Seit dem 7. Juli bin ich in meiner Funktion als stellvertretendes Mitglied des Bildungsausschusses auf Delegationsreise in Ghana und Kenia. Mitgekommen bin ich vor allem aus Interesse an den dortigen Perspektiven auf Digitale Bildung und weil sonst kein*e einzige*r Abgeordnete*r der Linksfraktion mit dabei gewesen wäre. Gerade Entwicklungszusammenarbeit ist wichtig, wenn wir uns die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ansehen, allen voran der Klimawandel. Denn Erneuerbare Energien oder der Umgang mit Elektroschrott sind nicht nur in Deutschland ein wichtiges Thema. Hier ein paar Eindrücke von Tag 1 meiner Reise.

Reißende Flüsse auf den Straßen von Accra, der Hauptstadt Ghanas
Reißende Flüsse auf den Straßen bei unserer Ankunft in Accra, der Hauptstadt Ghanas

Bei strömenden Regen fuhren wir am Montag zur 1948 gegründeten University of Ghana. Heute hat sie über 40.000 Studenten, knapp 1.000 davon kommen aus dem Ausland, davon wiederum 70% aus Afrika.
Der Regen war wirklich blöd, der Campus machte einen wunderschönen Eindruck, eigentlich eher wie eine endlose Parkanlage, aber davon konnten wir wetterbedingt nicht viel sehen, wir waren nur drin und unterhielten uns mit Vertreter*innen der vier Colleges der Universität und mit dem Vize-Präsidenten.

Ich habe auch nach digitaler Bildung gefragt und mich gefreut zu hören, dass man in diesem Feld schon einiges macht,wenn es auch noch ausbaufähig scheint.
Am besten fand ich, dass sie gerade eine Makerspace Initiative haben, angesiedelt bei den Ingenieurswissenschaften, und dass sie den Makerspace öffnen wollen für die Stadt und die Community in der Umgebung.

Der Campus der University of Ghana

Zur Genderfrage erfuhr ich, dass 49 % der Absolvent*innen Frauen sind und dass im Forschungsbereich sogar über 70 % Frauen arbeiten. Die University of Ghana gehört zu den top drei Universitäten des afrikanischen Kontinents, nach Südafrika und der Kairo University in Ägypten. Man bedauerte, dass westliche Student*innen, wenn sie überhaupt kommen, dann nur für ein Semester oder ein Jahr kommen, aber nicht für das ganze Studium. Vielleicht sollten es sich doch mehr Student*innen überlegen, denn auf mich machte diese Universität einen sehr guten Eindruck.

Auf dem Gelände der University of Ghana befindet sich auch das Merian Institut for Advanced Science (MIASA), es ist gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und hat das Ziel, sozialwissenschaftliche Forschung zu internationalisieren. Deutschland investiert in dieses Institut über zwölf Jahre verteilt 12 Millionen Euro.
Es gibt weltweit vier Merianzentren, eins in Brasilien, eins in Mexiko, eins in Indien und nun auch das in Ghana, in der Hauptstadt Accra. Es hat drei große thematische Schwerpunkte für die interdisziplinäre Forschung:
1. Frieden und Konfliktforschung, 2. Umwelt und Nachhaltigkeit, und 3. nachhaltige Demokratie.

Ein Ziel das mit diesem Institut erreicht werden soll, ist die „De-Kolonisierung des Denkens“ (“decolonization of thought“), denn tatsächlich kommt ja viel als „Erbe“ aus der westlichen Welt, aber der afrikanische Kontinent kann und sollte auch sehr stark darin sein, eigenes Wissen zu entwickeln und eigene Forschungsschwerpunkte zu setzen. Im Merian Institut forschen immer für eine begrenzte Zeit so genannte Fellows, acht Fellows jeweils in einer Gruppe für die Dauer von vier Monaten.
Sie kommen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern, aber auch aus Deutschland, denn dieses Merian Institut hat Kooperationen mit fünf Forschungsinstitutionen in Deutschland, darunter Universitäten in Konstanz Freiburg und Frankfurt am Main. Sie beschäftigen sich in dieser Zeit mit Themen wie Migration, Parlament und Demokratie, Transformation des ländlichen Raums, aber auch mit der Energiewende im globalen Süden.
Die Forschungsinitiative vernetzt auch afrikanische Wissenschaftler*innen untereinander, und hilft Gräben zwischen anglophonen und frankophonen Ländern zu überbrücken. Leider ist jetzt gerade eine Pause zwischen zwei Fellow-Programmen, wir konnten daher nur die leeren Arbeitsräume besichtigen.

