Wohl noch nie war die Bedeutung einer zeitgemäßen Digitalisierung so deutlich, wie aktuell in der Pandemie, die uns wohl auch im neuen Jahr noch eine ganze Weile begleiten wird. Vor allem die Abhängigkeit von einer funktionierenden digitalen Infrastruktur wird in Zeiten des Homeschoolings, Homeoffice und unzähliger Videokonferenzen schmerzhaft spürbar. Da passte es gut in die Zeit, dass der Brandenburger Landtag am 13. Januar 2021 ein Fachgespräch im Hauptausschuss zur Umsetzung der Digitalisierungsstrategie des Landes durchführte, an der ich als Sachverständige teilnahm (Präsentation als PDF). Anlass war ein umfassender Bericht des Landesrechnungshofes (LT-Drs. 7/1843 als PDF), der sich kritisch mit dem Fortschritt und der Governance der Digitalisierungstrategie durch die Landesregierung auseinandersetzte sowie die Evaluation von Prognos (Evaluation als PDF).
Neben Minister:innen, Vertreter:innen von Landkreistag, Digitalagentur, Wissenschaft, Landesdatenschutzbehörde und IT-Dienstleistern, nahm ich als Fachfrau mit bundespolitischem Hintergrund aber brandenburgischer Verankerung teil (Gästeliste als PDF). Im Fachgespräch beschrieb ich die aus meiner Sicht größten Baustellen, was ihre Folgen sind und was man tun könnte, um die Lage schnell zu verbessern.
Digitale Bildung
Die Landesregierung überraschte mit gewagten Behauptungen, wie der Feststellung, dass sie die Corona-Krise erfolgreich genutzt hätte, um digital aufzuholen. Doch wie passen die Beteuerungen der Landesregierung damit zusammen, dass die Kleinsten unter uns – die Schülerinnen und Schüler – immer noch keine ausreichende digitale Ausstattung bekommen, es an digitalen Lehrformaten fehlt und Weiterbildungen sowie Austauschformate weitgehend auf die Lehrkräfte abgewälzt werden? Die Kreidezeit lässt grüßen. Es braucht endlich eine obligatorische Ausbildung der Lehrkräfte im Fachbereich digitaler Bildung, aber ausgerecht diesbezügliche Maßnahmen aus der Digitalstrategie wurden zurückgestellt. Man kann leider auch 2021 noch eine Lehramtsstudium in Brandenburg abschließen, ohne für digitale Bildung qualifiziert worden zu sein. Ich finde das völlig inakzeptabel. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie haben brandenburgische Lehrkräfte auch immer noch keine Laptops, sie kaufen sie privat, um digitalen Unterricht machen zu können. Die Landesregierung wartet und wartet, damit irgendwann mal die von der Bundesregierung versprochenen Sondermittel dafür abrufbar sind, aber dafür ist ein Zeitpunkt noch nicht mal in Sicht. Selbst arme Länder wie Bremen haben einfach selbst gehandelt und 100 Prozent ihrer Lehrkräfte mit Computern versorgt.
Immerhin hat das Land endlich geschafft, den Lehrkräften wenigstens eine dienstliche Emailadresse zur Verfügung zu stellen, nachdem noch zu Zeiten der rot-roten Regierung der linke Finanzminister in mehreren Haushalten 4 Mio € dafür zur Verfügung stellte, die nie abgerufen worden sind. Da hat tatsächlich erst der Druck durch Covid-19 zu einem Umdenken im Bildungsministerium geführt. Aber Emailadressen für Schüler:innen soll es erst “im nächsten Schuljahr” geben, die Bildungsministerin wollte sich nicht einmal festlegen, ob das wenigstens der Beginn des Schuljahres sein wird, es könne auch erst am Ende des Schuljahres sein – das ist dann im Sommer 2022. Da wirkt das Selbstlob der Landesregierung hinsichtlich der Ausweitung der HPI-Schulcloud auf eine viel größere Anzahl Schulen etwas schräg, denn Schüler:innen können diese Cloud nur mit einer eigenen Emailadresse nutzen.
Digitale Intrastruktur
Darüber hinaus erfordert digitaler Unterricht nun mal schnelles Internet. Dort, wo es kein verfügbares Breitband gibt, müssen schnelle Lösungen gefunden werden, um eine Teilhabe für alle schnellstmöglich umzusetzen. Bisher hat nur jeder 10. Schulstandort in Brandenburg theoretisch einen Gigabit-Zugang, in der Praxis sind es jedoch noch viel weniger.
Leider ist Brandenburg immer noch das Land der Funklöcher und lahmen Netze. Nur jede:r Fünfte hat hierzulande einen Gigabit-Anschluss, noch weniger hat nur Sachsen-Anhalt. In 2020 gab es in Brandenburg laut Auskunft des Gigabit-Büros noch immer 259.000 Graue-Flecken-Adressen (anteilig 33,5 Prozent). Mehr als 11 Millionen Mal wurde in den letzten 24 Monaten über die Funkloch-Melder App der Bundesnetzagentur ein brandenburgisches Funkloch gemeldet. Für diesen Zustand trägt auch die Bundesregierung Verantwortung, aber eben nicht nur. Es braucht mehr Kooperationen z.B. bei der Bearbeitung von Ausbauanträgen, für deren Genehmigungen verschiedenste Behörden auf kommunaler, Landes- und Bundesebene zuständig sind. Auch könnte eine Digitalisierung der Genehmigungsprozesse einiges beschleunigen. Ohne digitale Infrastruktur funktioniert Digitalisierung einfach nicht, sie muss die höchste Priorität haben. Ohne Infrastruktur gibt es kein Home Office, keine digitale Teilhabe in ländlichen Räumen und keine digitale Bildung.
