Der Welt-Autor Alan Posener hat mit seinem Artikel „Wir sind nicht Burka, also weg mit den Internet-Pseudonymen!“ eine erneute Diskussion um eine Klarnamenpflicht und damit die Abschaffung der Anonymität im Internet angestoßen. Er rechtfertigt seine absurde Forderung mit dem Hass im Internet. Posener fordert daher unmissverständlich: „Lasst die dummen Pseudonyme und die gefälschten E-Mail-Adressen. Freiwillig. Wenn das nicht geschieht, wäre ich allerdings dafür, das Vermummungsverbot auch im Internet durchzusetzen. Per Gesetz“. Seine Argumentation stützt er dabei auch auf einen Vergleich zwischen Internet-Pseudonymen und verbotenen Vermummungen auf Demonstrationen und legt nahe, dass derjenige, der sich und seinen Namen im Internet schützt, das auch krimineller Motivation tut: „Es gibt ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen. Denn wir gehen davon aus, dass die bloße Äußerung einer Meinung, und sei sie noch so abwegig, vom Staat nicht verfolgt, sondern geschützt wird; dass also, wer sein Gesicht vermummt, etwas Übles im Schilde führt“.
Diese Diskussion ist jedoch absolut nicht neu, wie ein Zombie taucht sie immer wieder auf, selbst vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert wurde sie schon 2012 losgetreten. Das verwundert sehr, denn nach wie vor haben wir ein Grundgesetz, das derlei Wünschen einen klaren Riegel vorschiebt, was die Gegner der Anonymität im Internet offenbar nicht kümmert, das Grundgesetz scheint ihnen schnuppe zu sein.
Die Nutzung von Internet-Pseudonymen als „Internet-Burka“ zu bezeichnen und eine freiwillige – und wenn das nicht klappt – gesetzlich vorgeschriebene Zwangsidentifizierung zu fordern, zeugt von eklatanter Unkenntnis unseres Grundgesetzes und seiner Auslegung. Der Bundesgerichtshof urteilte schon vor Jahren, dass die Meinungsfreiheit auch anonym (also erst recht pseudonym) ausübbar sein muss: „Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art 5 (…) des Grundgesetzes nicht vereinbar“ (BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08). Daraus folgt ohne Interpretationsspielraum, dass ein gesetzlicher Identifikationszwang ausgeschlossen ist.
Der von Posener an den Haaren herbeigezogene Vergleich des Klarnamenzwangs mit dem Vermummungsverbot auf Demonstrationen ist vollkommen ungeeignet, denn erstens ist eine Meinungsäußerung im Internet keine Demonstration und zweitens gibt es bekanntlich keinen Zwang, nur mit einem gut sichtbaren Namensschild oder der eigenen Personalausweisnummer am Rücken befestigt an Demonstrationen teilnehmen zu dürfen – und nur DAS wäre ein passender Vergleich.
Poseners Forderung zeugt außerdem von Blindheit für seine eigenen Privilegien als älterer, weißer normalo-Mann. Offenbar musste er noch nie über die Konsequenzen eines Klarnamenzwangs für Stalking-Opfer, für schwule Pfarrer in Bayern oder für Menschen, die Ziele von Rassismus sind, nachdenken oder sie tatsächlich befürchten.
Eine Klarnamenpflicht in einer digitalisierten Welt, in der Daten ewig leben, durchsuchbar und zugänglich sind für Konzerne, aktuelle oder potenzielle Chefs, Krankenkassen (das wäre das Ende digitaler Selbsthilfegruppen!), Behörden oder wen auch immer, ist das Ende der Freiheit.
Wer wirklich Hass im Internet bekämpfen will, der muss präventive Maßnahmen fordern und unterstützen, die den Hass in der Gesellschaft verringern. Dazu gehört ein Demokratiefördergesetz, das eine nachhaltige Finanzierung engagierter Zivilgesellschaft zum Beispiel Anti-Rassismus Initiativen, Migrantenvereine, Integrations- und Begegnungsstätten etc. ermöglicht. Wer Hass im Netz bekämpfen will, sollte auch fordern, dass Ermittlungsbehörden und Justiz ausreichend vorhanden, qualifiziert und ausgestattet sind, denn Anzeigen werden zu oft schlampig oder gar nicht verfolgt. Viel zu häufig bleibt strafbarer Hass allein deshalb straffrei.
Wenn Herr Posener polarisierende Begriffe wie „Internet-Burka“ verwendet, um eine Klarnamenpflicht zu fordern, macht er das offensichtlich bewusst, um an islamfeindliche Rhetorik anzudocken, Ängste zu schüren, und auf perfide Art Widerstände gegen Grundrechtsbeschneidungen zu verringern. Wer vorgibt, Klarnamenpflicht im Namen des Opferschutzes zu fordern, sollte statt Hass schürender Begriffe wie „Internet-Burka“ zu verwenden, sinnvoller eine effektivere Unterstützung von Opfern digitaler Gewalt fordern, zum Beispiel mehr und bessere Beratungsstellen, aber auch mehr Forschung dazu. Gerade bei digitaler Gewalt gegen Frauen ist die Datenlage katastrophal und werden Vorgaben der Istanbulkonvention nicht eingehalten.