„Das digitale Impfzertifikat kommt deutlich zu spät, die Umsetzung ist chaotisch, und einen tatsächlichen Nutzen bringt es nicht“, erklärt Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, mit Blick auf den von Gesundheitsminister Spahn vorgestellten digitalen Impfnachweis. Domscheit-Berg weiter:
„Schon heute müssen für 57 Millionen Impfungen nachträglich solche Zertifikate ausgestellt werden, eine gigantische Herausforderung, deren Komplexität der Bundesminister offensichtlich nicht gewachsen ist. Es sind mehr als 100 Praxisverwaltungssysteme in Arztpraxen dafür anzupassen, aber die Ausschreibung des BMG dafür läuft noch bis zum 14. Juni. Wann soll programmiert, getestet und geschult werden? Wenn Minister Spahn glaubt, nur weil er eine App in die Kamera halten kann, gäbe es funktionierende Prozesse in Arztpraxen und Apotheken, dann zeigt das, wie wenig er von komplexen IT-Projekten versteht.
Die ganze Kommunikation rund um das Projekt ist ein Vollversagen. Apotheken erfuhren diese Woche erst aus TV-Berichten, dass sie ab Montag die Zertifikate ausstellen sollen. Die Ausstellung soll über das Portal des Apothekerverbandes erfolgen, bei dem nur 14.000 von 18.700 Apotheken überhaupt Mitglied sind. Die für die Registrierung notwendige Telematik-ID haben nur 80 Prozent der Apotheken, also können überhaupt nur 11.200 Apotheken eine Registrierung abschließen. Der Anwenderbereich des Apothekerverbandes war schon heute überlastet, Apotheken wurden aufgefordert, keine Nachfragen wegen digitaler Impfzertifikate zu stellen. Der Minister weckt auf verantwortungslose Weise Erwartungen in das digitale Zertifikat, die Apotheken und Arztpraxen mangels Vorbereitung nicht erfüllen können. Das wird zu viel Frustration führen bei enttäuschten Bürgern und überlasteten Apotheken und Arztpraxen. Gerade Arztpraxen sollten all ihre Energie in Impfungen stecken, denn nur mehr Impfungen können das Ende der Pandemie beschleunigen.
Den versprochenen Mehrwert der digitalen Zertifikate, mögliche Fälschungen zu verhindern, gibt es überhaupt nicht, denn Papierimpfausweise gelten weiter, also können sie auch gefälscht weiter genutzt werden. Fälschungen sind auch schwer zu erkennen, daher werden gefälschte Papiernachweise künftig in digitale Impfzertifikate umgewandelt werden. Apotheken fehlt es an Anreizen, Kompetenzen und Kapazität, um derartige Fälschungen überhaupt zu erkennen. Außerdem reicht die Kenntnis der Apotheken-Login-Daten zum Apothekenverbandsportal, um auch unberechtigt Zertifikate auszustellen, denn ein digitaler, signierter Institutsausweis ist dafür nicht erforderlich. Noch leichter ist der Missbrauch, wenn man sich einfach ein Handy mit gültigem Zertifikat von Dritten borgt oder einen Screenshot davon kopiert, denn an keinem Restaurant oder Kino wird am Einlass eine Ausweisüberprüfung vorgenommen werden.
Fazit: zu spät, chaotisch umgesetzt und ohne wirklichen Mehrwert wird das digitale Impfzertifikat wohl Spahns neuer Schuss in den Ofen.“