Anke Domscheit-Berg, DIE LINKE: Datenstrategie der Bundesregierung: zu wenig Gemeinwohl

Die Datenstrategie kommt zu spät und zu unverbindlich, weil die Ministerien sich nicht einig werden konnten. Sie pflegen lieber digitale Fürstentümer, als wirklich gemeinwohlorientiert und bürgernah an einem Strang zu ziehen. Trotz guter Ideen wird der Staat so kein Vorreiter, dafür hätte es u.a. ein klares Bekenntnis zu konsequentem Open Data und freien Zugang zu steuerfinanzierten Forschungsergebnissen (Open Access) gebraucht.

Meine Rede im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die vorliegende Datenstrategie soll die Position des Bundes zum Umgang mit Daten beschreiben. Es ist ein Fortschritt, dass sie endlich vorliegt. Aber sie kommt in der Tat zu spät und vertagt viele Maßnahmen auf die nächsten Legislaturen. Bei vielen Zielen bleibt sie unkonkret, ist wenig ambitioniert und bleibt unverbindlich, und das leider vor allem auch in dem wichtigen Kapitel „Den Staat zum Vorreiter machen“. Die OpenData-Strategie wird dort nur angekündigt. Aber wer bei Open Data, also der freien Bereitstellung von nicht personenbezogenen Daten in öffentlicher Hand, Vorreiter sein will, der muss sich doch endlich mal zum Prinzip ÖGÖG bekennen, nämlich dem Prinzip, dass aus öffentlichen Geldern öffentliche Güter werden müssen und dass das auch für Daten gilt, die mit öffentlichen Mitteln finanziert worden sind.

Das haben wir als Linksfraktion hier schon 2019 in einem Antrag gefordert. Dieses Bekenntnis fehlt aber. Die Bundesregierung will weiterhin mit Steuern finanzierte Daten, zum Beispiel Wetterdaten, verkaufen. Auch Open Access findet sich nicht in der Datenstrategie. Weiterhin wird es keinen freien Zugang in jedem Fall zu Forschungsergebnissen geben, die mit Steuern finanziert worden sind. Das ist mir zu wenig.

Mehr Transparenz, Interoperabilität und offene Standards stehen da drin sowie ein kontinuierliches Monitoring. Aber was heißt das denn konkret? Da liegt der Teufel im Detail. Das zeigt eine Antwort des Bundesinnenministeriums, die ich gerade vor einigen Tagen auf meine schriftliche Frage zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes bekommen habe. In seinem online verfügbaren Dashboard meldet das BMI 315 von 575 Dienstleistungen als online verfügbar, kann aber nicht sagen, welche dieser Dienstleistungen papierlos erledigt werden können. Es werden nämlich auch Dienstleistungen gezählt, wo man zwar online ein Formular ausfüllt, dies aber ausdrucken und zur Post tragen muss. Das ist doch Blödsinn! Das Ziel muss doch sein, nicht nur den Weg zum Amt einzusparen, sondern auch den Weg zum Briefkasten. Das BMI weiß außerdem nicht, welche dieser 315 Dienstleistungen tatsächlich überall in Deutschland verfügbar sind. Dieses eine Beispiel zeigt: Es braucht nicht nur mehr Monitoring, sondern es braucht mehr ehrliches Monitoring, das echten Fortschritt misst und nicht nur vorgaukelt. Wichtig ist das vor allem deshalb, weil der Grundsatz gilt: You get what you measure. Du bekommst, was du misst. – Wer nicht misst, welche Onlinedienste bundesweit papierlos in ganz Deutschland zur Verfügung stehen, der wird niemals bis Ende 2022 flächendeckende papierlose Dienstleistungen vorweisen können. Leider fehlt es massiv an der Bereitschaft, ressort- und föderale Ebenen übergreifend solche Daten nach einheitlichen Standards zu teilen.

Deshalb reichen Appelle nicht, auch wenn sie gut sind, Minister Braun. Es braucht Verbindlichkeit. Der fehlende Kulturwandel ist auch an den Maßnahmen der Strategie erkennbar; denn sie spiegeln das Silodenken wider, das noch in Ministerien vorherrscht. Da werden schon wieder neue Portale angekündigt, statt endlich einen einheitlichen Zugang für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, wie wir ihn in Dänemark seit über zehn Jahren mit dem Portal borger.dk haben. Warum denn ein neues Portal für die digitale Rentenübersicht? Wer will denn für jeden Datensatz zu einem anderen Portal gehen? Das dänische Portal nutzen fast alle Däninnen und Dänen. Dort ist der Datenzugang optimiert für die Bürgerinnen und Bürger. Bei uns ist er optimiert für ministeriale Portalfürstentümer, die kaum ein Schwein nutzt.

So wird man doch nicht Vorreiter. So bleibt man Nachhut. Parallel zum existierenden GovData-Portal soll eine neue Verwaltungsdaten-Informationsplattform, VIP, aufgebaut werden. Warum? Die Optimierung des GovDataPortals wäre wichtig; denn dieses Portal wirkt außerordentlich vernachlässigt. Laut der Beschreibung auf dem Portal selber sind daran nur zwölf Bundesländer beteiligt. Zuletzt wurde diese Seite vor fünf Jahren aktualisiert. Seit fünf Jahren kein Fortschritt in der Bund-LänderIntegration? Das muss doch besser gehen, meine Damen und Herren.

Noch ein letztes Beispiel. Die schon erwähnten Data Scientists, die Datennutzungsbeauftragten, sollen jetzt von allen Ministerien angestrebt werden. Die sind ja in der Sache total super, aber ein Anstreben statt ein gemeinsames Darauf-Festlegen, das zeigt wieder die Unverbindlichkeit als Folge von Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung. Unverbindlich bleibt die Strategie leider auch beim Thema Gemeinwohlorientierung. Es sollen zum Beispiel gemeinnützige Strukturen gefördert werden. Aber wie denn konkret? Es sollen auch nur Anreize zum freiwilligen Teilen kommerzieller Datenschätze gegeben werden. Aber wo ist das Bekenntnis zur Datenteilungspflicht, wenn zum Beispiel Unternehmen Daten im öffentlichen Raum sammeln, die wir Nutzerinnen und Nutzer aber selber generiert haben, zum Beispiel durch unser aller Mobilität? Da reicht mir ein Prüfauftrag ehrlich gesagt nicht.

Was ich auch vermisse, sind offene diskriminierungsfreie Data Sets, die man zum Trainieren von künstlicher Intelligenz für gemeinwohlorientierte Zwecke jedem zur Verfügung stellen kann. Vor allem vermisse ich den Beschluss eines Bundestransparenzgesetzes mit verbindlichen Verpflichtungen für Behörden. Dafür hätte ich sehr gerne Beifall geklatscht.

So bleibt mein Fazit: Die Datenstrategie startete zwar als Tiger, ist aber als Bettvorleger gelandet.

Im Übrigen gehören Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ins Strafrecht. § 219a gehört abgeschafft.

Vielen Dank.