Das Internet Governance Forum (IGF) ist eine jährlich stattfindende Diskussionsplattform rund um die Themen der Internet Governance. Organisiert wird die Veranstaltung seit 2006 jährlich von der UNO und bringt seitdem, ganz nach ihrem Multi-Stakeholder Ansatz, möglichst viele Interessierte aus der Zivilgesellschaft, NGO’s, Technik und Informatik zusammen um gemeinsam zu diskutieren, zu kritisieren und konstruktives Governance weiterzuentwickeln. Jedes Jahr findet das IGF in einem anderen Gastgeberland statt, dieses Jahr zum ersten Mal in Deutschland unter dem Motto „One World. One Net. One Vision“.
Als Gastgeberland hat Deutschland dieses Jahr auch schon ein Novum eingeführt, was ab jetzt fester Bestandteil des Ablaufs werden soll: Die Parlamentarier Sessions am Tag 0, also am Tag vor dem offiziellen Start des Kongresses. 160 Parlamentarier waren aus aller Welt zum IGF angemeldet und viele von Ihnen waren am Tag 0 auch schon da und haben an den Parlamentarier Sessions teilgenommen. An diesem Tag gab es verschiedene Workshops zu international relevanten Themen und auch ich habe dort einen Workshop organisiert. Das Thema war die Regulierungsmöglichkeiten digitaler Monopole und inwiefern diese die Demokratie beeinträchtigen oder gefährden und was man dagegen tun kann.
Wir haben dabei viele Themen diskutiert und auch einige Lösungsvorschläge herausgearbeitet. Zum Beispiel, dass das Problem von Desinformationen nicht als Vorwand für Zensur missbraucht werden darf (wie das zum Beispiel in Hong Kong geschieht) und dass Plattformen zu Interoperabilität und Transparenz gezwungen werden müssen, um ihren Netzwerkeffekt zu verringern und das Wechseln zu anderen Plattformen zu erleichtern. Anders ist eine demokratische und gemeinwohlorientierte Internetlandschaft wohl kaum möglich. Was sehr spannend zu beobachten war, ist dass alle Teilnehmer, egal aus welchem Land oder von welchem Kontinent sie auch kamen, ein Hauptproblem in der unangefochtenen Macht der Monopole gesehen haben und dies als eine Gefahr für die Demokratie weltweit einstuften. Die Ergebnisse dieses Workshops habe ich dann am letzten Tag in der großen Abschluss-Sitzung des IGF präsentiert.
Am Tag 0 gab es sogar noch ein weiteres Highlight. Nämlich den offiziellen Start des Contract of the Web (Link zur englischsprachigen Seite, Artikel auf deutsch). Dieser „Vertrag für das Web“ ist ein digitaler Gesellschaftsvertrag, der vom Erfinder des Internets, Tim Berners-Lee, initiiert wurde. Das Ziel dabei ist es, dass Internet so umzugestalten, dass es wieder gemeinwohlorientiert werden kann und nicht, wie derzeit der Fall, zu stark von Monopolen dominiert wird, deren Geschäftsmodelle den freiheitlichen Grundgedanken des Internets derzeit auf eine echte Probe stellen. Zu den Unterzeichnern zählen unterschiedliche Organisationen wie Access Now oder die World Wide Web Foundation, aber auch die französische und deutsche Regierung. Wie effektiv dieses Bündnis sein wird, muss sich zeigen, denn seltsamerweise haben auch genau die Monopole, die gerade so problematisch sind, den Vertrag unterschrieben – unter ihnen Facebook und Google. Die Grundidee und Initiative unterstütze ich jedoch und beobachte sie sehr gespannt.
