willen anderen zur Verfügung zu stellen, gilt dies für ungewollt Schwangere nicht. Sie werden verpflichtet, den eigenen Körper für mindestens neun Monate zur Verfügung zu stellen. Eine solche angenommene Austragungspflicht widerspricht dem Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und dem Recht auf Schutz der Intimsphäre.

Zitat aus unserer Fraktionsbroschüre zum Thema LINKE Vision von reproduktiver Gerechtigkeit


150 Jahre Widerstand

Im Video des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung unten wird gut erklärt, wieso dieser rückschrittliche Zustand gerade für mich als Frau aus dem Osten Deutschlands so unerträglich ist. Denn in der DDR hatten wir mit der Fristenlösung schon seit 1972 das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, erst mit der Wiedervereinigung kam dann der Rückschritt zu diesem 150-jährigen Gesetz. Ich war im Alter von 17 Jahren in der DDR ungewollt schwanger. Ich finde die Vorstellung unfassbar, dass eine heute 17-jährige, also 36 Jahre später, weniger Recht über ihren eigenen Bauch hat, als ich Mitte der 80er.  


‘Für das Leben – Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sichern, reproduktive Gerechtigkeit ermöglichen.’

Ich habe deshalb den Antrag der Linksfraktion im Bundestag unter diesem Titel gerne unterzeichnet. Dies sind die wesentlichen Forderungen:

  • Grundsätzlich: Weg mit den Paragrafen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch.
  • Präventiv: Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln für alle, unabhängig vom Geldbeutel, als kassenärztliche Leistung. 
  • Versorgung: Das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft und die Anerkennung von Abtreibung als medizinischen Eingriff, der zur gesundheitlichen Versorgung gehört.
  • Gleichzeitig: Das Recht auf ein gutes und sicheres Leben mit Kindern sowie das Recht von Menschen mit Behinderungen auf reproduktive Selbstbestimmung und Elternschaft.


Durch Strafandrohung weniger Abtreibungen?

Nein. Die Abtreibungen sinken nicht, denn schon immer haben Frauen Wege gefunden, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Das was jedoch bei fehlendem Zugang zu legalen Abtreibungen zunimmt, sind schwere Verletzungen zum Teil mit Todesfolge bei illegalen Abtreibungen. Diese Fakten haben letztlich sogar im katholischen Irland zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen geführt. 


12 Wochen straffrei – dann ist ein Abbruch doch legal?

Nein. Straffrei und legal sind nicht das gleiche. Dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als illegal gilt, hat weitreichende Konsequenzen. Beispielsweise ist die Durchführung eine Straftat und damit nicht fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung. Der § 219a führt zudem nach wie vor zu Anzeigen gegen Ärzt:innen, die Abbrüche anbieten. Angehende Ärzt:innen schreckt das ab und die Versorgungslage verschlechtert sich zunehmend. Dazu trägt auch bei, dass Ärzt:innen nicht zur Beihilfe zu einer an sich strafbaren Handlung gezwungen werden dürfen, was den Druck auf medizinische Fachkräfte erhöht, ihre Unterstützung für ungewollt Schwangere zu verweigern. Manche Schwangere finden im Umkreis von 200 km keine Abbruchmöglichkeit mehr.


Was ist der Unterschied zu 219a?

Mit dem Zusatzparagrafen §219a führten die Nazis das Verbot von “Werbung für Schwangerschaftsabbrüche” ein, das bis heute dafür sorgt, dass Ärzt:innen unter Strafandrohung nicht einmal einfache fachliche Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen veröffentlichen dürfen. Während z.B. ich als Laiin Abtreibungsmethoden hier auf meiner Webseite (LINK: https://mdb.anke.domscheit-berg.de/2021/03/wegmit219a/) erklären darf. Der Grund: weil Ärzt:innen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wird jede fachliche Information dazu einfach als „Werbung“ interpretiert. So finden heute ungewollt Schwangere beim Suchen im Internet viel schwieriger verlässliche Informationen darüber, welche Methoden es gibt, wie man sie anwendet und welche Ärzt:innen in der Nähe sie anbieten. Sie stoßen stattdessen auf tendenziöse und belastende Darstellungen, die Abtreibungsgegner:innen im Netz verbreiten. 

Künstlerin: Lena Deser, Quelle: Fraktionsbroschüre


Rede für Rede beende ich deshalb mit meiner Forderung, den Paragrafen 219a abzuschaffen. Das lange politische Schweigen und die unhaltbaren Behauptungen, die letztendlich Frauen* entmündigen, müssen endlich ein Ende haben. 


Was kann ich tun?

Petition unterschreiben: „Weg mit § 218: Abtreibung nicht länger im Strafgesetzbuch regeln!“


Weiterführende Informationen:


Digitales Deutsches Frauenarchiv: Wie ein roter Faden zieht sich der Kampf gegen den § 218 durch die Frauenbewegungsgeschichte. Das Dossier (von Mai 2021) begleitet durch unterschiedliche Zeiten und politische Systeme, stellt Akteurinnen und Argumente vor und führt durch verwobene Debatten zu der Frage: Sind 150 Jahre Widerstand nicht genug?

Mit dem „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ vom 9. März 1972 wurde überraschend eine Fristenregelung eingeführt. Eine breite öffentliche Debatte fand weder vorher noch nachher statt. Das Gesetz war das erste und einzige in der DDR, welches von der Volkskammer nicht einstimmig beschlossen wurde, sondern mit 14 Gegenstimmen und acht Enthaltungen. Ein Schwangerschaftsabbruch konnte danach in den ersten 12 Wochen ohne weitere Voraussetzungen in einer Klinik vorgenommen werden.

Quelle: Schwangerschaftsabbruch in DDR und BRD