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Seit Beginn der Corona-Pandemie war der Rückstand unseres Landes in digitaler Bildung keine Nebensache mehr, sondern wurde zu einem akuten und gravierenden Problem. Monatelang hatten Schulen geschlossen oder nur einen sehr eingeschränkten Zugang, Bildung fand entweder gar nicht statt, oder über Hausaufgaben-Arbeitsblätter und nur manchmal auch digital, denn in Deutschland hakt es an allem: die meisten Schulen haben keine zeitgemäße digitale Bildungsinfrastruktur, zu wenig dafür ausgebildete Lehrkräfte, es fehlt am schnellen Internetzugang – in der Schule und in den Elternhäusern der Kinder, an Computern für Lehrkräfte und an Computern für Kinder, an online Bildungsplattformen, an Emailadressen für Lehrkräfte und für Schüler:innen. Viele Kinder erhielten ihre Bildung im Home Schooling und so verstärkte sich dabei die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland noch einmal. Kinder aus reicheren Elternhäusern haben nicht nur eher ein eigenes Zimmer, in dem man ungestörter lernen kann, sondern auch eher einen eigenen Computer und ein WLAN für den Zugang zu Bildungsinhalten als Kinder aus ärmeren Haushalten.

Die Bundesregierung hat in dieser Legislatur zwar endlich einen Digitalpakt für Bildung mit 3,5 Milliarden in dieser Legislatur und 5 Milliarden Euro insgesamt beschlossen, aber wie immer gibt es ein Umsetzungsproblem, denn bisher sind erst 15 Millionen Euro abgeflossen – das sind lächerliche 0,3 Prozent. Im Digitalausschuss wies Staatssekretär Rachel am 9. September 2020 zwar darauf hin, dass ja eine Viertelmilliarde bereits bewilligt sei – aber auch das sind nur 5 Prozent der zugesagten Summe und ein Eingeständnis, dass nach wie vor 95 Prozent der Mittel nicht einmal bewilligt wurden.

Aber dieser Digitalpakt hatte auch inhaltliche Geburtsfehler, auf die die Linksfraktion von Anfang an aufmerksam gemacht hat – es fehlten Mittel für Endgeräte – also die Beschaffung von Tablets oder Laptops für Schüler:innen und Lehrkräfte und für IT-Administratoren, denn pädagogische Fachkräfte können und sollen nicht nebenbei die IT-Infrastruktur einer Schule mitbetreuen. Diese Fehler wurden während der Corona-Krise besonders deutlich erkennbar. Und es fiel auf, dass die fehlenden Mittel für Endgeräte vor allem ärmere Kinder besonders benachteiligte.

Um den schreienden Rückstand in der Digitalen Bildung schneller aufzuholen, hat die Bundesregierung in den vergangen Monaten drei zusätzliche Förderprogramme aufgelegt: jeweils 500 Millionen Euro soll es geben für die Anschaffung von Computern für Schüler:innen, Computern für Lehrkräfte und für die Bezahlung von IT-Administrator:innen. Im Digitalausschuss sprach Staatssekretär Rachel davon, dass die Computer natürlich Leihgeräte sein sollen – was schon ein Witz ist, wenn man sich überlegt, dass das kleine Uruguay schon seit 2005, dem Beginn einer 15 jährigen linken Regierungskoalition, jedem Kind zur Einschulung einen Laptop als Eigentum zur Verfügung stellt. Als viertgrößte Industrienation der Welt schaffen wir das im Jahre 2020 immer noch nicht. Wir reden von Leihgeräten, damit kommende Schüler:innengenerationen ihre helle Freude daran haben werden, wenn sie einen 10 Jahre alten Laptop von ihren Vorgänger:innen übernehmen. 

Schlimmer noch ist aber die Verteilung der Gelder für Schüler-Laptops auf die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel. Das bedeutet nämlich eine Verteilung nicht nach der Anzahl bedürftiger Kinder, sondern nach der Größe der Bevölkerung je Bundesland. Und so steht in Baden-Württemberg für jedes bedürftige Kinder mehr als 3 Mal so viel Bundesfördergeld zur Verfügung, wie in Bremen – obwohl dort ein Computer wohl kaum weniger kosten dürfte. So wird man wohl kaum Bildungsgerechtigkeit herstellen!