Governance
Mein Eindruck zur Umsetzung der Digitalisierungsstrategie lässt sich treffend mit dem Sprichwort beschreiben: “Viele Köche verderben den Brei”. Es gibt ein undurchschaubares Geflecht an Gremien mit unklaren Rollen, die Ressorts brauen jedes ihr eigenes Süppchen und schieben vereinzelt Brotkrumen hin und her, statt übergreifend zusammenzuarbeiten. Einen richtigen Kapitän am Steuer scheint es auch nicht zu geben, die Staatskanzlei nimmt ihre Richtlinienkompetenz einfach nicht wahr. Wenn sie stolz von sich behauptet, Digitalpolitik sei in Brandenburg „Chefsache“, dann spricht das nicht gerade für die hiesige Chefetage. Wirkliche Leidenschaft ist jedoch auch in keinem einzigen anderen Ressort bei der erklärten “Chefsache Digitalisierung” erkennbar.
Das sieht übrigens auch der Landesrechnungshof so, der mit seinem Evaluationsbericht den Finger in die Wunde legt und insbesondere die mangelhafte Führung bei der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie kritisiert. Auch die Abstimmung mit dem Landtag ist ungenügend, was wohl auch daran liegt, dass es nicht einmal einen Digitalausschuss im Landtag gibt, wie in 12 anderen Bundesländern, der eine gute Basis für einen solchen strukturierten und regelmäßigen Austausch bieten könnte.
Unzureichend sind auch die Ressourcen, die für die Steuerung der Digitalisierungsvorhaben in den Ministerien bereitgestellt wurden. Es braucht mehr Personal dafür, aber auch mehr länderübergreifende Kooperationen und Unterstützung für die Digitalisierung in den Kommunen. Außerdem stelle ich fest, dass wer Digitalisierung nicht lebt, sie eben auch nicht umsetzen kann. So läßt der Rückstand beim eGovernment gut erkennen, dass der kulturelle Wandel in den ministerialen Häusern noch lange nicht abgeschlossen ist.
Offene Werkstätten
Im Fachgespräch habe ich aber nicht nur kritisiert, sondern auch von positiven Beispielen gesprochen, die hier und da dazu beitragen, Defizite lokal auszugleichen. So gibt es in Brandenburg ein aktives Netzwerk Offener Werkstätten, von Makerspaces und Fablabs, die einerseits Produktionsmittel demokratisieren und mit ihren modernen Maschinen und Werkzeugen gemeinwohlorientiert Gesichtsvisiere für medizinisches und pflegerisches Fachpersonal oder CO2 Ampeln für Klassenräume produzieren und die andererseits jetzt digitale Bildung unterstützen, in dem sie Bildungsserver und Videokonferenzserver betreiben, Lehrkräfte in digitalen Medien schulen, gebrauchte Laptops für bedürftige Kinder einsammeln und verteilen, oder Internetzugänge bereitstellen. Diese großartigen Orte benötigen mehr Unterstützung, eine formelle Anerkennung als Offene Werkstatt mit wichtiger Bildungsfunktion, gerade im ländlichen Raum und nachhaltigere finanzielle Unterstützung. Ich habe den Abgeordneten des Brandenburger Landtags aber auch empfohlen, die in diesen Werkstätten vorhandene hervorragende Expertise zu nutzen, ihre Protagonist:innen zu einem Austausch auf Augenhöhe einzuladen und von ihren Erfahrungen zu lernen und sie in ihre politischen Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Eine solche gemeinnützige Einrichtung ist der „Verstehbahnhof“ in Fürstenberg/Havel, der auch Mitglied des Brandenburger Netzwerks Offener Werkstätten ist. In den letzten Wochen wurde dort in 800 Stunden ehrenamtlicher Arbeit ein Video- und Tonstudio ausgebaut und eingerichtet, das nun als digitales Klassenzimmer zur Verfügung steht und bereits von Grundschullehrkräften der Region rege genutzt wird, um kleine Videounterrichtseinheiten für ihre Schüler:innen zu erstellen. Anfang dieser Woche war ich bei der Entstehung von Lernvideos für eine Dritte Klasse zum Thema Wetter, die zusammengesetzte Vergangenheit in der deutschen Sprache und zur Funktionsweise von Impfungen dabei und konnte erleben, wie die Begeisterung der Lehrerin für die Möglichkeiten der neuen Medien immer weiter wuchs. Als eine andere Fürstenberger Lehrerin für ihre zweite Klasse das Märchen Frau Holle einlas, hat dazu eine Bundesfreiwillige, die im Verstehbahnhof Vollzeit arbeitet, eine schöne Schneelandschaft eingebaut – der Greenscreen im Studio machte das möglich. So hatte nicht nur die Lehrerin, sondern auch ihre Schüler:innen viel Spaß an der neuen Wissensvermittlung.