Bericht von Anne Roth

Anke Domscheit-Berg, Christina Clemm, Ans Hartmann, Dr. Anne-Katrin Wolf beim Fachgespräch "Digitale Gewalt gegen Frauen" (Bild: Claudia Sprengel)

Der Andrang zum Fachgespräch „Digitale Gewalt gegen Frauen“ am Dienstagabend war so groß, dass ein größerer Raum gefunden werden musste, damit alle kommen konnten, die sich für das Thema interessieren. Vertreter*innen von Beratungsstellen, Verbänden, NGOs und aus der Verwaltung, aber auch viele interessierte Einzelpersonen hörten zu und beteiligten sich an der Diskussion.

Doris Achelwilm, Sprecherin für Gleichstellungs-, Queer- und Medienpolitik der Linksfraktion, begrüßte die Anwesenden und betonte, Betroffene würden seit Jahren darauf aufmerksam machen, dass Anzeigen im Bereich der digitalen Gewalt viel zu oft ins Leere laufen. „Polizei und Gerichte müssen endlich mehr Expertise in diesem Bereich aufbauen.“

Gleich zu Beginn stellte Anke Domscheit-Berg, Sprecherin für Netzpolitik der Linksfraktion, klar, dass das Thema des Fachgesprächs, digitale Gewalt gegen Frauen, ein Sammelbegriff ist, der viele Teilbereiche umfasse. Hatespeech gehöre dazu, und es sei gut, dass dieses Thema inzwischen ernst genommen wird. Digitale Gewalt sei aber noch viel mehr: Zum Beispiel digitale Übergriffe von (Ex)Partnern durch Stalking, heimliche Aufnahmen und andere Formen der Überwachung von Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen.

“Häufig ist digitale Gewalt gepaart mit anderen Formen der Gewalt. Das Problem ist, dass wir viel zu wenig wissen, weil es überhaupt keine Studien über Formen und Ausmaß gibt. Was aber deutlich ist: Die digitale Gewalt nimmt zu“, erklärte die  netzpolitische Sprecherin der Fraktion.

Ziel des Fachgesprächs war, gemeinsam mit den eingeladenen Expert*innen herauszufinden, welche gesetzgeberischen Initiativen jetzt gebraucht werden.

Für den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) war Ans Hartmann eingeladen und berichtete, eine Verfolgung der digitalen Gewalt auch im Bereich der Partnerschaftsgewalt scheitere oft daran, dass es bei Polizei und Justiz zu wenig Ressourcen und zu wenig Wissen über das Thema gibt. Nach einer Anzeige müssten Betroffene zuweilen ihre Smartphones zur Beweissicherung abgeben und lange auf die Rückgabe warten, in manchen Fällen würden sogar ihre eigenen Aktivitäten und Adressbücher ausgewertet. Die altbekannte Suche nach Schuld beim Opfer finde sich also auch im Bereich der digitalen Gewalt wieder.

Die Beratungsstellen beobachteten ein ständiges Anwachsen des Problems. Der bff bedaure, dass im Bereich Gewalt gegen Frauen zwar zusätzliche Mittel eingestellt wurden, diese sich aber auf bauliche Maßnahmen beschränkten. Insgesamt sei eine ganzheitliche Strategie zur Bekämpfung von analoger wie digitaler Gewalt anstelle kleinteiliger Regelungen notwendig.

Leena Simon – nach ihrer Kenntnis die einzige IT-Beraterin mit Schwerpunkt Stalking und Digitale Gewalt bundesweit – bestätigte, wie dringend neue Lösungen für die digitale Beweisaufnahme gefunden werden müssen. Ihre Erfahrung sei allerdings auch, dass nur in den seltensten Fällen bei der Polizei die Bereitschaft bestehe, an Geräten eine Beweisaufnahme vorzunehmen. Betroffene müssten selber Beweise liefern und schadeten sich durch Unwissenheit manchmal mehr als sie sich nützten, indem sie zum Beispiel Beweise und Spuren unbrauchbar machten. Die Mitarbeiterin des Anti-Stalking-Projekts des Berliner Frieda-Frauenzentrums forderte, Spy-Apps zu verbieten und staatliche Meldestellen beispielsweise für Fake Profile bei Plattformen einzurichten.

Die Rechtsanwältin Christina Clemm, die selbst zahlreiche Betroffene digitaler Gewalt vertritt, beschrieb, wie schwierig es sei, Fälle zur Anzeige zu bringen, weil selbst in Berlin die Polizei oft einfach nicht wisse, wo überhaupt Anzeige erstattet werden könne. Wenn das aber gelungen ist, „wird früher oder später eigentlich immer alles eingestellt“.  In ihrer Wahrnehmung handele es sich bei digitaler Gewalt mittlerweile um ein Massenphänomen, und trotzdem sei die Justiz immer noch völlig überrascht und überfordert. „Wir haben insgesamt ein großes gesellschaftliches Problem mit rechtlich nicht verfolgter Gewalt gegen Frauen. Das ist kein rein digitales Phänomen.“*

Dabei ist die Gruppe der Betroffenen groß: Neben der Partnerschaftsgewalt trifft es besonders diejenigen, die mehrfach diskriminiert sind – etwa durch Rassismus, Antisemitismus oder Transfeindlichkeit – und auch die, die sich politisch engagieren: „Feminist*innen, die antifaschistisch engagiert sind, sind aktuell so bedroht, sie können in der Regel nicht mal Büroadressen für das Impressum ihrer Website nutzen, weil klar ist: Es wird etwas passieren.“*

Die Vertreterin des Deutschen Juristinnenbundes (djb), Dr. Anne-Katrin Wolf, verwies auf die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die auch digitale Gewalt umfasst und damit ein gutes Instrument sei. Denn die Konvention ist seit der Unterzeichnung durch Deutschland auch hier geltendes Recht. „Wir haben ein Instrument, jetzt müssen wir dazu Regelungen schaffen“, erklärte die Vertreterin der Strafrechtskommission des djb.

Alle vier Expert*innen waren sich einig: Es fehlt weniger an neuen Gesetzen, das Problem ist vor allem die mangelnde Umsetzung. Notwendig sind also einerseits genauere Zahlen durch Erfassung in der Kriminalstatistik und Studien zum Thema und andererseits verpflichtende Fortbildungen für Polizei und Justiz. Ein Problem, dass konkret gelöst werden müsse, sei die Verpflichtung, im Impressum von Websites die Privatadresse anzugeben, wenn es keine Büroadresse gibt: Das verdrängt viele Frauen und Angehörige von Minoritäten aus dem digitalen Raum, weil sie eher schweigen, als sich selbst auf diese Weise zu gefährden.

Für Betroffene wäre eine große Hilfe, wenn ihnen für den Zivilklageweg Prozesskostenhilfe zustünde, denn bisher ist eine Anzeige mit ungewissem Ausgang oft ein zu großes finanzielles Risiko.

Cornelia Möhring, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Frauenpolitik, fasste zusammen: „Es gibt immer viele warme Worte, wenn es um die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geht, aber wenn es dann um die Umsetzung geht, scheitern wir regelmäßig an der Bundesregierung.“* Es sei klar geworden, dass digitale Gewalt die Fortsetzung analoger Gewalt sei und damit viel mehr als Hatespeech. Das Problem werde immer alltäglicher, aber andererseits gesellschaftlich nicht wahrgenommen. Sie appellierte an die Besucher*innen des Fachgesprächs, Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, denn auch hier gelte: Je stärker das Zusammenwirken mit Zivilgesellschaft und Bewegungen, desto stärker ist die Kraft der Opposition.