Gerade in ärmeren Kommunen, die sich keine ausreichenden IT-Fachkräfte leisten können, werden derartig geförderte Computer nicht einmal beantragt, weil ihnen die anschließend notwendigen Kapazitäten für die  IT-Administration fehlt. Dieses Problem sollen die 500 Millionen Euro für IT-Administrator:innen lösen, aber eine Umsetzungsvereinbarung gibt es noch nicht und Staatssekretär Rachel konnte nicht einmal einen ungefähren Zeitpunkt nennen, wann mit der Verfügbarkeit der Mittel zu rechnen ist. Für Kommunen mit knappen Kassen ist das zu langsam, denn die Bestellungen für Schüler:innen-Computer haben längst begonnen. Es werden also in den Kommunen, die nicht daran teilnehmen, wieder die Kinder aus ärmeren Familien in die Röhre gucken – und weiterhin keinen angemessenen Zugang zu digitaler Bildung erhalten.

Auch das Thema fehlender Internetanschlüsse wollte die Bundesregierung adressieren. Staatssekretär Rachel erzählte stolz, dass sein Ministerium Türöffner bei den großen Telekommunikationsunternehmen gewesen sei und dass diese nun eine Art Bildungstarif zur Verfügung stellen, den die jeweiligen Schulträger bezahlen, um damit Kindern aus materiell schlechter gestellten Familien einen Internetzugang zuhause zu Bildungsinhalten zur Verfügung zu stellen. Was gut klingt, ist jedoch hoch problematisch.

Was dieser Bildungstarif sein soll, konnte er nicht einmal erklären, irgendwie sollen das die Länder wohl mit den Unternehmen abkaspern – aber ich glaube nicht, dass es da 16 verschiedene Lösungen geben wird. Da haben sich Deutsche Telekom und Co. irgendetwas ausgedacht, das möglicherweise geltendes Recht verletzt aber in jedem Fall ein Internet 2. Klasse für ärmere Kinder bereitstellt (dazu mehr von JULIA REDA). Wer soll denn festlegen, was ein “Bildungsinhalt” ist? Und wie sollen Kinder Medienkompetenz erlernen, wenn sie nur Zugang zu einem verstümmelten Internet haben? Sollen nur Seiten wie Wikipedia und die Schulcloud und eine Handvoll Bildungsseiten damit nutzbar sein? Was ist dann mit den Links auf Wikipedia, wenn man sich Quellen für Informationen anschauen will, gehen die dann nicht mehr? Und was ist mit YouTube? Dort gibt es nicht nur Katzenvideos und aller Arten Unterhaltungsfilmchen, sondern auch Kanäle zur Vermittlung von Mathematik, die äußerst erfolgreich und beliebt sind und schon millionenfach Kindern beim Lernen geholfen haben.

So ziemlich überall kann auch Bildung sein, denn Medienkompetenz kann man nur erlernen, wenn man übt, sich im Internet zu bewegen, zu filtern, zu bewerten und Informationen einzuschätzen. Der vorgeschlagene Internettarif wird also lediglich eins tun: Schüler:innen in zwei Gruppen einteilen – diejenigen, die das gesamte Internet nutzen können und diejenigen, die einen beschränkten Zugang haben. Ganz klar, Bildungsgerechtigkeit ist auch das nicht. Die kann man nur herstellen, wenn alle Schüler:innen gleichermaßen Zugang zu Inhalten und Endgeräten haben.

Offen blieb im übrigen auch, wie denn die Beschränkung auf Bildungsinhalten überhaupt erfolgen soll. Das wäre z.B. mit dem sogenannten “Deep Packet Inspection” möglich, einem Verfahren, bei dem der Internet Service Provider in jedes Datenpäckchen hineinschaut, um festzustellen, was da drin ist – ein Wikipedia Datenpäckchen oder eins von YouTube – und auf dieser Basis das eine Päckchen durchzulassen und das andere nicht. Dieses Verfahren bedeutet aber nicht nur eine Überwachung des Internetverkehrs von Kindern, sondern verletzt außerdem das Prinzip der Netzneutralität, nachdem Datenverkehr im Netz gleich zu behandeln ist. In einem Brief an die Bundesnetzagentur, in deren Beirat ich stellvertretendes Mitglied bin, habe ich nun um weitere Antworten zu dem Thema gebeten. Würde man der Bundesregierung ein Zeugnis zum Fortschritt bei digitaler Bildung ausstellen, dann müßte man schreiben: “Sie hat sich bemüht” – das ist in etwa die gleiche Bewertung, die sie für den Ausbau der Breitbandinfrastruktur in Deutschland verdient, wo wir ebenso unrühmliche hintere Plätze im internationalen Vergleich belegen, wie bei digitaler Bildung. Die Folgen sind katastrophal, denn wir verspielen die Zukunft unserer Kinder, mit jedem Tag und jeder Woche und jedem Monat, in dem sie ganz oder teilweise von zeitgemäßer Bildung ausgeschlossen sind.