Durch die Corona-Pandemie wurde so deutlich wie nie zuvor, wie wenig unsere Schulen auf digitales Lernen vorbereitet sind, denn seit der Schließung der Schulen sollen Kinder zu Hause lernen, was in sehr vielen Fällen digitale Lernformen einschließt. Die erkennbaren Versäumnisse sind dabei vielfältig: Es fehlt an technischer Ausstattung in der Schule selbst, an digitalen Plattformen für Videokonferenzen oder digitale Lerninhalte, es fehlt aber auch an Ausstattung bei den Schülerinnen und Schülern, die keineswegs alle mit Laptops oder Tablets, Internetanschlüssen und Druckern ausgestattet sind. In sozialen Brennpunkten können sehr viele Grundschülerinnen und Grundschüler schon auf diese Weise von Bildungsteilhabe ausgeschlossen sein. Leihgeräte für diese Kinder gibt es in den seltensten Fällen, und wenn dann häufiger aus der Zivilgesellschaft. So hat der gemeinnützige Verein havel:lab, den ich mit meinem Mann und anderen gegründet hatte und dessen Hauptzweck der Betrieb der Bildungsstätte „Verstehbahnhof“ in Fürstenberg/Havel ist, viele Laptops an Kinder aus materiell schlechter ausgestatteten Familien und an Kinder aus Familien Geflüchteter verliehen. Es fehlt aber an einer strukturellen Lösung des Problems.
Aber die Technik allein löst auch noch nicht alle Probleme. Dass in Brandenburg nun 115 Schulen einen Zugang zur Schulcloud vom Hasso-Plattner-Institut (HPI) bekommen haben, ist natürlich ein Schritt in die richtige Richtung. Allein der Zugang wird natürlich nicht ausreichen, um digitalen Unterricht in angemessener Weise durchführen zu können. Denn es braucht dazu weitere Voraussetzungen.
Digitale Bildung auch für Lehrkräfte
Zum Einen braucht es Lehrkräfte, die kompetent sind in digitaler Pädagogik, die wissen, welche Lernangebote es gibt, welche datenschutz- und bedienfreundlichen digitalen Werkzeuge es für die Kommunikation mit Schüler*innen und ihren Eltern gibt. Leider gibt es bisher keine etablierten Prozesse, Kindern digitales Lernen zu ermöglichen. So wird gerade ein ganzer Zoo von digitalen Werkzeugen für den Ersatz-Unterricht genutzt, denn es fehlen Richtlinien und Handreichungen, um Lehrkräften Entscheidungen für gute Werkzeuge zu erleichtern. So werden leider auch WhatsApp Gruppen oder GoogleDocs genutzt, die ganz bestimmt nicht angemessen sind für Bildungsarbeit, weil diese Produkte globaler Konzerne nicht die notwendigen hohen Datenschutzstandards erfüllen.
Mit solchen Herausforderungen werden Lehrer*innen aber auch jetzt, in Woche 8 der Schulschließungen, weiterhin allein gelassen. Sie brauchen daher schnellstmöglich praxisnahe Handreichungen, Best-Practice-Workshops und Netzwerke zum Austausch neuer Erfahrungen untereinander, aber langfristig braucht es endlich digitale Bildung als verpflichtenden Teil der Lehrkräfte-Aus- und -weiterbildung.
Auch zu Hause brauchen Kinder Unterstützung beim Lernen
Zum Anderen brauchen auch Kinder Rahmenbedingungen, die gutes Lernen ermöglichen und da haben eben nicht alle Kinder gleiche Chancen. Es ist ein Riesenunterschied, ob Kinder in einem eigenen Zimmer ungestört aber mit Unterstützung durch medienkompetente Eltern lernen können, oder ob sie mit anderen Geschwistern in einer zu kleinen und lauten Wohnung lernen sollen, neben überlasteten Eltern, die irgendwie nebenbei arbeiten sollen oder sogar auswärts arbeiten müssen, weil ihre Jobs keine an den Heimarbeitsplatz verlegbaren Büroarbeitsplätze sind. Viele Kinder müssen sich ein elektronisches Gerät mit Eltern und Geschwistern teilen, manche Eltern haben keine E Mail-Adresse und können nicht mit Lehrkräften kommunizieren. Viele Kinder haben Eltern, die mit digitalen Lernmethoden kaum oder gar nicht vertraut sind und daher ihren Kindern nicht helfen können.
Die wenigsten Eltern verfügen über die erforderlichen fachlichen und pädagogischen Kenntnisse, um Schule hinreichend zu ersetzen, Lehramt ist ja nicht ohne Grund ein eigenes Studienfach, aber wie gut Eltern ersatzweise Bildung daheim unterstützen können, hängt eben doch ganz entscheidend von ihrem sozialen Hintergrund ab. Und so führt die Corona-Krise aktuell dazu, dass die großen Bildungsunterschiede, die wir in Deutschland in Abhängigkeit vom sozialen Hintergrund haben, sich weiter und sehr extrem verschärfen werden. Viele Kinder werden dadurch für den Rest ihres Lebens benachteiligt, wenn wir es nicht schaffen, hier gemeinsam dagegen zu steuern, Schüler*innen und ihre Eltern aber auch Lehrkräfte besser darin zu unterstützen, für alle Kinder gute Lernbedingungen zu schaffen und kein Kind zu benachteiligen.
