Die Covid-19 Pandemie hat uns allen gezeigt, wie weit abgehängt Deutschland in Fragen der Digitalisierung ist. Vor allem im Bildungsbereich, aber auch in der öffentlichen Verwaltung wurde das schmerzhaft deutlich. Und wo das Netz schlecht ist, kann man weder Home Schooling noch Home Office machen. Die Versäumnisse dauern seit Jahren an, manche Altlast kann man nicht kurzfristig lösen – den versemmelten Breitbandausbau zum Beispiel.
Aber dass ein Jahr nach Beginn der Pandemie immer noch nicht alle Gesundheitsämter eine vernünftige Software zur Kontaktnachverfolgung nutzen und miteinander und mit anderen Behörden auf Landes- und Bundesebene Daten austauschen können, ist langsam skandalös.
Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes im November 2020 hat Labore und Gesundheitsämter nur zur Nutzung der Meldeketten-Software DEMIS (Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz) verpflichtet, aber eine rechtliche Grundlage für die Verwendung einheitlicher Kontaktnachverfolgungssoftware für die Gesundheitsämter wurde nicht geschaffen. Und so entscheiden weiterhin Länder und Gesundheitsämter selbst, mit dem Ergebnis, dass die Beschlüsse der Ministerpräsident:innenkonferenz, in allen Gesundheitsämtern die wunderbar geeignete Open Source-Software SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) zu verwenden, zu einem großen Teil ins Leere laufen.
In einigen Bundesländern (Rheinland-Pfalz und Sachsen) gibt es noch kein einziges Gesundheitsamt, das dieses Programm einsetzt, in Brandenburg sind es 8 von 18 Gesundheitsämtern, auch das Havelland, Brandenburg an der Havel und Oberhavel sind immer noch nicht dabei. Dabei ist doch klar: das Beharren auf Steinzeitmethoden können wir uns in einer Pandemie nicht leisten, denn Lockerungen kann es erst geben, wenn die Kontaktnachverfolgung wieder effizient funktioniert und gute Software kann dazu beitragen.
Aus diesem Grund habe ich das Thema auf die Tagesordnung des Digitalausschusses vom 10. Februar 2021 im Deutschen Bundestag setzen lassen. Dort stand uns das Bundesministerium für Gesundheit Rede und Antwort. In der Ausschusssitzung bestätigte sich mein Eindruck eines bundesweiten Flickenteppichs der Bundesländer. Immerhin gibt es einen Lichtblick: mehr als 75 Prozent aller Gesundheitsämter haben offenbar erklärt, dass sie die Software installieren wollen, wenn eine neue Version mit Schnittstellen zu anderen Fachverfahren der Gesundheitsämter, zum Meldesystem DEMIS und mit Schnittstellen zwischen den SORMAS Installationen verschiedener Gesundheitsämter verfügbar ist. Eine solche Version, “SORMAS-X” ist bereits auf Rügen in einem Echtbetriebs-Test, nächste Woche kommen weitere Gesundheitsämter zum Test hinzu und wenn alles gut geht, steht diese Version allen Gesundheitsämtern bundesweit in zwei Wochen zur Verfügung. Etwa 10 Prozent der Gesundheitsämter sollen angekündigt haben, dass sie selbst dann SORMAS nicht einsetzen werden, das bedauere ich sehr, denn der Mehrwert liegt vor allem in der bundesweiten Vernetzung der Systeme. Mit einem “Fürstentümer-Denken” kommt man schon in normalen Zeiten nicht weit, aber schon gar nicht in einer Pandemie.
In Brandenburg ist leider auch die Vergabe von Impfterminen ein großes Drama, was nicht nur daran liegt, dass es noch zu wenig Impfstoffe gibt. Auch meinem 86 jährigen Vater, selbst ehemaliger Arzt in Märkisch Oderland, ist es bisher nicht gelungen, einen Impftermin zu bekommen, denn wenn es überhaupt Termine gibt, kommt man telefonisch bei der Hotline nicht durch und eine online Terminvergabe gibt es in Brandenburg, anders als in fast allen anderen Bundesländern nicht.
Es braucht endlich die Möglichkeit, Online-Termine zu machen und dabei auch Wartelisten zu erstellen. Eine Online-Termin Vergabe forderte auch die Linksfraktion im Brandenburger Landtag (Drucksache 7/2856) und auch der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburgs (KVBB) hat sich dafür ausgesprochen.
Darüber hinaus sollten solche Online-Portale jedoch auch weitere Funktionen bereitstellen, wie z.B. Nachrückerlisten, damit bei Nichtwahrnehmung von Impfterminen kurzfristig andere Impfberechtigte in der unmittelbaren Region geimpft werden können. Dass wie die Oranienburg passiert, Impfstoffe im Müll landen, weil sie nicht vor dem Wochenende verimpft werden konnten, darf sich nie wiederholen.
Auf keinen Fall sollten jedoch (wie in einigen Bundesländern üblich) freie Impftermine so eingestellt werden, dass sie um Mitternacht zur Vergabe freigeschaltet werden, denn ein solches Windhundverfahren um Mitternacht, bei dem nach wenigen Minuten alle Termine nur an die Wachesten und Schnellsten vergeben werden, ist würdelos und trägt nicht den Bedürfnissen derjenigen Rechnung, die gerade in der höchsten Prioritätengruppe auf eine Impfung dringend warten – der besonders hochaltrigen Menschen. Da wäre eine Warteliste, bei der Termine z.B. nach Alter vergeben werden, deutlich passender.Natürlich läßt sich das Impfproblem nicht nur durch Technik lösen, es braucht auch eine bessere Organisation, mehr direkte Information an Impfberechtigte und dezentrale Impfungen über Hausarztpraxen. Warum geht in Brandenburg nicht, was in Mecklenburg Vorpommern möglich ist? Mein Vater, der selbst 45 Jahre als Hausarzt tätig war, hat auf diese Frage keine Antwort. Die Impfzentren sind für ihn zu weit, er schüttelt nur noch den Kopf über die fragwürdigen Prozesse rund um die Impfvergabe in Brandenburg. Mir tut das als Tochter weh, aber auch als Politikerin.