Anke Domscheit-Berg, DIE LINKE: Aus Worten der Gewalt dürfen nicht Taten der Gewalt werden

Ausgerechnet auf Antrag der AfD sollte am 06.05.2021 im Bundestag die Meinungsfreiheit debattiert werden. Auf Antrag einer Partei also, die damit nur Widerspruchsfreiheit gegenüber ihren eigenen Anschauungen meint und deren Ziel eine Abschaffung der rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit ist und nicht der entschlossene Schutz der Meinungsfreiheit. Gerne hätte ich mich in einer Rede dazu positioniert. Doch der Tagesordnungspunkt wurde von der AfD kurzfristig wieder abgesetzt.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes, verfassungsrechtlich verankertes Grundrecht unserer Demokratie, ein wichtiges Schutzrecht gegen staatliche Zensur. Meinungsfreiheit bedeutet jedoch nicht, von niemandem mehr gesagt zu bekommen, dass eine geäußerte Meinung beispielsweise rassistisch, braun oder menschenfeindlich ist. Meinungsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes bezieht sich im Übrigen (wie der Begriff nahe legt) auf Meinungen und daher ausdrücklich nicht auf „bewusste unwahre Tatsachenbehauptungen“ also Lügen. Auch strafbare Aussagen wie Beleidigungen oder Drohungen, die Glorifizierung von Gewalt und Verbrechen sind ausdrücklich nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt.

Die AfD sieht sich durch diese Grenzen der Meinungsfreiheit gestört, denn zu ihrer Kommunikation gehört regelmäßig die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten, um unsere Gesellschaft weiter zu spalten, und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu fördern. Immer wieder werden Mitglieder der AfD sogar juristisch für die Überschreitung der Grenzen der Meinungsfreiheit belangt. So ist beispielsweise der AfD-Stadtverordnete Bodo Radtke (Oranienburg) seit einigen Tagen wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung rechtskräftig verurteilt. In unzähligen weiteren Fällen verbreiteten, teilten oder duldeten Mitglieder der AfD in ihren social Media Profilen Falschaussagen, Gewaltfantasien oder andere Hasspostings. 

Wie Uwe Wanke nehmen sie damit bewusst in Kauf, dass aus Worten Taten werden. Wanke, Mitglied der AfD Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, verbreitete mitten in der zweiten Welle der Pandemie einen Redeausschnitt eines CDU Bundestagsabgeordneten mit dem Begleittext: „Wer sich nicht freiwillig impft – wird zwangsweise geimpft“. Die zitierte Rede hielt der CDU Abgeordnete im Oktober 2019 zum Masernschutzgesetz, in der er beschrieb, was er unter einer Impfpflicht verstehen würde, um anschließend festzustellen, dass so etwas „nirgendwo in diesem Gesetzentwurf vorgesehen“ sei. Die vom AfD Abgeordneten Wanke ein Jahr später geteilte Videosequenz schneidet jedoch gerade diese Einordnung und Feststellung weg und entstellt damit den Sinn der Aussage in ihr genaues Gegenteil. Unter dem so inhaltsverdrehten Videoausschnitt finden sich seitdem unzählige Kommentare mit expliziten Gewaltfantasien und Morddrohungen gegen den Bundestagsabgeordneten. Da ist neben vielen Beleidigungen die Rede von „an die Wand stellen“, „aufhängen“, „in den Kopf schießen“ , „Kopf abschneiden“ und „Schädel einschlagen“, um nur einige wenige Beispiele dieser unterirdischen Postings zu zitieren.

Auch Monate später sind diese unerträglichen Äußerungen unter dem entstellten Videoposting des AfD Landtagsabgeordneten weiterhin zu lesen. Offenbar findet er sie nicht problematisch, erkennt nicht an, wie aus Worten und Drohungen Taten werden können, hat nicht den Mord z.B. am CDU Politiker Lübcke vor Augen – oder er billigt diese möglichen Folgen ganz bewusst. 