Die technische Ausstattung muss dringend verbessert werden
Um wenigstens einige dieser Probleme zu beheben, muss die digitale Ausstattung der Schüler*innen – vor allem aus weniger finanzstarken Familien – sofort verbessert werden. Auch Unterstützung für die Kosten von Breitbandanschlüssen muss geleistet werden, denn digitaler Unterricht erfordert schnelles Internet. Da wo es gar kein verfügbares Breitband gibt, müssen Lösungen gefunden werden, die auch eine Teilhabe ermöglichen, bevor die Telekom in drei Jahren neue Netze verlegt, denn es geht um jeden Monat, um jede Woche, um jeden Tag Teilhabe an Bildung.
Auf Seiten der Schulträger gilt es nun, einheitliche Plattformen und Dienstleistungen anzubieten, die von allen Schulen gleichermaßen genutzt werden können. Dazu zählen Cloud-Anwendungen, die auch kollaboratives Arbeiten ermöglichen (wie z.B. die Schul-Cloud), und Videokonferenzsysteme, die den europäischen Datenschutz- und IT-Sicherheitsbestimmungen entsprechen. Unser “Verstehbahnhof” ist auch hier gemeinnützig aktiv geworden, in unserem kleinen Rechenzentrum werden zum Beispiel Videokonferenz-Systeme und Bildungsplattformen für Schulen der Region gehostet, mein Mann Daniel hat sowohl in Workshops in der Schule als auch digital per Videokonferenz Lehrerinnen und Lehrkräfte in der Nutzung dieser Systeme geschult. Weil es nicht überall Verstehbahnhöfe gibt, die diese Lücken füllen können, aber durchaus andere Vereine, Initiativen oder auch kleine Unternehmen, die das in ihrer jeweiligen Region machen könnten, braucht es Finanzierungsmodelle und Fördermöglichkeiten für technischen Betrieb und Trainingsprogramme. Reines Ehrenamt kann das nicht langfristig und nicht flächendeckend leisten.
Die Kinder dürfen auf keinen Fall den Anschluss verlieren
Um Kindern, die durch besonders schlechte Rahmenbedingungen den Anschluss verloren haben, ein Aufholen zu ermöglichen, muss es neue Strukturen für eine intensivere Betreuung geben. Lehrkräfte müssen technische Defizite ausgleichen, notfalls auch durch Unterricht per Telefon. Das mag komisch klingen, wird aber zum Beispiel in Brandenburg an der Havel von einem Französisch-Lehrer praktiziert, der mit Kindern aus bildungsferneren Haushalten die französische Aussprache in telefonischem Individualunterricht übt. Darüber hinaus müssen Nachhilfesysteme etabliert bzw. wieder aktiviert und ausgebaut werden, um die nächsten Wochen dafür zu nutzen, versäumte Lernchancen wieder nachzuholen. Hier sind auch kreative Lösungen gefragt, zum Beispiel Nachhilfe per Videokonferenz oder bei entsprechendem Wetter eben analog im Park bei Einhalten der Distanzregeln, oder auch in der Aula, wo es Platz genug geben sollte, um mehreren Lern-Paaren eine Nachhilfe ohne Infektionsrisiko zu ermöglichen. Mir haben besorgte Nachhilfe-Lehrkräfte erzählt, dass sie an ihrer Grundschule befürchten, dass in manchen Klassen jedes 5. Kind gerade so weit zurückgeworfen wird, dass es den Anschluss verliert und möglicherweise das Schuljahr wiederholen muss. Damit verlieren diese Kinder nicht nur Lebenszeit, sondern auch Lebenschancen und dazu sollte es nicht kommen!
Am Wochenende werde ich über diese Probleme und mögliche Lösungen mit der bildungspolitischen Sprecherin und Co-Vorsitzenden der Landtagsfraktion der Linken Brandenburg, Kathrin Dannenberg, im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde für Brandenburger Mandatsträger*innen im Land sprechen. Die Veranstaltung ist zwar nicht öffentlich, aber es wird eine Videoaufzeichnung geben, die ich anschließend auf meiner Webseite und meinem YouTube-Kanal zur Verfügung stellen werde. Eins kann ich auch für die Arbeit der Bundestagsfraktion der Linken sagen: Die Teilhabe von Kindern an Bildung ist auch in der Corona-Pandemie für uns eine wichtige Priorität, für die wir uns gemeinsam stark machen. Damit sich bundesweit etwas an der Situation von Kindern ändert, haben wir z. B. auf Initiative meines brandenburgischen Fraktionskollegen, Norbert Müller, einen Kinder-Gipfel beantragt, denn Kinder sollten uns wichtiger sein als Autos.