Die dritte Station der Ausschussreise war WASCAL – das steht für West African Science Service Center on Climate Change and Adapted Land Use und wird ebenfalls von Deutschland gefördert; zehn westafrikanische Länder sind beteiligt. Ihr wichtigstes Ziel: Informationen sammeln und Wissen generieren, beides zur Verfügung zu stellen, auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.
Viele Daten sammeln automatisierte Wetterstationen, die in den west-afrikanischen Ländern aufgestellt wurden. Die Daten landen auf einer zentralen Plattform, die meisten sind Open Data.
Bei WASCAL steht interdisziplinäre Forschung im Vordergrund. Weil beispielsweise die Ärmsten in der Regel am meisten unter dem Klimawandel leiden, befasst man sich hier auch mit Forschung zu sozialen Systemen, aber auch ganz konkret damit, wie man Landwirtschaft so gestalten kann, dass auch bei Klimaveränderungen niemand hungert.

WASCAL Forscher*innen arbeiten für Forschungsprojekte über eine begrenzte Zeit und bleiben als Alumni dem Institut verbunden und miteinander vernetzt. Etliche von ihnen waren gekommen, um uns Ihre Projekte vorzustellen. Zwei haben in Deutschland studiert.
Die praxisorientierten Forschungsschwerpunkte sind: Landnutzung, Risiken und Vulnerabilitäten durch Wetterextreme, und die Migration in die Städte und grenzüberschreitend.

Fatima Aziz, eine der Forscher*innen bei WASCAL

Fatima Aziz (Foto) studierte in Rostock, sie hat einen Doktor in Klimaveränderung und Wasserressourcen und stammt aus Benin. Ihr Forschungsschwerpunkt sind Küstenregionen.
John Appah hat einen Doktor in Klimaveränderung und Wirtschaft, seinen Master erwarb er in Dresden. Sein Schwerpunkt sind Wälder und die Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme. Er erzählte, dass Ghana von 2011 bis 2030 auf zwei Millionen Hektar Bäume pflanzt.
Einige Alumni begleiteten uns zum Mittag, das Ghanaische war lecker, aber höllisch scharf, und wir mussten uns sehr beeilen, weil unser Zeitplan schon aus dem Ruder gelaufen war und unser nächster Termin – ein Treffen mit Parlamentariern schon kurz bevor stand.

Unsere vorletzte Station am 1. Tag in Ghana war der Besuch des Parlaments. Dort trafen wir uns mit dem Bildungsausschuss und mit Vertretern der ghanaisch-deutschen Freundschaftsgruppe. Das Meeting begann mit einem Gebet, ich guckte nach unten. Der Vorsitzende des Ghanaischen Bildungsausschusses fragte dann: „What is your Mission?“. Wir erzählten vom Interesse am Austausch. Ich fragte nach digitaler Bildung und wie so oft, scheinen uns selbst arme Länder links zu überholen.

Treffen mit dem ghanaischen Bildungsausschuss.