Solche Hasspostings sind ein Massenphänomen. Eine kleine Anfrage der Linksfraktion ergab, dass dreiviertel der strafrechtlich verfolgten Hasspostings im Jahr 2018 von rechts kamen. 

Die  AfD  nutzt  ihre  vielfältigen Kanäle  auch,  um generell Misstrauen in die Demokratie und ihre Grundpfeiler, Institutionen und Prozesse  zu  schüren. So werden zu ungelegenen Wahlergebnissen Betrugsgerüchte gestreut, Forscher:innen in unerwünschten Wissenschaftsfeldern diskreditiert sowie die Einschränkung der Forschungsfreiheit gefordert und die Pressefreiheit mit Füßen getreten. Kulturbetriebe sollen in die Enge getrieben und unbequemes zivilgesellschaftliches Engagement verdrängt werden. Damit trägt die Partei aktiv zu jenen Bedrohungsszenarien bei, aufgrund derer inzwischen  über 60% der Journalist:innen bei  uns  sagen, dass die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Gefahr sei.

Die  AfD  nutzt  ihre  vielfältigen Kanäle  auch,  um generell Misstrauen in die Demokratie und ihre Grundpfeiler, Institutionen und Prozesse  zu  schüren. So werden zu ungelegenen Wahlergebnissen Betrugsgerüchte gestreut, Forscher:innen in unerwünschten Wissenschaftsfeldern diskreditiert sowie die Einschränkung der Forschungsfreiheit gefordert und die Pressefreiheit mit Füßen getreten. Kulturbetriebe sollen in die Enge getrieben und unbequemes zivilgesellschaftliches Engagement verdrängt werden. Damit trägt die Partei aktiv zu jenen Bedrohungsszenarien bei, aufgrund derer inzwischen  über 60% der Journalist:innen bei  uns  sagen, dass die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Gefahr sei.

Wenn sich ausgerechnet diese AfD dann im Bundestag als Retter der Meinungsfreiheit darstellt, müssen wir diese Widersprüche aufzeigen und ihr falsches Spiel offenlegen. Das hätte ich in meiner Rede getan. 

PS: Nachdem dieser Beitrag geschrieben war, beantragte die AfD eine Aktuelle Stunde am Freitag Nachmittag zum gleichen Thema, meine Rede wird also doch noch gehalten werden und hier als Video verlinkt, sowie sie verfügbar ist. 

Meine Rede im Wortlaut:

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wieder einmal sieht die AfD die Meinungsfreiheit in Gefahr und glaubt, man könne nicht mehr sagen, was man wolle. Es stört sie, dass Dritte manche Meinungsäußerungen als menschenfeindlich, rassistisch oder schlicht als Desinformation entlarven. Auch die existierenden Grenzen der Meinungsfreiheit – Beleidigungen, Drohungen, Glorifizierung von Gewalt oder Volksverhetzung – sind der AfD ein Dorn im Auge.

Vielleicht wegen solcher Beispiele: Bodo Radtke, AfD-Stadtverordneter in Oranienburg, der Stadt, in der sich das KZ Sachsenhausen befand, wurde gerade diese Woche frisch rechtskräftig verurteilt wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung. Die AfD will auch Freiheit zum Schüren von Hass und Gewalt, weil ihr der Mord an Walter Lübcke keine Warnung ist, weil sie bewusst in Kauf nimmt, dass aus Worten der Gewalt Taten der Gewalt werden. Es ist eine Beleidigung der Mütter und Väter unseres Grundgesetzes, dass ausgerechnet die AfD so tut, als wolle sie Grundrechte verteidigen.

