Antrag (Drucksache 20/2031)
der Abgeordneten Anke Domscheit-Berg, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, Gökay Akbulut, Clara Bünger, Dr. André Hahn, Ina Latendorf, Petra Pau, Sören Pellmann, Martina Renner und der Fraktion DIE LINKE.
Keine Privatadressen im Impressum
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die geltende Rechtslage verpflichtet in § 5 Abs. 1 des Telemediengesetzes (TMG) fast alle Betreiber*innen von Websites, ein Impressum zu veröffentlichen, das leicht erkennbar Name und Anschrift enthält, außerdem Angaben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme ermöglichen. Ausgenommen sind davon nur rein private Websites: Die Impressumspflicht gilt für alle Anbieter*innen geschäftsmäßiger Telemedien. Dabei gilt: „Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit ist weitreichender als der der Gewerbsmäßigkeit“ (WD 10 – 3000 – 049/20). Jurist*innen empfehlen in der Regel allen, die mehr als rein private Familien-Blogs betreiben, vorsichtshalber ein Impressum bereitzustellen, um kostenintensive Abmahnungen zu vermeiden. Das betrifft etwa all jene, die Affiliate Links (Links zu Partner-Angeboten, deren Nutzung zur Zahlung einer Vermittlungsprovision führt) oder Werbung einbinden oder Inhalte veröffentlichen, die thematische Ähn- lichkeit zu ihrer beruflichen Tätigkeit haben, also beispielsweise auch Journalist*innen.
Alle, die keine Geschäftsadresse haben, müssen ihre Wohnadresse veröffentlichen. Das birgt erhebliche Gefahren in Bezug auf digitale Gewalt durch Stalking, Identitätsdiebstahl, Terrorisierung durch massenhafte Online-Bestellungen oder gefälschte Notrufe und auch physische Bedrohung.
Die Bundesregierung hat im Dritten Gleichstellungsbericht erklärt: „Allein die Bedrohung durch potenzielle digitale Gewalt erschwert die Ausübung eines Berufs und schreckt vor [sic!] der Verwirklichung von Geschäftsideen ab. So ist für Soloselbstständige die derzeitige Regelung der Impressumspflicht problematisch, wenn sie mit der zustellfähigen Adresse auch ihre Privatanschrift offenbaren müssen, was häufig der Fall ist“ (BT-Drs. 19/30750, S. 201).
Die Informationspflichten nach § 5 TMG setzen die Vorgabe der Richtlinie 2000/31/EG (sog. E-Commerce-Richtlinie) um.
Die damalige Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Dr. Katarina Barley, kündigte in nachgelieferten Antworten auf Fragen des Ausschusses Digi- tale Agenda bereits 2019 an: „Im Rahmen einer Revision über den elektronischen Geschäftsverkehr wird zu prüfen sein, ob und inwieweit die Impressumspflicht in ihrer konkreten Ausgestaltung noch zeitgemäß ist“ (Ausschuss-Drucksache 19(23)039, S. 2).
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- zu prüfen, ob und inwieweit die Impressumspflicht in ihrer konkreten Ausgestaltung noch zeitgemäß ist,
- zu prüfen, inwieweit die gegenwärtige Regelung der Impressumspflicht digitale Gewalt insbesondere gegen vulnerable Gruppen begünstigt,
- sich ggf. auf europäischer Ebene für eine Anpassung der Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie an die Gegebenheiten des digitalen Zeitalters einzusetzen, sodass die Kontaktierbarkeit auf anderem Weg als durch die Angabe der Wohnadresse hergestellt werden kann,
- eine Regelung zu finden, die es allen, die keine Geschäftsadresse haben, kostenfrei ermöglicht, ohne Angabe der Privatadresse Websites zu veröffentlichen und dabei in angemessener Weise kontaktierbar zu sein, etwa indem
- a) Adress- und Kontaktdaten der Privatpersonen bei Impressumsintermediären hinterlegt und verwaltet werden oder
- b) optional eine Chiffrenummer bei einer Meldestelle angegeben wird.