Am Dienstag ging das IGF dann offiziell und für alle los und es gab seitdem von morgens bis abends interessante Sessions und jede Menge Raum zum networken und interessante Menschen treffen. Am Mittwoch war ich daher bei einem Town Hall Meeting von Access Now, einer gemeinnützigen Organisation die sich für ein offenes und freies Internet einsetzt. Dort war vor allem der Verkauf der .ORG Domain ein großes Thema: Diese Domain, die vor allem von NGO’s genutzt wird, soll nun still und heimlich an ein privates Unternehmen mit Nähe zu US-republikanischen Senatoren verkauft werden. Dabei geht es nicht nur darum Top-Level Domains teurer zu machen, sondern auch um die Kontrolle der Webseiten. Dies ist natürlich eine große Gefahr für die Unabhängigkeit von NGO’s und ist ein weiteres Beispiel für die Privatisierung des Internets.
Aber es gab auch erfreulichere Treffen; So habe ich am Donnerstag zum Beispiel anderthalb Stunden mit einigen Teilnehmern derIGF Youth Deutschland verbracht. Sie gehörten zu einer Gruppe von etwa 100 Jugendlichen aus rund 40 Ländern die sich zusammengetan und 11 Forderungen formuliert haben, welche sich an Entscheidungsträger in der Wirtschaft und Politik richten. Die Jugendlichen haben sich dafür einen ganzen Tag vor dem IGF zusammengesetzt und wirklich sinnvolle Forderungen erarbeitet.
Ein wichtiges Thema war zum Beispiel die Cybersicherheit. Dort fordern die Jugendlichen eine Meldepflicht von Sicherheitslücken (etwas, dass ich auch schon lange fordere, wie man auch gerne hier im Detail nachlesen kann). Auch den Umgang mit Plattformen haben die IGF Youth intensiv diskutiert und drei Forderungen ausgearbeitet, dabei verlangen sie vor allem mehr Transparenz (u.a. bei Algorithmen und Entscheidungsregeln), mehr und bessere Maßnahmen gegen Desinformationen und einen Multi-Stakeholder-Ansatz bei dem vor allem junge Menschen ein Mitspracherecht haben. Auch universelle Schutzmaßnahme für Kinder im Internet, ein Recht auf uneingeschränkten und unzensierten Internetzugang (anders als in China), und eine bessere digitale Bildung fordern die Jugendlichen. Bei all diesen Themen schienen wir eine wirklich große gemeinsame Schnittmenge zu haben und ich denke, dass wir alle voneinander lernen konnten.
Es gab auch viele weitere interessante Sessions, in denen ich mich teilweise auch sehr intensiv eingebracht habe. Eine die herausstach, war dem Thema Menschenrechte auf digitale Plattformen gewidmet und wurde vomVertreter des Europarats, Jan Kleijssen moderiert. In dieser Diskussion habe ich bemängelt, dass Plattformen keine zustellfähige Adresse in Deutschland haben und es somit zum Beispiel unmöglich ist, dass Gerichte formelle Post wie auch Urteile überhaupt zustellen können. Der Grüne-Politiker Dietrich Herrmann zum Beispiel, ist immer noch auf Twitter gesperrt, obwohl schon zwei Gerichte geurteilt haben, dass seine Sperrung rechtswidrig ist. Auch Hasskriminalität im Internet wird faktisch fast nie strafverfolgt, weil Polizei und Justiz einfach nicht angemessen qualifiziert und ausgestattet sind und bestehende Gesetze somit nicht greifen.
Viele Sitzungen haben auch den globalen Charakter des Events wiedergespiegelt und ich habe mit großem Interesse an mehreren Panels zum Thema Digitalisierung in Entwicklungsländern teilgenommen. Dabei ging es oft darum wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung in Bezug auf Digitalisierung realisiert werden können. Ein Problem dabei ist zum Beispiel, dass nur jeder zweite Mensch auf der Welt Zugang zu Internet hat (und Frauen noch seltener als Männer). Außerdem sind Projekte, die dies ermöglichen wollen, oft unterfinanziert und nicht langfristig gesichert. Ein typisches Problem dabei ist auch dass nur die technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, aber keine digitale Bildung vermittelt wird. Solche Projekte sind seltener erfolgreich.
Das IGF ist wirklich ein spannendes, abwechslungsreiches und diverses Event, bei dem ich viel neuen Input bekommen konnte und interessante Menschen getroffen habe.