Ein anderes Beispiel. Ende 2020 verbreitete Uwe Wanke, Mitglied des Landtages in Baden-Württemberg für die AfD, einen ein Jahr alten Videoausschnitt einer Bundestagsrede eines CDU-Abgeordneten zur Masernimpfpflicht und schreibt darunter: „Wer sich nicht freiwillig impft – der wird zwangsweise geimpft.“ In diesem Videoausschnitt sagte der CDU-Abgeordnete Folgendes: Meine Assoziation zur Impfpflicht ist: Ein Kind, dessen Eltern sich weigern, das Kind impfen zu lassen, bekommt Besuch von der Polizei, das Kind wird ihnen entzogen und wird in ein Gesundheitsamt gebracht und dort wird eine Pflichtimpfung durchgeführt. Das, was der CDU-Abgeordnete danach sagt, schneidet dieser Landtagsabgeordnete der AfD jedoch ab. Es ist der entscheidende Satz: Das ist nirgendwo in diesem Gesetzentwurf vorgesehen. Diese durch den Videoausschnitt absichtlich falsche Darstellung wurde Tausende Male gelikt. Darunter finden sich entsetzliche Kommentare, die sich direkt auf ein Mitglied dieses Hauses beziehen. Ich entschuldige mich jetzt für die nun folgenden drastischen Zitate, aber so spricht man bei der AfD im Internet, und die Welt soll das wissen.

Da steht: Sofort erschießen, die Ratte. – So was gehört an die Wand oder noch besser an den Galgen. – Da hilft nur noch ein Kopfschuss. – Du dreckiges Stück Scheiße. – Dich sollte man aufhängen, du Fettsack. – Du Wichser, ich schneide Dir Deinen Kopf ab! – Dem sollte man den Schädel einschlagen. Diese widerwärtigen Mordfantasien gegen einen Bundestagsabgeordneten aufgrund einer gezielten Desinformation eines Landtagsabgeordneten der AfD stehen seit 27 Wochen ungelöscht dort. Das ist Kriegsführung im Informationszeitalter.

Der AfD ist jedes Mittel recht, um ihre FacebookKumpane gegen alle aufzuhetzen, die ihr nicht in den Kram passen. Sie kennt keine Grenzen, keine Scham und keinen Anstand und holt aus manchen Menschen leider das Schlechteste heraus. Die AfD schürt auch Misstrauen in Demokratie, Institutionen und ihre Prozesse, um sie zu zerstören. Sie schreit wie Trump: „Wahlbetrug“, wenn ihr ein Wahlergebnis nicht gefällt. Sie greift die Freiheit der Forschung an. Sie will Forscherinnen und Forschern vorschreiben, woran sie zu forschen haben, und diskreditiert Geschlechterforschung als Gender-Gaga. Dabei weiß inzwischen jeder: Der Einzige, der Gender-Gaga ist, ist die AfD.

Die AfD attackiert auch die Pressefreiheit. Ihre Mitglieder behaupten ständig, bei uns gäbe es nur noch gleichgeschaltete Lügenpresse. Deshalb brauchen Journalistinnen und Journalisten heute bei ihrer Arbeit Polizeischutz, wenn sie live von einer Demo berichten wollen. 60 Prozent Journalistinnen in Deutschland sagen jetzt, dass sie die Freiheit ihrer journalistischen Arbeit und ihre Unabhängigkeit in Gefahr sehen. Diese Bedrohungen für Journalistinnen und Journalisten heizt die AfD aktiv an. Dafür empfinde ich tiefste Verachtung.

Es gibt in Deutschland kein Problem mit der Meinungsfreiheit. Was wir haben, ist ein Problem mit verquer denkenden Faktenleugnern und mit Nazis, die davon träumen, den Reichstag zu stürmen, Medienhäuser zu besetzen und tatsächlich gleichzuschalten, Wissenschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen und diejenigen zu bestrafen, die ihren Hass nicht teilen wollen, sondern sich ihm entgegenstellen. Wir als Linksfraktion werden nicht zulassen, dass Sie jemals damit durchkommen.

Im Übrigen bin ich, wie immer, der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben. § 219a gehört abgeschafft.

Vielen Dank.