Berlin, den 17. Mai 2022
Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion
Begründung
Die Impressumspflicht in ihrer gültigen Ausgestaltung drängt all jene aus der digitalen Öffentlichkeit, die (noch) über keine Geschäftsadresse verfügen: Blogger*innen, Solo-Selbständige, Gründer*innen und unter ihnen beson- ders alle, die vulnerablen Gruppen angehören und daher mehr als andere Anfeindungen und Hass ausgesetzt sind.
So schrieb die Sachverständige des Ausschusses Digitale Agenda, Josephine Ballon (HateAid gGmbH) in ihrer Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses im März 2021: „Viele unserer Klient*innen bewegen sich aktivistisch im Netz und betreiben eine eigene Seite auf Social Media Plattformen [sic!] oder eine eigene Webseite oder Blog. Dort die eigene Anschrift zu hinterlegen, ist für viele Betroffene ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Da nicht alle Menschen die Möglichkeit haben [sic!] auf die wohl einzig unstrittige Möglichkeit der Angabe der Arbeitgeberadresse zurückzugreifen, besteht hier stets ein Risiko. Betroffene stehen vor der Wahl, sich entweder aus dem Netz zurückziehen [sic!], rechtswidrig zu agieren und keine oder eine streng genommen nicht ladungsfähige Anschrift anzugeben oder ein sicheres Leben in ihren Privaträumen zu riskieren. Dies mag über- spitzt klingen, ist jedoch zutreffend. Wir halten Ansätze, die dies über ein Register lösen wollen, für praktikabel. Hierbei müsste jedoch sichergestellt werden, dass nicht jede*r beliebige Bürger*in die Adresse dort abfragen kann, wie es sich aktuell bereits mit der Melderegistersperre verhält“ (Ausschuss-Drucksache 19(23)120, S. 24).
Der in diesem Kontext häufig gegebene Hinweis, § 5 TMG gelte nur für geschäftsmäßige Telemedien, verkennt die Realität. Hier herrscht faktisch Rechtsunsicherheit: „Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit wird in Rechtsprechung und Literatur sehr weit ausgelegt und erfordert lediglich ein nachhaltiges Angebot von Telekommunikation, das bei den meisten auf Dauer angelegten Seiten, insbesondere auch bei privaten Websites, vorliegen dürfte. Auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht kommt es dabei nicht an“ (Vogel, Valentin: Impressumsintermedi- äre. Gewaltprävention durch alternative Anbieterkennzeichnung, BayWiDi Magazin, April 2021, S. 7).
Betroffene entscheiden sich, entweder keine eigene Internetpräsenz zu haben, oder nutzen stattdessen die Angebote großer Internet-Plattformen. Damit geben sie die Kontrolle über die eigenen Inhalte auf und nehmen in Kauf, dass ihr eigenes und das Verhalten der Nutzer*innen ihres Angebots kommerziell getrackt und in der Regel an AdTech-Unternehmen zur Profilbildung weitergegeben wird. Oder sie akzeptieren die mögliche Gefährdung von sich und ihren Familien und veröffentlichen die Wohnadresse.
Die geltende Regelung schränkt also zum einen alle ein, die potenziell von Hass und Stalking bedroht sind, und deren Zahl sollte nicht unterschätzt werden: Der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments erwähnt, dass „die Gesamtkosten von Belästigung und Stalking im Internet schätzungsweise zwischen 49 und 89,3 Mrd. EUR liegen, wobei die größte Kostenkategorie auf den Wert des Verlusts an Lebensqualität entfällt, der mehr als die Hälfte der Gesamtkosten ausmacht (etwa 60 % bei Belästigung und etwa 50 % bei Stalking im Internet)“ (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt: Gewalt im Internet (2020/2035(INL)) P9_TA(2021)0489, Punkt AG der Erwägungsgründe).
Gleichzeitig stellt es eine Gefährdung des demokratischen Diskurses dar, wenn sich alle diejenigen aus der Öffentlichkeit zurückziehen, die sich aufgrund ihrer öffentlichen Äußerungen Bedrohungen ausgesetzt sehen.