Bild von havellab e.V.

Unter dem Motto „(K)eine automatische Revolution“ tagte am 06.12.2019 die Konferenz der Linken zur Digitalisierung und sozialen Gerechtigkeit. Im Rahmen dieser Konferenz bot ich einen Workshop zum Leben in digitalen Dörfern an, um die Vielfalt der Digitalisierung im ländlichen Raum zu zeigen. Dass das Thema wichtig ist, zeigt schon ein Blick ins Grundgesetz: Die Angleichung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land sind dort verankert. Obwohl die Realität von diesem Anspruch weit entfernt ist, bieten sich mit der Digitalisierung neue Perspektiven. Diese müssen auch genutzt werden, weil es eine immer größer werdende Sehnsucht nach einem langsameren und stressärmeren Leben auf dem Land gibt: Kinder spielen draußen, Mieten oder Wohneigentum sind bezahlbar und dass man vom Dorf wegziehen muss, weil es dort nicht genug Arbeitgeber gibt, ist jedenfalls keine allgemeingültige Wahrheit mehr.

Das Thema der digitalen oder urbanen Dörfer ist für mich ein politisches Herzensthema, in meinen Wahlkreisen gibt es immer mehr Projekte aus diesem Bereich und es betrifft mich auch selbst. Nachdem ich vor einigen Jahren mit meinem Mann nach Fürstenberg/Havel in den Norden Brandenburgs gezogen bin, haben wir begonnen den Makerspace „Verstehbahnhof“ für Kinder und Jugendliche im Bahnhofgebäude Fürstenbergs aufzubauen. In diesen Räumen bekommen Kinder und Jugendliche einen Mitmach- und Bildungsraum geboten und können neue Technologien wie zum Beispiel 3D-Drucker oder Lasercutter ausprobieren und Programmieren lernen. Schnelles Internet gibt es auch, eine notwendige Voraussetzung für viele Anwendungen, Ideen und Innovationen – auch wenn man nur von zuhause aus arbeiten möchte.

Der CoWorking-Space Coconat hat sich aus eben diesem Grund im Ortsteil Klein Glien von Bad Belzig niedergelassen: vor Ort gab es einen Glasfaseranschluss. Im Coconat können Zimmer gebucht werden, um in einer ländlichen und stressfreien Atmosphäre allein oder mit anderen Menschen zu arbeiten oder neue Ideen zu entwickeln. Gemeinschaftsräume regen zur Vernetzung und zum Austausch an. Die Ko-Dorf Initiative im nahe gelegenen Wiesenburg verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Im vom engagierten Linken Bürgermeister Marco Beckendorf regierten Ort sollen jedoch keine Zimmer vermietet werden, sondern moderne Holz-Häuser gebaut, die käuflich erworben werden können. Dazu wird es Gemeinschaftsräume, eine große Küche, Büroarbeitsplätze und Baumhäuser als Gästezimmer geben. Ich freue mich insbesondere über so viel Engagement und Initiative, weil sowohl Wiesenburg als auch Bad Belzig mit seinem Ortsteil Klein Glien in meinem Wahlkreis liegen.

Für die Akzeptanz bei innovativen Wohn- und Arbeitsprojekten ist die Integration der ‚Neuen‘ im Dorf wichtig: Um Konflikte zwischen alteingesessenen Dorfbewohnern und den digitalen Pionieren zu vermeiden, haben sich frühzeitig Austauschmöglichkeiten zwischen beiden Gruppen bewährt. Und natürlich muss auch für die Alteingesessenen in unmittelbarer Nutzen erkennbar sein – nicht unbedingt für jeden persönlich, aber doch für den Ort und die Region. Im Falle des Coconat wurden zwei Arbeitsplätze für Einheimische geschaffen und auf dem Gelände finden jetzt auch Dorffeste statt. Beim Projekt „Summer of Pioneers“ füllten „digitale Pioniere“ in Wittenberg leerstehende Häuser wieder mit Leben und über 30 Ideen und Projekte mit Nutzen für den Ort entwickelt. So wurde zum Beispiel ein Gemeinschafts- und Veranstaltungsort in einem leerstehenden Ladenlokal geschaffen.

Eine andere Möglichkeit, wie man mit digitalen Mitteln die dörfliche Gemeinschaft beleben kann, ist die Smart Village App „Bad Belzig App“. Die Bad Belzig App wurde aus Fördermitteln des Landes Brandenburg entwickelt und ist als Open Source verfügbar, d.h. jede andere Gemeinde kann sie kostenlos verwenden und für ihre Bedürfnisse anpassen. Damit stellt die App einen klaren Kontrast zu bekannten Plattformen da, die nicht für andere offen sind und im Extremfall zu digitalen Monopolen mutieren. Durch ihre kostenlose Weiterverwertbarkeit hat man hier mit wenigen finanziellen Mitteln eine gemeinwohl-orientierte Plattform geschaffen, Bürger:innen Informationen und künftig auch den Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen zu ermöglichen.

In Bad Belzig wird die App genutzt, um lokale Zeitungsartikel zu lesen, Neuigkeiten aus dem Rathaus zu erfahren, sich Veranstaltungen örtlicher Vereine anzeigen zu lassen oder den Bürgerservice der Verwaltung zu nutzen. Die App ist dabei aber nicht nur für Bewohner:innen interessant, sondern bietet auch Tourist:innen Informationen über die Region. Das funktioniert, weil lokale Anbieter:innen einen eigenen Zugang zur App bekommen, um über ihre Veranstaltungen und Neuigkeiten berichten zu können. Statt mehrere Menschen in der Verwaltung damit zu beschäftigen, neue Inhalte in die App zu laden, werden dezentral durch vorhandene Akteure der Zivilgesellschaft Informationen erstellt. Die Verwaltung muss dabei nur einen prüfenden Blick auf die Daten in der App werfen.

Die Möglichkeiten digitaler Dörfer sind vielfältig und richtig umgesetzt eine Bereicherung für alle Beteiligten, ohne dass ihre bisherigen Grenzen bereits ausgelotet wären. Um die Chancen der digitalen Dörfer überhaupt nutzen zu können, braucht es eine funktionierende digitale Infrastruktur. Wo das Internet ständig ausfällt oder die Landkarte aus Funklöchern besteht, bleibt der ländliche Raum unattraktiv für viele Menschen. Wer sich für digitale Dörfer interessiert und auf neue Ideen kommen möchte, dem bietet sich am 28.04.2020 im Verstehbahnhof mit der Fraktion-vor-Ort Veranstaltung der Linksfraktion eine wunderbare Gelegenheit sich zu informieren. Denn das Thema der Veranstaltung wird die Digitalisierung und der ländliche Raum sein. Ich freue mich auf euch!