Gestern, am 16.Januar 2020, fand im Bundestag die große Abschlussdebatte zur Reform der Organspende statt. Neben den Initiator*innen Jens Spahn (CDU), Karl Lauterbach SPD), Georg Nüßlein (CSU) und meiner Fraktionskollegin Petra Sitte war ich auch selbst Mitzeichnerin des Gesetzentwurfes „doppelte Widerspruchslösung“. Die vorgeschlagene doppelte Widerspruchslösung sieht vor, dass jeder, der nicht aktiv einer Organspende widerspricht, potenziell Organspender*in ist. In einem bundesweiten Register wird festgehalten, ob man sich für oder gegen eine Organspende entscheidet, wobei man die Entscheidung jederzeit widerrufen kann. Sofern es keine Entscheidung einer potenziellen Spender*in gibt, sollen Angehörige als Zeug*innen über eine gegebenenfalls getätigte Willenserklärung befragt werden.

Mit dieser Widerspruchslösung hätte immer noch jeder Mensch die freie Entscheidung, ob er oder sie Organe spenden möchte oder nicht. Man hätte nichts dazu tun müssen, als einfach einmal „Nein“ zu sagen, und das finde ich nicht zu viel verlangt. Von staatlichem Zwang kann dabei keine Rede sein, denn die Entscheidung bliebe ja beim Individuum selbst. Man hätte sie beliebig oft ändern und seinen Widerspruch niedrigschwellig z.B. online, beim Arzt oder beim Besuch im Bürgeramt erklären können.

Überblick, wie zur Zeit die Organspende in der EU geregelt ist

Die meisten EU Länder haben längst die Widerspruchslösung und Karl Lauterbach wies in seiner Rede zu Recht darauf hin, dass auch Spenderorgane aus diesen Ländern in Deutschland gern genommen werden und da komischerweise niemand die gleichen ethischen Bedenken anmeldet, wie gegen Organe, die in Deutschland nach einer Widerspruchslösung gespendet worden wären.

Der Tag dieser Debatte war auch der Geburtstag meiner Mutter, sie wäre 85 Jahre alt geworden. Sie wurde immerhin 81, aber seit ich ein kleines Kind war, hieß es stets, „Mama wird vielleicht früh sterben“. Meine Mutter litt an einer  Nierenkrankheit, die die Niere zersetzt. Bei 15% Restniere stoppte ihre Krankheit, was wohl aus unerklärlichen Gründen bei 2% der Betroffenen passiert. Mit 15% Restniere kann man mit gewissen Einschränkungen gerade noch ohne Dialyse leben. So hatte meine Mutter Glück im Unglück und konnte auch ohne Organspende überleben. Viele Patient*innen mit gleicher Krankheit starben, weil es für sie kein Spenderorgan gab.

Dabei ist die Spendenbereitschaft hoch! Etwa 85% der Bevölkerung geben bei Befragungen an, dass sie zur Organspende bereit sind, aber das Problem ist, dass die wenigsten das auch dokumentieren, z.B.  über einen Spenderausweis. Gerade deshalb ist die doppelte Widerspruchslösung gut, denn sie wird den großen Unterschied zwischen bestehender und dokumentierter Spendenbereitschaft verringern. Wer zur Spende bereit ist, hat es nämlich am leichtesten, er oder sie braucht einfach nichts zu tun. Nur wer nicht spenden möchte, also die ca. 15%, die sich dagegen aussprachen, muss sich erklären und den geringen Aufwand betreiben, sein oder ihr „Nein“ zu erklären. Das wäre auch schriftlich bei Angehörigen möglich gewesen, wenn jemand nicht in einer zentralen Datenbank stehen möchte. Eine kleine Hürde, die in Kauf zu nehmen sein sollte, wenn sie auf der anderen Seite so vielen Schwerstkranken das Leben hätte retten können.

Die Widerspruchslösung hätte auch viel mehr Menschen dazu gebracht, über das Thema Organspende genauer nachzudenken, sich eine eigene Meinung über diese wichtige Frage zu bilden und sich zu entscheiden. Aber selbstverständlich würde auch eine Widerspruchslösung nicht allein ausreichen. Auch die Aufklärung muss besser, Prozesse effizienter werden. Es gibt immer noch große Defizite in der Organisation von Organspende-Prozessen. Alles zusammen ist nötig, um endlich mehr Menschen das Leben zu retten.

Der Vorwurf, dass bei der Widerspruchslösung Organentnahmen bei Menschen, die nicht in der Lage waren, eine informierte Entscheidung über die Organspende zu treffen, einfach zu Zwangsspender*innen gemacht werden (z.B. geistig Behinderte, Menschen mit Depression, Analphabet*innen), ist nicht richtig, auch wenn er selbst in der Bundestagsdebatte zu hören war. Der Gesetzentwurf sah vor, dass in solchen Fällen eine Organentnahme grundsätzlich nicht zulässig gewesen wäre.

Auszug aus dem Gesetzesentwurf

Leider hat die Widerspruchslösung nicht die erforderliche Mehrheit im Bundestag gefunden. Nun wird sich leider nicht sehr viel ändern und weiterhin werden zu viele Menschen vergeblich auf ein Spenderorgan warten. Aber so ist Demokratie, Mehrheitsentscheidungen sind zu akzeptieren, auch wenn man sich andere gewünscht hätte. Im Übrigen war die Debatte selbst eine Sternstunde der Demokratie, die sich durch gegenseitigen Respekt und Offenheit sowie Parteigrenzen übergreifende Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auszeichnete. So sollten Debatten immer sein.