Am Montag hat die FDP-Fraktion eine aktuelle Stunde zur Corona-Warn-App beantragt, die am Mittwoch stattfinden sollte. Am Dienstag teilte man mir mit, dass sich die Rede auf den letzten Tagesordnungspunkt des Freitages verschieben wird. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnte ich schließlich meine Rede fertig stellen, nur um am nächsten Tag zu erfahren, dass die Rede durch die aktuelle Stunde der AfD-Fraktion verdrängt wurde. Die Rede möchte ich euch allerdings nicht vorenthalten, daher könnt ihr sie hier nachlesen:
„Nutzt die App“ schrieb Johnny Häusler, Gründer der re:publica Netzkonferenz vor ein paar Tagen. Er setzte fort:
„Ich kann es nicht oft genug betonen: Unser Sohn war völlig symptomfrei. Er hat sich keinen Moment unwohl gefühlt und wäre also nicht auf die Idee gekommen, sich infiziert zu haben. Hat er aber. Allein durch die Warnung in der App hat er auf einen Test bestanden, der dann positiv ausfiel. Hätte ihn die App nicht gewarnt, hätte er keinen Test machen lassen und sich nicht in Quarantäne begeben. Er hätte möglicherweise mehr Leute angesteckt.“
Nein, eine App ist kein Allheilmittel. Aber neben Kontaktreduktion, Mundschutz oder Hände waschen ist die Corona-Warn-App ein Baustein der Pandemiebekämpfung, gerade jetzt, wo 75% der Infektionen nicht mehr auf ihren Ursprung zurückgeführt werden können, wo Ansteckungen vielleicht häufiger in der U-Bahn als auf Hochzeiten erfolgen.
Die Deutsche Warn App hat so viele Downloads wie vergleichbare Apps in Europa zusammengenommen. 20 Mio, das klingt viel und ist viel, aber es ist nicht genug. Diese Zahl sagt ohnehin wenig über die Art der Nutzung der App.
Die App hat ja drei gleichermaßen wichtige Funktionen, die leider nicht gleich viel genutzt werden. Viele Menschen installieren die App nur für eine Funktion, nämlich um eine Warnung in der App zu erhalten, wenn sie einer infizierten Person nahe gekommen waren.
Funktion Nummer zwei ist die elektronische Übermittlung des Testergebnisses in die App. Was war ich froh, als ich nach meinem Test an einem Freitag früh noch am gleichen Abend Entwarnung per negativem Testergebnis in der App bekam. Ohne App hätte ich darauf bis zum Montag warten müssen. Aber nur ein Bruchteil der Getesteten erhält das Ergebnis zeitsparend in der App.
Funktion Nummer drei ist die Warnung Dritter nach einem positiven Test – denn irgendwo müssen ja die Warnungen herkommen, die man sich über die App erhofft. Aber nur 60 % derer, die in positives Testergebnis in der App erhalten, melden es weiter.
Das ist ein Problem, denn die drei Funktionen bedingen einander. Würden alle nur die erste Funktion nutzen, um sich warnen zu lassen, wäre die App für alle nutzlos.
Aber warum nutzen so viele die App nur für eine Funktion statt für alle drei?
Nach 14 Berufsjahren in der IT-Industrie, vorrangig auf IT Projekten, habe ich eine Antwort auf diese Frage:
Software funktioniert in der Regel nicht ohne ein Ökosystem, das recht komplex werden kann, wenn es Individuen und Organisationen umfasst. Jede Schnittstelle zwischen jeder beteiligten Person oder Organisation ist eine Sollbruchstelle, an der etwas schief gehen kann.
Eine Sollbruchstelle sind Arztpraxen, die schlecht informiert sind oder die App ignorieren. Denn Ärzte müssen Testpersonen nach der App fragen und danach, ob das Ergebnis in die App geschickt werden soll. Ein „JA“ müssen sie durch ein Kreuz auf dem Laborbegleitschein dokumentieren, damit das Labor berechtigt ist, die Daten an das App-System zu senden. Ich kenne etliche Fälle von Ärzten, die diese simplen Prozessschritte nicht vornehmen.
Eine andere Sollbruchstelle sind die Labore selbst. Zehn Prozent der niedergelassenen Labore und die meisten Krankenhauslabore sind nicht an das App-System angeschlossen. Den Krankenhäusern fehlt es dafür an Ressourcen, Unterstützung vom Bund gibt es für sie nicht. Auch mit App und korrekt ausgefülltem Laborbegleitschein wird man daher bei diesen Laboren niemals ein Testergebnis in die App erhalten.
Daraus ergibt sich die nächste Sollbruchstelle. Erhalten App Nutzer:innen das Ergebnis nur auf Papier, müssen sie die Verifikationshotline anrufen und ihre persönliche Telefonnummer angeben, um eine TAN zu erhalten, mit der sie dann über die App ihre Kontakte anonym warnen können. Es liegt wohl nicht nur an der fehlenden Barrierefreiheit der Hotline, dass das nicht sehr viele Menschen machen.
IT-Projekte scheitern häufiger daran, dass man zu viel an die Software und zu wenig an die Menschen gedacht hat, die sie anwenden sollen. Auch die Bundesregierung hat das Ökosystem rund um die App vernachlässigt. Bis heute vermisse ich gute Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Nicht einmal sie erklärt die drei Funktionen der App vernünftig.
12,1 Millionen Euro kosten das BMG die Hotlines für die Corona Warn App, damit man auch Sonntagnacht zwischen 2 und 3 Uhr jemanden auf Englisch nach einem Verifizierungscode fragen kann. Kluges Projektmanagement hätte den teuren Nachtbetrieb gespart und dafür Krankenhauslabore beim Anschluss an das App System unterstützt sowie in mehr und bessere Aufklärung von Nutzer:innen und Arztpraxen investiert.
Abschließend möchte ich die Bundesregierung Überfrachtung der App mit weiteren Funktionen warnen. Ein Kontakt- und Symptomtagebuch sofern es freiwillig ist, mag noch sinnvoll sein, bei weiteren Funktionen wird jedoch die Akzeptanz in die App sinken, was ihren Nutzen verringert.
Es braucht außerdem das Corona-Warn-App-Begleitgesetz, das Zweckbindung, unbedingte Freiwilligkeit gegenüber Dritten und die Befristung bis zum Ende des Pandemie-Zustands festschreibt. Es würde Sicherheit geben, Vertrauen in die App erhöhen und ohne Zweifel die Nutzerraten steigern. Es ist für ein solches Gesetz nicht zu spät, wir fordern die Regierungsparteien daher auf, endlich ein solches Gesetz vorzulegen und zu verabschieden. Last but not least möchte ich da es immer noch notwendig ist, darauf hinweisen, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben, §219a gehört abgeschafft.