Manchmal hört man Leute vom Internet und von der richtigen Welt sprechen als wären dies zwei vollkommen unterschiedliche Bereiche. Aber für die meisten Menschen ist das Internet Teil der richtigen Welt, Teil des öffentlichen Raums, wo sich Menschen treffen, Gespräche führen, Beziehungen pflegen, sich streiten, fachsimpeln oder Witze machen. Manche dieser Räume sind riesig, bei Facebook tummeln sich inzwischen über zwei Milliarden Nutzer*innen.
Es sind eine ganze Reihe dominanter Plattformen entstanden, die aufgrund des Netzwerkeffektes immer größer werden. Dieser Effekt meint den Vorteil, den ein soziales Netzwerk dadurch hat, dass schon viele daran teilnehmen. Wo die anderen sind, will man selbst auch sein. Soziale Netze, wo man niemanden kennt, sind wenig attraktiv. Wechselt man das soziale Netzwerk, etwa um die eigene Privatsphäre besser zu schützen, verliert man existierende Beziehungen und wäre in einem anderen sozialen Netzwerk möglicherweise einsam.
Anti-Monopol-Gesetze gibt es fast in jedem Land, sie werden auch regelmäßig angewendet. Nur wenn es sich um digitale Monopole handelt, die ja weltweit agieren, versagt die Regulierung. Für einen Nationalstaat ist es in der digital-globalen Welt schwer, ein Unternehmen zu regulieren, das seinen Sitz ganz woanders hat. Einfacher wäre es auf europäischer Ebene, denn 500 Millionen Menschen bilden gemeinsam eine gewaltige Verhandlungsmacht. Sie sind ein Markt, den Unternehmen wie Facebook, YouTube oder Twitter nicht vernachlässigen können.
Ob man die großen Digital-Unternehmen in ihre Schranken weisen soll, müssen wir nicht lange diskutieren. Die negativen Folgen für die Demokratie sind klar erkennbar. So kam ein Gutachten der UN zum Schluss, dass die Verbrechen an den Rohingya in Myanmar ganz maßgeblich durch Hassnachrichten und Falschinformationen auf Facebook initiiert, angefeuert und eskaliert worden. Facebook hat in Myanmar Menschen das Leben gekostet.
Über den Brexit würden wir vielleicht jetzt gar nicht mehr reden, wenn es vor der Volksabstimmung in Großbritannien nicht einen schmutzigen Wahlkampf gegeben hätte, der in nennenswerten Teilen auf Facebook ablief. Es wurden z.B. so genannte „Dark Ads“ eingesetzt, Anzeigen der Pro-Brexit-Kampagne, die jeweils nur einer speziell durch Algorithmen gefilterten Nutzergruppe angezeigt wurden, während sie für alle anderen unsichtbar blieben und die genau ihre Herzensthemen mit Fakenews adressierten. Teeliebhaber bekamen angezeigt, dass die EU Teekessel verbieten will, Tierschützer, dass die EU den Mord an Robbenbabys erlauben will.
Inzwischen wissen wir, dass negative Emotionen häufiger zu Interaktionen führen – in sozialen Netzen also zum Kommentieren, Liken und Teilen anregen. Dieser Effekt ist nicht nur stärker, sondern auch länger anhaltend als bei positiven Emotionen. In Verbindung mit dem Geschäftsmodell von Facebook, das auf dem Verkauf von Werbung basiert, wird so aus einem sozialen Netz ein asoziales Netz. Was viel geteilt, kommentiert und gelikt wird, bringt Klicks und viele Klicks bringen höhere Werbeeinnahmen. Das begünstigt Fakenews und Hassnachrichten, die so eine schnelle und große Verbreitung finden. Sie spalten und polarisieren unsere Gesellschaft. Deshalb braucht es Regulierung.
Es braucht aber auch eine gemeinwohlorientierte Alternative. Was auch immer man reguliert, digitale Großkonzerne werden immer zuerst auf den Profit gucken. Meine linke Utopie ist ein wirklich soziales Netzwerk, dessen einziger Daseinszweck es ist, weltweit Menschen miteinander zu vernetzen. Das nicht Inhalte nach kommerziellen Interessen vorsortiert, sondern in dem jede*r selbst bestimmen kann, welche Inhalte in welcher Reihenfolge angezeigt werden. Es sollte als öffentlicher Diskursort zur Daseinsvorsorge gehören, wie Straßen, Parks und öffentliche Plätze und sollte kostenfrei sein. Ein solches, ausschließlich am Gemeinwohl orientiertes soziales Netz könnte von der EU finanziert und entwickelt werden und allen Menschen weltweit zur Verfügung stehen.
Attraktiv wird ein solches Netzwerk natürlich, wenn viele Menschen dorthin wechseln. Dazu braucht es eine Regulierung, die den Netzwerkeffekt bricht. Möglich wäre das durch eine EU-Vorgabe, die soziale Netze zur Interoperabilität untereinander verpflichtet. So wie wir heute mit einem Telekom-Vertrag auch an Menschen mit Vodafone-Vertrag eine SMS schicken können, sollte es auch möglich sein, mit Freunden in gemeinwohlorientierten und kommerziellen sozialen Netzen gleichzeitig Inhalte zu teilen.
Das Wissen der Welt wird bereits in der nicht kommerziellen Wikipedia gesammelt. Ein Weltwissen gesammelt und sortiert von Google oder Facebook möchte ich mir gar nicht erst vorstellen. Genauso wenig wie Wissen sollten soziale Beziehungen zwischen Menschen kommerzialisiert werden, erst recht nicht, wenn die Kommerzialisierung uns einander nicht näher bringt, sondern Zwietracht sät.