Digitale Bildung fängt in Ghana im Kindergarten an. Mit dem Kindergarten (ab 4 Jahre) beginnt die kostenfreie Grundausbildung. Danach folgen 6 Jahre Grundschule, 3 Jahre Junior Highschool und 3 Jahre Senior Highschool oder Berufsausbildung.
Vor 3 Wochen wurde ein digitales Bildungspaket verabschiedet, durch das jede Grundschule ein Computer Ressource Center erhält. Weil in den ländlichen Gegenden nicht alle Schulen Strom haben, gehört zu diesem Paket auch ein Solarenergie-System. Diese Computer Labore werden nicht nur mit Computern ausgestattet, sondern auch mit 3D-Druckern und Robotik-Komponenten.

Ein Aufzug im Parlament nur für Abgeordnete – im Bundestag gibt es so etwas nicht.

Grundschulkinder sollen einen spielerischen Zugang zu Robotern finden, das sei wichtig für die Zukunft des Landes. Tja, Deutschland… Vor zwei Monaten gewann die Mädchenmannschaft aus Ghana einen globalen Roboter-Wettbewerb in den USA. In den Städten sei man sehr weit mit digitaler Bildung, die größte Herausforderung sind Dörfer, deshalb sei das neue Programm so wichtig.
Weil Senior High Schools erst seit kurzem kostenfrei sind und die Bevölkerung stark wächst, muss die Schulinfrastruktur ständig ausgebaut werden. Zur Zeit gibt es an einigen Schulen ein Zweischichtsystem. Etwa ein Drittel des Landeshaushaltes fließen in Bildung, die damit der höchste Haushaltsposten ist.
Der Frauenanteil im Parlament ist leider sehr niedrig, von zwanzig Ausschussmitgliedern sind nur zwei Frauen. Es gibt auch Ausschüsse ohne Frauen.

Karte

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Den Abschluss unseres 1. Tages in Ghana bildete ein gemeinsames Dinner mit verschiedenen politischen Stiftungen, dem deutschen akademischen Austauschdienst (DAAD), dem Goethe-Institut und der Auslandshandelskammer. Vertreter*innen dieser Institutionen gaben einen kurzen Einblick in ihre Arbeit.

Ich war sehr überrascht, dass das Goethe-Institut in Ghana schon seit 1961 präsent ist. Sein Schwerpunkt sind Deutschkurse, denn an ghanaischen Schulen kann man kein Deutsch lernen. Heute werden etwa 80% der Deutschkurse von Familiennachzüglern belegt, denn der Familiennachzug wird nur genehmigt, wenn man einen A1- oder A2-Abschluss in Deutsch hat.
Leider haben die Kurse Festpreise, d.h. ob man Deutsch lernen kann oder nicht, hängt am Ende auch vom Geld ab. Auf die voraussichtlich steigende Nachfrage durch das neue Einwanderungsgesetz ist das Goethe-Institut jedoch noch nicht eingestellt. 
Das Goethe-Institut arbeitet auch programmatisch, es hat zur Zeit drei Schwerpunkthemen: 1. Nachhaltigkeit und Klimawandel, 2. Kulturen der Gleichberechtigung, 3. das Meta-Thema „wie kommt das Neue in die Welt“.


Gleichberechtigung bezieht sich gar nicht nur auf Geschlechtergerechtigkeit, sondern zum Beispiel auch auf diskriminierende Gesetze gegen Homosexuelle. Spannend fand ich ein Projekt des Goethe-Institutes mit der Universität Bayreuth. Dabei geht es um die Digitalisierung des Musikarchivs des ghanaischen Radios, 60 Jahre Material existieren nur auf Tonbändern – und werden nun digitalisiert.
Auch die anderen Institutionen erzählten von ihrer Arbeit, aber ich war zu dieser fortgeschrittenen Stunde und nach sehr anstrengendem Tag einfach zu müde, um weiter mitzuschreiben.

Nebenbei spielte übrigens Ghana im Achtelfinale des Africa Cups gegen Tunesien, es war sehr spannend, mit einem ghanaischen 1:1 Ausgleichstor in der 91. Minute (der Jubel war unvorstellbar!). Erst beim Elfmeterschießen konnte sich am Ende Tunesien durchsetzen.

Alle Bilder: CC-BY 4.0 Anke Domscheit-Berg