Anke Domscheit-Berg: Das Internet darf kein Werkzeug automatisierter Überwachung werden

Statt einer vernünftigen Urheberrechtsreform mit einheitlichen Ausnahmen für Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur und fairen Einnahmen für Urheber*innen erhalten wir nun ein rechtliches Monstrum, dem Satire, Meinungsfreiheit, Jugendkultur und die Zukunftschancen kleiner und kreativer Unternehmen zum Opfer fallen. Jetzt drohen uns Uploadfilter, auch wenn die Koalition anderes versprochen hatte. Das darf nicht passieren!

Text der Rede

Sehr geehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen, Wir hatten uns viel versprochen von der europäischen Urheberrechtsreform: einheitliche Ausnahmen vom Urheberrecht für Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kulturerbe, mehr Einnahmen für Urheber und faire Chancen auch für kleine Unternehmen. Leider bekamen wir stattdessen ein rechtliches Monstrum, das Geschäftsmodelle aus dem Zeitalter der Druckerpresse künstlich am Leben erhält und dafür Kunst und Satire, Meinungsfreiheit und Jugendkultur, ja selbst die Zukunftschancen kleiner und kreativer Unternehmen opfert. Fünf Mio. Petitionsunterschriften wurde ignoriert. Unbequeme Gutachten der Kommission zurückgehalten. Tausende Gegner als computergesteuerte Bots diskreditiert. Die diese Urheberrechtsreform verbrochen haben, werden sich noch wünschen, dass wir Bots statt Wählerinnen sind, denn die EU Wahl steht vor der Tür.
Auf die Europaabgeordneten der Linken ist jedenfalls Verlass, sie stimmten geschlossen gegen die Reform, aber leider nur sie, denn am 12.9. hoben im EU Parlament
100% der CDU/CSU Abgeordneten,
Zweidrittel aller Sozialdemokraten,
mehr als die Hälfte der Grünen Abgeordneten,
und ein Drittel der Liberalen ihre Hand FÜR diese unsägliche Reform.
Uns Gegnerinnen beleidigte man als inkompetent und urheberfeindlich. Ich bin aber selbst eine der vielen Urheberinnen, habe Bücher, Artikel und über 100 Kolumnen veröffentlicht, ich weiß ganz genau, dass Artikel 12 der Reform den Autoren nicht mehr, sondern bis zu 50% weniger VG Wort Einnahmen beschert. Inkompetent sind wohl auch kaum die Unterzeichnerinnen eines offenen Briefes, die davor warnen, dass Artikel 13 aus dem Internet ein Werkzeug automatisierter Überwachung seiner Nutzer macht, Startups und kleine Unternehmen massiv benachteiligt und gegen europäische Grundrechte verstößt.
Zu ihnen gehören Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, Jimmy Wales, Gründer von Wikipedia, Mitchel Baker, Vorständin von Mozilla, sowie Forscher aus Harvard und Berkeley und weitere Internet Pioniere.
Schreiende Inkompetenz findet sich auf der anderen Seite der Debatte.
So leugnet der CDU Europaabgeordnete Voss, dass die Urheberrechtsreform automatische Filtersysteme, sogenannte Uploadfilter vorsieht, weil der Begriff darin fehlt. Aber allein während dieser Rede werden mehr als 2.000 Stunden YouTube Videos hochgeladen!
Und hätte Voss den kleinsten Schimmer von Technologiekompetenz, wüßte er, dass eine sofortige Erkennung und Sperrung urheberrechtlicher Inhalte bei großen Datenmengen ohne Uploadfilter unmöglich ist.
Nachdem sie mit ihrer Zustimmung den Koalitionsvertrag brach, gab selbst Justizministerin Barley zu, dass es Uploadfilter braucht, die jeden einzelnen Inhalt beim Hochladen durchleuchten.
Aber diese Filter irren häufig. Und so machte sich die GEMA auf Twitter zum Gespött, als sie schrieb, dass künstliche Intelligenz Gesichter erkennen und einparken könne, und es deshalb „ein Leichtes sein sollte, zwischen Original und Parodie zu unterscheiden“.
Mich schockt ja diese Ahnungslosigkeit, denn als Mitglied der Enquete Kommission Künstliche Intelligenz beschäftigte ich mich häufig mit den hohen Fehlerraten gerade bei Gesichtserkennung durch KI.
Und so entdecken diese Uploadfilter selbst bei Videos mit weißem Rauschen Urheberrechtsverletzungen, verwechseln Vogelstimmen aus dem Wald mit geschützten Melodien und sperren Livestreams von Demos, wenn irgendwo im Hintergrund ein geschütztes Lied ertönt.

Von 10.000 Inhalten soll übrigens nach Angaben der Urheberrechtslobby nur ein einziger das Urheberrecht verletzen, lächerliche 0,01 Prozent.
Die Fehlerrate ihrer Uploadfilter geben Hersteller mit 1% an. Aus diesen Zahlen kann man das Verhältnis zu Recht und zu Unrecht gesperrter Inhalte ableiten:
Auf 100 zu Recht gesperrte kommen 10.000 zu Unrecht gesperrte Inhalte. Jährlich sind das etwa 30 Millionen unberechtigt gelöschter Inhalte!
Diese Dimensionen, diese eklatanten Missverhältnisse meinen wir, wenn wir von einer Einschränkung unserer Meinungsfreiheit und digitalen Teilhabe reden.
Wer ein solches Internet nicht will, sollte dagegen aufstehen, unter anderem bei den Demos am 23.März. Noch können wir diesen Angriff auf unsere Grundrechte und Kultur verhindern! Denn wir sind viele, wir wissen wovon wir reden und wir sind keine Bots!
Im übrigen bin ich der Auffassung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben. Paragraph 219a muss weg.