In 20 Jahren, träumte Wirtschaftsminister Altmaier auf dem Digitalgipfel Anfang dieser Woche, wird er abends im Sessel sitzend seinen Hausroboter
ein Bier holen schicken. Die geschätzt 85 Prozent Männer im großen Saal der Nürnberger Messe lachten. Wenn ihre Frauen keinen Bock haben, ihnen ein Bierchen zu bringen, ist so ein Roboter ein schöner Ausblick in die Zukunft. Dieses Jahr widmete sich der Gipfel der „künstlichen Intelligenz“.

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Ich war dabei als Mitglied einer Delegation der Enquetekommission „Künstliche Intelligenz“ im Bundestag, die erst um Einladung bitten musste, denn nur auf Einladung darf man teilnehmen. Wer sich ein wenig auskennt mit soziologischen Prozessen, der Funktionsweise subtiler Diskriminierung, der Wirkmacht von Geschlechterstereotypen und dem Einfluss von Lobbyismus, der kommt nicht umhin festzustellen, dass der Digitalgipfel der Gipfel der homosozialen Reproduktion ist, eine geradezu perfekte Demonstration der Effektivität des Ähnlichkeitsprinzips als Selektionskriterium.
Heerscharen weißer Männer in schwarzen Anzügen strömten durch die Gänge als ununterscheidbare Masse. In zwei Konferenztagen entdeckte ich wenig Abweichungen: einen Mann in NerdShirt, Cédric Villani, französischer KI-Experte, mit großer Seidenschleife um den Hals, drei Menschen mit dunkler Hautfarbe, die am Panel „Künstliche Intelligenz in Afrika“ teilnahmen, und hier und da eine Frau ohne Männerkostüm, also nicht im schwarzen Hosenanzug. Aber Frauen waren selten.
Warum ist das wichtig, fragt sich vielleicht die eine oder der andere? Ja, warum sollte die Hälfte der Gesellschaft daran beteiligt werden, wenn über unser aller Zukunft Meinungen gebildet und Entscheidungen getroffen werden? Warum sollten alle daran beteiligt werden, wenn über eine Technologie gesprochen wird, die viele ethische Fragen aufwirft, wie den Einsatz autonomer Waffensysteme, die Überwachung durch Kameras im Alltag, die bereits in der Praxis nachgewiesene Diskriminierung durch Algorithmen, die mit Datensätzen trainiert werden, die aus einer diskriminierenden Gesellschaft stam-men? Welche Rolle sollte es spielen, ob Menschen anwesend sind, die von diskriminierenden Algorithmen häufiger benachteiligt werden?
Die wichtigere Frage ist: Welchen Sinn haben Gipfeltreffen, wenn sie vor allem Netzwerke einflussreicher Männer weiter verstärken, anstatt sie aufzubrechen, vielfältiger zu machen und die Perspektiven der Gesellschaft besser zu vertreten – gerade wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht? „Technik soll dem Menschen dienen“ – diesen Allgemeinplatz hörte man dort oft. Nichts dagegen zu sagen, eigentlich. Aber wenn nur eine homogene, sozial und ethnisch einseitige Gruppe solche Sätze austauscht, ist das purer Hohn. Denn Technologie wird erst dann dem Gemeinwohl dienen, wenn auch an ihrer ethischen, strategischen und politischen Weichenstellung die ganze Gesellschaft beteiligt ist. Vertreterinnen der Zivilgesellschaft waren jedoch offenbar nicht eingeladen.
Es gäbe viele andere Dinge, die man zu diesem Gipfel hätte schreiben können. Man könnte sich lustig machen über Heimatminister Seehofer, der in einem Panel zu Cybersecurity (besetzt mit sieben weißen, älteren Männern) jovial erzählte, dass ja jeder wisse, wie das ist, wenn man „bei Google Bücher bestellt“. Man hätte mit Merkel grinsen können, weil sie wegen des früheren Shitstorms nicht mehr „Neuland“ zum Internet sagt, sondern „wenig beschrittenes Terrain“. Man hätte
über den Hauch Kontroverse schreiben können, der bei all der Selbstanpreisung und gegenseitigen Hofierung von Spitzen aus Wirtschaft und Politik auf der Bühne entstand, als Timotheus Höttges, der Chef der deutschen Telekom, und Achim Berg, Präsident des Bitkom, die Forderungen nach einem flächendeckenden 5G-Rollout als unsinnig und unbezahlbar anprangerten – „Füchse und Vögel bräuchten kein 5G im Wald“, meinte Achim Berg, „5G für jeden sei das Gleiche, wie einen Privatjet für jeden zu fordern“, so Höttges.
Man könnte beschreiben, wie Merkel süffisant darauf hinwies, dass weniger Menschen 5G in der Fläche fordern würden, wenn unsere bisherigen Mobilfunknetze nicht so löchrig wären. Man hätte über das Flugtaxi im Foyer und über Ausstellungen von KI-Anwendungen schreiben können und vieles mehr. Aber alles das würde ablenken vom Ausmaß des Problems, das derartig homogene Gipfel bedeuten. Denn es geht um unsere Zukunft, um den Erhalt der Demokratie, um den sozialen Frieden in Zeiten des Umbruchs, um radikale Bildungsreformen, Umverteilung digitaler Wertschöpfung, um Auswirkungen von Technologie auf die Umwelt und viele Fragen mehr, für die wir alle klugen Köpfe der Gesellschaft vernetzen müssen, für die wir die Erfahrungen aller brauchen. Heerscharen schwarzer Anzüge werden sich primär um Machterhalt und Profitmaximierung kümmern, nicht um die Lösung dieser Herausforderungen.

Zusammen mit meinem Mann Daniel schreibe ich seit Oktober 2016 eine Kolumne in der Wochenend-Beilage der Frankfurter Rundschau, den FR7 Netz-Teil. Da die Artikel online nicht verfügbar sind, lade ich sie hier regelmäßig im PDF-Format hoch.