Am Mittwoch erhielt die Kenianerin Juliana Rotich den Deutschen Afrika-Preis 2019, denn ihre Arbeit macht einen Unterschied im Leben von Millionen Menschen weltweit und verbindet technische Innovationen mit sozialer Wirkung.
Vor 8 Jahren traf ich Juliana Rotich am Rande einer Konferenz, wo sie mir von ihrem Projekt Ushahidi erzählte, das schon damals weltweit bekannt wurde.
Ushahidi ist eine open Source Plattform, die 2008 entwickelt wurde, um Unregelmäßigkeiten und gewaltsame Übergriffe im Zusammenhang mit einer umstrittenen Wahl in Kenia transparent zu machen. Augenzeug*innen von Gewalt konnten ihre Berichte per SMS oder E-Mail auf die Ushahidi Plattform laden und auf Google Maps sichtbar machen. Die Software wurde seitdem für das Sammeln dezentraler Informationen überall auf der Welt eingesetzt, z.B. bei den Erdbebenkatastrophen in Haiti und Nepal, der Deepwater Horizon Ölkatastrophe in den USA und in Japan nach dem Tsunami 2011. Mittlerweile wurde Ushahidi in 150.000 verschiedenen Projekten in 160 Ländern der Welt verwendet, über 50 Millionen Berichte wurden damit hochgeladen. Wenn gerade kein Internet oder Strom zur Verfügung stehen, können Informationen aufgezeichnet und später hochgeladen werden.
Da aber durch Stromausfall unterbrochene Internetverbindungen gerade in Entwicklungsländern häufiger ein Problem sind, haben Juliana und ihre Mitstreiter*innen auch dafür eine Lösung gesucht. Als wir uns im Bundestag zu einem Zweiergespräch trafen, erzählte mir Juliana, auf welche Weise ihnen das gelang. Sie gründeten das Projekt BRCK, dessen Name sich vom englischen Brick = Ziegelstein ableitet, denn sein Kern ist ein ziegelförmiger, Router, der außerdem mit einem Modem kombiniert ist und einen mobilen W-Lan-Hotspot darstellt. Dank eingebautem Speicher können vorgeladene Seiten auch dann weiter abgefragt werden, wenn das mobile Internet einmal kurzzeitig ausfällt und ein Akku sorgt dafür, dass Stromausfälle bis zu einigen Stunden überbrückt werden können und der Hotspot auch mit löchriger Stromversorgung zuverlässig funktioniert. Viele Mini-Busse in Kenia sind mittlerweile mit so einem BRCK ausgestattet. Die einzelnen Stationen können sich außerdem miteinander verbinden und – so ähnlich wie Freifunk – zu einem großen W-Lan Netz zusammenschließen. Auch BRCK wird mittlerweile weltweit eingesetzt, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Internet zu ermöglichen. In Sub-Sahara Afrika bildet BRCK bildet inzwischen das größte WLAN Netz.
Bei dem Gespräch im Bundestag erzählte mir diese beeindruckende Frau noch weiteren Aktivitäten. So engagiert sie sich darüberhinaus für viele andere Projekte mit hoher sozialer Wirkung – wir haben dabei viele Gemeinsamkeiten entdeckt. So engagiert sich Juliana für digitale Bildung im ländlichen Raum in Kenia („Learning Lions“), gründete den ersten Co-Working Space iHub in Nairobi, entwickelte eine Transparenzplattform für die kenianische Regierung, unterstützt ein IT-Lernnetzwerk für Frauen und den Aufbau von offenen Werkstätten mit moderner Technik (Makerspace / FabLab) im ländlichen Raum.
Weil wir da offenbar ähnliche Interessen verfolgen, erzählte ich ihr von meinem Engagement für Open Government, also für mehr Transparenz in der Politik – gerade am Tag unseres Treffens hatte ich dazu eine Rede gehalten. Ich berichtete aber auch von meinen Aktivitäten für mehr Geschlechtergerechtigkeit und vom „Verstehbahnhof“, dem digitale Bildungsprojekt, das mein Mann und ich sowie weitere Mitstreiter*innen im Fürstenberger Bahnhof umsetzen. Dazu gehört ein Makerspace, der – wie bei den Learning Lions – Bildung mit moderner Technik auch im ländlichen Raum und auch für Kinder aus armen Elternhäusern ermöglicht. Ich lud Juliana ein, uns in Fürstenberg zu besuchen und freute mich sehr, dass sie die Einladung annahm – am vergangenen Sonntag war sie bei uns und im Verstehbahnhof zu Gast und ich freue mich sehr, dass der Verstehbahnhof jetzt einen Fan in Kenia hat!
Momentan entwickelt Juliana eine Plattform, die Frauen, Menschen mit Behinderungen und jungen Menschen dabei unterstützen soll, mehr öffentliche Aufträge für ihre Unternehmen zu bekommen. Die kenianische Regierung hatte angekündigt, 30 Prozent ihrer Bedarfe von solchen Unternehmen einzukaufen. Die Plattform hilft dabei, die häufig komplizierten und aufwändigen Bewerbungsprozesse für öffentliche Ausschreibungen zu digitalisieren und zu vereinfachen, damit künftig diese Unternehmer*innen bessere Chancen haben, diese 30 Prozent Einkaufsvolumen auch auszuschöpfen. Bürokratie ist auch bei uns ein Problem. Günter Nooke, Afrika-Beauftragter des Kanzleramtes im BMZ, erzählte mir vor einigen Tagen, dass es ein neues Förderprogramm für afrikanische Kleinst-Unternehmen gibt, aber dass es über eine Stunde dauern soll, sich dafür zu registrieren. Das ist ein falscher Ansatz finde ich, bürokratische Hürden sind nämlich auch Hürden, selbst wenn sie in eine digitale Plattform eingebaut sind.
Am Rande der Preisverleihung habe ich Juliana erneut gesprochen, den Kontakt werden wir auf jeden Fall aufrecht erhalten. Der Deutsche Afrikapreis wurde im Übrigen von Kanzlerin Angela Merkel persönlich übergeben, die kenianische Musiklegende Eric Wainaina sorgte für entsprechende musikalische Untermalung. Ich wünschte mir, es gäbe öfter Gelegenheiten, die Kreativität und den Erfindungsreichtum von Afrikaner*innen bekannter zu machen, wir können so viel lernen von Menschen dort und es ist an der Zeit, sich auf Augenhöhe zu begegnen und den globalen Süden nicht dauernd nur mit Problemen und Hilfsbedürftigkeit zu verbinden. Juliana ist daher nicht nur ein Role Model für Kenia oder für den afrikanischen Kontinent, sondern für uns alle. „I like to fix things, to solve problems“ sagt sie von sich selbst, und ergreift stets selbst die Initiative, wenn es irgendwo einen unbefriedigenden Zustand gibt, sie sucht Verbündete und erreicht mit Talent und Beharrlichkeit auf den ersten Blick Unmögliches. Davon können wir uns durchaus ein paar Scheiben abschneiden.